Ole Einar Björndalen gewinnt mit 40 Jahren sein siebtes Biathlon-Gold. Für den Erfolg führt er ein Leben als Nomade

Sotschi. Dominik Landertinger und Jaroslav Soukup hatten die besten Zuschauerplätze. Sie hatten gerade den größten Erfolg ihrer Karrieren gefeiert, Silber und Bronze beim Sprint der Biathleten. Gefragt wurden sie aber kaum bei der Pressekonferenz nach dem Rennen, und wenn doch, dann waren es nur Fragen nach dem Mann, der in ihrer Mitte saß. Was sie denn davon hielten, vom Triumph des Altmeisters. Von Ole Einar Björndalen.

Wenn es so etwas wie olympische Sternstunden gibt, der Olympiasieg des 40 Jahre alten Norwegers war so eine. Natürlich war Björndalen als einer der Favoriten auf eine Medaille ins Rennen gegangen – wenn er mitläuft, ist das immer so. Aber so wurde es ein Triumph, der alle verblüffte, den manche für unfassbar hielten. Konkurrenten, Zuschauer, Journalisten, sie alle staunten gleichermaßen.

Dabei schien nach dem ersten Schießen schon alles vorbei. Eine Strafrunde nach einem Fehler im liegenden Anschlag, auf der Zehnkilometerdistanz fast schon das Ende aller Ambitionen und Hoffnungen. Gerade bei einem Mann in seinem Alter. Doch dann drehte Björndalen auf, leichtfüßig wie in jungen Jahren enteilte er der Konkurrenz. Der Österreicher Landertinger, der Tscheche Soukup, beide ohne Schießfehler, am Ende chancenlos wie der zwischenzeitlich führende Salzburger Simon Eder und die große Hoffnung der Russen, Lokalmatador Anton Schipulin. Emil Hegle Svendsen, Björndalens Landsmann und einer der ganz großen Goldanwärter, hatte gar eine halbe Minute Rückstand. Die deutsche Mannschaft erlebte gar ein Debakel: Simon Schempp nur auf Rang 15, Erik Lesser 21., Arnd Peiffer auf Rang 34, Christoph Stephan auf Platz 58.

Gewonnen hatte Björndalen auf der letzten Runde, gewonnen hatte er aber vor allem beim zweiten Schießen. Nur 20 Sekunden benötige er für das gesamte Prozedere, rund sieben bis acht Sekunden weniger als seine Gegner. Dann hatte er sein siebtes Olympiagold. Und das in seinem Alter. Mit seiner Geschichte. Mit so vielen Rückschlägen in der Vergangenheit.

2002 in Salt Lake City, vor zwölf Jahren, hatte er sein bislang letztes Einzelgold gewonnen, 2010 triumphierte er noch einmal mit der Staffel. Danach folgte eine große Krise. Weil er sich beim Heben eines Holzklotzes einen Bandscheibenvorfall zugezogen hatte.

Damals war Björndalen 37. Andere würden so eine Verletzung zum Anlass nehmen, die Karriere zu beenden. Nicht so der alte Ole. Björndalen kämpfte sich zurück und führte ein noch asketischeres Leben als bis dahin. Alles wegen seiner Mission, in Sotschi noch einmal zu triumphieren.

Die Ehe mit der früheren Biathletin Nathalie Santer ging in die Brüche, die beiden hatten sich auseinandergelebt, nur noch selten war er in den gemeinsamen Wohndomizilen in Osttirol und im Hochpustertal anzutreffen. Er kaufte sich ein Wohnmobil, nicht sehr groß, genau richtig für eine Person, und begann ein Nomadendasein. Zog den ganzen vergangenen Sommer über von einem Trainingsort zum nächsten.

Ob in Antholz, Ruhpolding, Hochfilzen, überall stellte er sein Gefährt neben dem dortigen Biathlonstadion ab, sein Essen machte er sich auf einem kleinen Elektrokocher. „Da steige ich aus und kann gleich mit dem Training beginnen. Ist doch wunderbar“, sagte er einmal. Ein nüchternes Leben, reduziert auf das Wesentliche, essen, schlafen, trainieren. Soziale Kontakte? Unwichtig. Björndalen eben.

Es war auch nichts, wozu sich Björndalen zwingen musste. Es gefiel ihm. Ein verregneter Augustnachmittag in den Bergen, bei tief hängenden Wolken und fünf Grad plus, weit und breit keine Menschenseele – für einen wie ihn gibt es nichts Schöneres.

Außer vielleicht einen Olympiasieg. Einer der ersten Gratulanten war sein Landsmann Björn Dählie, mit acht Olympiasiegen und vier Silbermedaillen noch der erfolgreichste Athlet in der Geschichte der Winterspiele. Noch. Björndalen hat nun sieben Goldmedaillen, vier silberne, eine bronzene. Ein Sieg noch, dann liegt er vorn.

„Ole ist der größte norwegische Sportler aller Zeiten“, schwärmte Dählie. Ein Kompliment, das Björndalen so nicht annehmen wollte. „Björn wird immer der Beste sein“, erwiderte Björndalen, bevor er noch über das Restprogramm des Abends sprach. Ob er gedenke, sich zur Feier des Tages auf einen Ergometer zu setzen, witzelte ein Journalist. „Ja, ein bisschen schon“, sagte Björndalen und ergänzte zur generellen Verwunderung: „Mein Teamkollege Lars Berger ist mit mir auf dem Zimmer. Er ist ein lustiger Typ, mit ihm werde ich sicher noch feiern.“