Bei der Eröffnungsfeier der Winterspiele schaut fast die Hälfte der Menschheit zu. Details der Gala hält Gastgeber Russland noch geheim

Sotschi. Der erhoffte Anruf kam kurz vorm Einschlafen. Alpin-Ass Maria Höfl-Riesch darf die deutsche Mannschaft am Freitag bei der Eröffnungsfeier der XXII. Winterspiele in Sotschi von 20.14 Uhr Ortszeit (17.14 Uhr MEZ) an als Fahnenträgerin ins Olympiastadion „Fischt“ führen. „Für so etwas nimmt man auch nach zehn gerne das Handy in die Hand“, erzählte die Doppel-Olympiasiegerin aus Garmisch-Partenkirchen mit einem strahlenden Lächeln über den Anruf von DOSB-Generaldirektor Michael Vesper zu später Stunde. „Es ist unglaublich, vorneweg marschieren zu dürfen. Da geht ein großer Traum in Erfüllung.“ Höfl-Riesch ist die zweite Fahnenträgerin aus dem Alpin-Lager nach Hilde Gerg 2002.

Nur weil sie nicht wusste, wie sie ihr russisches Handy auf lautlos schalten konnte, ging sie überhaupt noch an ihr Telefon. Optisch ist die 29-Jährige für die Aufgabe vor einem Millionen-Publikum bestens vorbereitet: Höfl-Riesch hat sich die Fingernägel mit den deutschen Farben Schwarz, Rot, Gold und den olympischen Ringen bemalt.

Für die deutsche Teamleitung war die viel diskutierte Fahnenträger-Kür schon länger eine klare Sache. „Sie war von Beginn an Favoritin“, berichtete DOSB-Präsident Alfons Hörmann. „Es ist eine erste Wahl mit Stern.“ Zwei Wochen haben sich die DOSB-Oberen mit dem Thema beschäftigt, bis in Sotschi einstimmig die Entscheidung fiel.

Der Wahl Höfl-Rieschs war allerdings der erste kleine Zoff im deutschen Team vorausgegangen. Biathletin Andrea Henkel hatte als vermeintliche Top-Anwärterin auf die Rolle als Fahnenträger die Entscheidung schon am Vormittag via Internet indirekt herausposaunt – ihre Absage „im Sinne der Wettkämpfe“ kam drei Stunden vor der offiziellen Verkündung. Höfl-Rieschs Wahl war damit praktisch öffentlich. „In Zeiten von Facebook passiert so etwas. Wenn sie meint, das so veröffentlichen zu müssen, ist das ihre Sache“, sagte Hörmann, versuchte aber zu beschwichtigen: „Mit der Ernennung von Maria ist das Thema durch. Henkel ist eine Kandidatin für die Schlussfeier.“

Das Geheimnis um die deutsche Fahnenträgerin ist also gelüftet – wie Olympia-Gastgeber Russland die Welt offiziell willkommen heißen wird, war selbst am Tag vor der Gala kaum in allen Details bekannt. Weder die Organisatoren noch Helfer lassen durchsickern, was die 40.000 Zuschauer in der Arena und weltweit drei Milliarden Fernsehzuschauer erwarten dürfen.

Sogar Kremlchef Wladimir Putin betont, er wolle keine Einzelheiten verraten. „Da ist nichts zu machen“, sagt der Olympia-Gastgeber. Organisationschef Dmitri Tschernyschenko verspricht immerhin eine „schillernde Show“ mit allen Raffinessen, die „die moderne Technik hergibt“. Sportminister Witali Mutko freut sich über die allgemeine Unwissenheit. „Im Internet sind nur wenige Fotos der Proben zu sehen. Die meisten Statisten haben sich an unsere Bitten gehalten, das ist toll“, sagte Mutko. Allerdings wären die russischen Behörden mit „Verrätern“ kaum zimperlich umgesprungen.

Der Bau des Fischt-Stadions, das einem Schneehügel ähnelt, hatte sich erheblich verzögert. Dies führte für das Staatsfernsehen zu massiven Problemen bei den Proben zur Eröffnung – bei denen Tausende Statisten in den vergangenen Tagen bereits gesehen haben, worauf die Welt mit Spannung wartet. Doch auch sie wurden zum Schweigen verpflichtet. Noch immer kann daher nur gerätselt werden, ob wirklich die sowjetische Eiskunstlauf-Legende Irina Rodnina als Schlussläuferin des Fackellaufs das olympische Feuer anzünden und Operndiva Anna Netrebko die russische Hymne singen darf.

Die Gerüchteküche brodelt auch beim Rahmenprogramm. Artisten vom Moskauer Staatszirkus und Musiker wie Star-Dirigent Waleri Gergijew sollen örtlichen Medien zufolge auftreten. Die Zeremonie trägt der kremlnahen Zeitung „Iswestija“ zufolge das Motto „Viele Menschen – eine Nation“ und präsentiert Russlands Wandlung vom Zarenreich zu einem modernen Vielvölkerstaat. Auch historische Figuren wie Peter der Große sowie Landschaftsbilder etwa vom Baikalsee seien zu sehen. Wasserfontänen und ein Feuerwerk sollen die Zeremonie abrunden.

Gewiss ist aber: Kremlsprecher Dmitri Peskow zufolge besuchen etwa 40 Staats- und Regierungschefs die Eröffnungsfeier. Zehntausende Sicherheitskräfte sowie Kriegsschiffe und Abfangjäger werden in Alarmbereitschaft sein. In den vergangenen Wochen hatten aber mehrere Politiker wie etwa Bundespräsident Joachim Gauck oder Frankreichs Staatschef François Hollande betont, nicht nach Sotschi zu reisen. Allgemein wurde dies aber als Protest gegen die Menschenrechtssituation in Russland interpretiert.

Vor vier Jahren kostete die Eröffnung der Spiele in Vancouver schätzungsweise 27 Millionen Euro. Auch hier wollen sich die Organisatoren an der südrussischen Schwarzmeerküste nicht in die Karten schauen lassen.

Die einzigen Regeln, die das IOC für eine Eröffnungszeremonie aufstellt, sind drei protokollarische Vorgaben: der Einmarsch der Athleten in das Stadion, das Freilassen von Friedenstauben – und der magische Satz: „Die Spiele sind eröffnet!“ IOC-Sprecher Mark Adams sagte nach einer Probe: „Ich kann versichern, das wird eine wunderbare Zeremonie.“