Natalie Geisenberger und Tatjana Hüfner deklassieren die Rodelkonkurrenz

Sotschi. Wäre Gary Lineker nicht Fußballspieler geworden, sondern Rodler, er hätte nur zu dem einen Schluss gelangen können: Rodeln ist ein simpler Sport – gut zwei Dutzend Frauen rasen in vier Läufen eine Eisbahn hinunter, und am Ende gewinnen immer die Deutschen olympisches Gold. 20 Jahre ist es her, dass keine Deutsche den Sieg eingeheimst hat. „1994 ließ sich Susi Erdmann in Lillehammer die Goldmedaille von der Italienerin Gerda Weissensteiner wegschnappen“, ist auf der Internetseite des Bob- und Schlittenverbands für Deutschland zu lesen, und es klingt beinahe indigniert. Wie kann ein Verband, der bei den Winterspielen 1998, 2002, 2006 und 2010 von zwölf möglichen Medaillen zehn gewann, auch mit weniger zufrieden sein?

Die nächsten beiden Plaketten fügten der beeindruckenden Sammlung am Dienstagabend Natalie Geisenberger und Tatjana Hüfner mit einem Doppelerfolg im Sanki Sliding Center von Krasnaja Poljana hinzu. Nach vier Läufen hatte Geisenberger in einem Sport, in dem in der Endabrechnung mitunter Tausendstel entscheiden, 1,139 Sekunden Vorsprung vor ihrer Teamkollegin Hüfner, die wiederum 0,238 Sekunden Abstand auf sich und die drittplatzierte US-Amerikanerin Erin Hamlin brachte.

1,139 Sekunden – das ist im Rennrodelsport eine kleine Welt. Nur einmal, 1964 war es, hat eine Athletin in der Olympiageschichte einen noch größeren Vorsprung herausgefahren als die Polizeimeisterin aus Miesbach, die vorige Woche ihren 26. Geburtstag gefeiert hat. „Überwältigend“, ächzte Geisenberger unmittelbar nach ihrem abermals famosen letzten Lauf, „das ist der Wahnsinn.“

Im Ziel stand wenig später Norbert Loch und blickte gerührt in den Nachthimmel über der grell-weiß erleuchteten Eisrinne. „Was soll ich dazu sagen?“, sinnierte der Chef-Bundestrainer, zugleich Vater des Olympiasiegers Felix Loch: „Ich bin genauso überwältigt und berührt und stolz, wie ich das beim Felix gewesen bin. Es sind einfach Topathleten, Kämpfer. Die Natalie hat die ganze Woche über das Training beherrscht, sie hat es hier top heruntergefahren. Das macht mich stolz, dass es nicht einen Fahrfehler gab. Sie hat es wie Felix sehr cool heruntergefahren.“

Loch senior kennt Geisenberger seit ihrer Kindheit. Als Jugendliche gelangte die gebürtige Münchnerin in Bayern unter die Fittiche des so besonnenen wie aufmerksamen Trainers. Er formte die hoch aufgeschossene Athletin – Geisenberger ist 1,83 Meter groß, wiegt 77 Kilo – vom Talent zu einer Spitzenathletin, die inzwischen die Weltelite zu beherrschen imstande ist. Den Gesamtweltcup hat sie sich ja schon gesichert in dieser Saison.

Geisenberger ist befreundet mit Felix Loch, genauso wie mit den Doppelsitzern Tobias Arlt und Tobias Wendl, die an diesem Mittwoch ihrerseits Gold gewinnen wollen (siehe Info). Die Gruppe trainiert gemeinsam, und die Athleten profitieren voneinander, geben ihr Know-how weiter, helfen sich.

Dass Hüfner ihrerseits sich nach einem „grottenschlechten Training enorm gesteigert“ habe, auch das mache ihn stolz, sagte Loch. Zumal er noch Anfang Dezember gefragt worden sei, was denn mit der ehedem so dominanten Rodlerin Hüfner – fünfmal gewann sie in ihrer Karriere den Gesamtweltcup – los sei, abgesehen von den Folgen einer Verletzung. Loch antwortete dann stets: „Wartet mal ab, ihr werdet schon sehen!“ Und man sah. „Ich habe ihr den ganzen Winter über das Vertrauen gegeben. Das hat sich ausgezahlt.“

Im Moment, konstatierte der Cheftrainer, „ist ‚Geisi‘ die Nummer eins bei uns, die Tatjana die Nummer zwei“. Der Ausgang des Olympiarennens illustriert also sehr gut den derzeitigen Leistungsstand im verwöhnten Rodlerinnenlager. Geisenberger sei um Nuancen besser gewesen als Hüfner. Loch: „Über vier Läufe potenziert sich das dann.“ Ob überhaupt eine Frau noch besser Schlitten fahren kann als Natalie Geisenberger? Loch überlegt nur kurz. Dann schmunzelt er: „Es gibt immer etwas zu verbessern. Ich könnte jetzt einige Details nennen. Aber das würde zu weit führen.“

Die ehrgeizige Hüfner hingegen, Olympiasiegerin vor vier Jahren, als Geisenberger in Vancouver Dritte wurde, hatte offenkundig an ihrer Niederlage zu knabbern. Zwar versicherte sie: „Silber fehlte mir noch in meiner Sammlung, insofern bin ich glücklich. Ich wollte mein Bestes zeigen, aber ich habe ein paar kleine Fehler gemacht. Das war der Grund, warum ich nicht gewonnen habe.“ Doch als sie nach ihrer Rivalität mit der drei Jahre jüngeren Geisenberger gefragt wurde, klang Hüfners Antwort spitz: „Sie hat viel Unterstützung in Deutschland durch den Trainer und das Team.“

Wie hatte schon Deutschlands erfolgreichster Rodler, Georg Hackl, 47, vor gut sieben Jahren über Geisenbergers Perspektive einmal angemerkt: „Sie ist auf dem besten Weg, ihre Sportart auf Jahre hinaus zu dominieren. Was Magdalena Neuner für das Biathlon ist, kann Natalie fürs Rodeln werden.“ Es hat ein paar Jahre gedauert, aber die Branchenbeste kommt nun eben doch wieder aus Deutschland – und die Zweitbeste ebenso.

Dass dieser Umstand die Konkurrentinnen aus dem Ausland bisweilen frustriert, ist kein Geheimnis. Doch ließen sich Dienstagabend am Sliding Centre auch andere Stimmen vernehmen. Wie die von Kimberley McRae. „Sie sind tolle Rodlerinnen! Mich frustriert das nicht“, versicherte die fünftplatzierte Kanadierin glaubhaft.