Am Mittwochabend startete das Hamburger Curlingteam vom Flughafen Fuhlsbüttel zu den Olympischen Winterspielen nach Sotschi

Hamburg. Sitzend auf diesen Steinen über die Eisfläche gleiten, was ist das für ein Spaß gewesen für einen Zweijährigen. Unglaublich. Felix Schulze erinnert sich immer noch daran, 31 Jahre später. Heute setzt der Schlussspieler vom Curling Club Hamburg selbst seinen zweieinhalb Jahre alten Sohn auf diesen Stein, ein leichter Schubs, Gejuchze, Gejohle. Auch die dritte Generation Schulze wird schon mit Curling infiziert. Es kann wohl gar nicht ausbleiben. Und später mal, wenn der kleine Sohn größer ist, dann zeigt Felix Schulze ihm die Fotos von den Olympischen Winterspielen in Sotschi. Dorthin, wo ihn der Familienspaß Curling geführt hat.

Am Mittwochabend um 20.30 Uhr flog das Hamburger Team mit Skip John Jahr, „Fourth“ Schulze, „Second“ Christopher Bartsch, „Lead“ Sven Goldemann und Ersatzmann Peter Rickmers von Fuhlsbüttel aus nach Frankfurt am Main. Von dort geht es am Donnerstagmorgen weiter Richtung Russland. „Jetzt fangen wir an zu realisieren, dass unser großer Traum beginnt“, sagte Schulze. Die Koffer wurden dann auch besonders sorgfältig gepackt. „Ich habe 100-mal kontrolliert, ob ich alles dabeihabe; vor allem meine Akkreditierung, ohne die wir nicht ins olympische Dorf kommen.“

Ein Lebenstraum geht in Erfüllung. Für das Team, aber auch für die Väter.

„Felix ist ja schon mit seiner Geburt im Club angemeldet worden, 1980“, erzählt Lenard Schulze, der seinen kleinen Sohn einst über das Eis schubste. Der Rechtsanwalt ist seit 1991 Vorsitzender des Vereins von der Hagenbeckstraße. 1977 ist er eingetreten. „Als die Halle gebaut wurde, hat der Club Mitglieder gesucht, meine Schwägerin hat mich mitgenommen, und ich war sofort infiziert.“ Damit begann auch in der Familie Schulze eine sportliche Erfolgsgeschichte über die Generationen, die wohl einzigartig ist und 1969 in Arosa begonnen hat.

Der Verleger John Jahr jr. entdeckte dort mit seinen Freunden im Winterurlaub das Curlingspiel für sich, dessen Sohn „Johnny“ Jahr ist nun mit 48 Jahren der älteste deutsche Olympiateilnehmer in Sotschi. „Mein Vater wäre tatsächlich sehr stolz auf das, was wir erreicht haben“, sagt Jahr, „die Entwicklung des Club hätte ihm viel Freude gemacht. Er hat den Club sehr gefördert.“ Vater John Jahr jr. war ein entscheidender Initiator für den Bau der eigenen Halle mit ihren vier Bahnen, die bis heute die einzige reine Curling-Halle in Deutschland ist.

Das kuschelige Clubhaus mit Blick auf die Eisflächen und der kleinen Bar wurde ein Stück Heimat für die Hamburger Curlingfreunde. Dass die Kinder mit dabei waren, war – und ist – völlig selbstverständlich. „Johnny hat sich schon um Felix gekümmert, als der noch ganz klein war“, erzählt Lenard Schulze, „aber auch seine Schwester Jonica hat viel auf Felix aufgepasst.“ Jahr erinnert sich natürlich auch noch bestens daran, wie er seinen jetzigen Mannschaftskameraden kennenlernte: „Ich habe ihn schon als Baby durch die Halle getragen.“

Seit seinem zehnten Lebensjahr spielt der einstige „Steinerutscher“ Schulze selbst. „Als Kind hat man ja Idole, wir haben immer zu Johnny aufgesehen“, erzählt Schulze. Mit den etwa gleich alten Bartsch und Rickmers spielt er gefühlt schon immer zusammen, mit 16, 17 Jahren haben sie gemerkt, dass sie etwas erreichen können. „Die Freundschaft, das gemeinsame Reisen waren uns wichtig. Es war toll, eine DM zu spielen, einen Bundesadler als Jugendlicher auf der Brust zu haben“, sagt Schulze, „und dann waren wir schon als Jugendliche bei einem Turnier in Kanada. Das war so geil.“ Die Entscheidung für Curling als Leistungssport war damit gefallen.

Schulze muss den letzten Stein in den „Ends“ setzen und ist damit oft genug verantwortlich für Sieg oder Niederlage. Aber er mag diese Drucksituation: „Mir ist es lieber, ich habe es selbst in der Hand. Ich übernehme gerne Verantwortung“, sagt der Anwalt, der in der väterlichen Kanzlei arbeitet. Das half natürlich auf dem Weg nach Sotschi, dem in den letzten zwölf Monaten praktisch alles untergeordnet wurde. 60 Tage waren sie unterwegs zu Wettkämpfen, die Familien mussten sich einschränken, Arbeit blieb liegen oder musste nachgeholt werden.

„Für das Büro ist das eine große Belastung“, sagt Vater Schulze, „aber ich bin auch außerordentlich stolz auf ihn.“

„Johnny“ Jahr wurde bereits 1976 mit elf Jahren Mitglied im CC Hamburg. „Ich war dann schnell Feuer und Flamme.“ Schon 1985 war er Europameister gewesen, später stellte er sein Hobby zurück. Und dann setzte er acht Jahre lang völlig aus. „Ich hatte genug Erfolge, hatte kein Team, und es ist ja auch eine Mühsal“, erklärte er seinen Rückzug. Mit Ehefrau Maike bekam er drei Kinder, kümmerte sich statt um Curling um seine Geschäfte und das Handicap im Golf.

Als die „Kleinen“ um Schulze dann aber größer wurden, erwachsen und ambitioniert, da „juckte“ es Jahr wieder, und er konnte sich dem Team vor rund drei Jahren anschließen: Er spielt an Position drei, als „Skip“ zeigt er mit dem Besen an, wohin die Steine gesetzt werden sollen, schlägt die Taktik vor. „Fegen muss ich nicht mehr, dafür bin ich auch zu alt.“ Sie haben Schlüssel zu der Curlinghalle, die ihre Väter einst bauten, ideale Bedingungen für regelmäßiges Training. Die Mutter von Peter Rickmers ist für die Jugendarbeit im Club verantwortlich. Mit rund 180 Mitgliedern ist der CC Hamburg der größte Curling-Verein in Deutschland, etwa die Hälfte davon sind Kinder und Jugendliche, wie einst Felix und Johnny.

In einer Serie spielen die Freizeitteams des Vereins während der Saison regelmäßig mehr mit- als gegeneinander. Das ist auch die Zukunft von John Jahr: „Nach der Weltmeisterschaft in Peking (29. März bis 6. April) ist für mich mit dem Leistungssport Schluss.“

Dann wird Curling für ihn wieder zum reinen Hobby. In der kleinen Bar mit Blick auf die Eisflächen geht es sehr privat zu. Es ist der gelebte Traum einiger Enthusiasten, die 1969 im Winterurlaub mit dem alten schottischen Eissport begannen. Auf einem Zettel am Info-Brett im Clubraum ist zu lesen: „We are family“.