Der kubanische Profiboxer Juan Carlos Gomez hat vieles verloren – Geld, Titel, Freunde. Im Alter von 40 Jahren hat er sein Leben umgekrempelt und greift noch einmal an: „Es ist immer noch Showtime.“

Hamburg. Natürlich wird er ihn auch in diesem Gespräch wieder sagen, den Satz, der so lange schon sein Motto ist, im Leben wie im Beruf: „It’s showtime!“ Wie er diese Worte zwischen den teilvergoldeten Zähnen durchpresst, die er mit dem typischen Gomez-Lächeln entblößt hat, wirkt er noch immer wie der Entertainer, der er zeit seines Lebens sein wollte. Aber dann kommt da dieser Nachsatz, der aufhorchen und hoffen lässt, dass er es diesmal, endlich, ernst meinen könnte. „Es ist immer noch Showtime“, sagt Juan Carlos Gomez, „aber nur noch im Ring.“

Der Mann, der sein Leben auf links gedreht hat, um seine letzte Chance zu nutzen, sitzt in der Trainingshalle des Hamburger Profistalls EC Boxing an der Eiffestraße und versucht, die letzten Spuren der harten Vormittagseinheit von seiner Stirn zu wischen. 40 Jahre alt ist der Kubaner im vergangenen Juli geworden, und wer ihn lange nicht gesehen hat, erschrickt fast. Nicht, weil Gomez alt aussieht, sondern weil er schmal geworden ist, fast zerbrechlich wirkt. 26 Kilogramm hat er abgenommen, seit ihm sein Manager Jesse Rodriguez ein paar Wochen nach dem 40. Geburtstag eröffnet hatte, dass er nur noch einen Weg sehe, um ein letztes Mal ans große Geld zu gelangen: Gomez müsse wieder ins Cruisergewicht zurück, die Gewichtsklasse, in der er 1998 Weltmeister geworden war.

Gomez hatte sich seit seinem Aufstieg ins Schwergewicht 2002 über die Jahre einen veritablen Speckgürtel angefuttert, er wog locker 120 Kilo und war sich, um es positiv auszudrücken, nicht sicher, wie er noch einmal auf ein Kampfgewicht von 90 Kilo kommen sollte. Aber er hatte nichts mehr zu verlieren, und da gab es ja auch jemanden, der an ihn glaubte und ihm diesen Glauben übertrug. Sylke, gebürtige Hamburgerin, seit mittlerweile eineinhalb Jahren die Frau an seiner Seite. Sie trieb ihn an, sie scheuchte ihn zum Training, stellte seine Ernährung um und brachte Gomez dazu, am 1. November in Dachau nach eineinhalb Jahren Kampfpause sein Comeback zu geben – mit 95 Kilo. Er gewann durch technischen K.o. in Runde zwei – und begann zu glauben, dass er es noch einmal schaffen könnte. „Ich bin mir vollkommen sicher, dass ich es diesmal nicht versaue“, sagt er.

Vielleicht hat man von keinem anderen in Deutschland bekannten Profiboxer so oft gehört, dass er seine Fehler bereue, dass von nun an alles anders werde, weil er sich geändert habe und er es beweisen werde, wenn er nur noch diese eine Chance bekomme. Und ganz sicher sogar gibt es keinen Profiboxer, der seine Verfehlungen so aufrichtig bereut wie Gomez. Und der es trotzdem immer wieder schaffte, dieselben Fehler zu wiederholen, ohne dass ihn irgendjemand dazu gezwungen hätte. „Niemand außer mir macht denselben Fehler zweimal. Ich bin in Sachen Fehler ein Wiederholungstäter“, sagt er.

Zu viel Wahnsinn für ein einziges Leben

Gomez dabei zuzuhören, wie er über sein Leben spricht, ist wie der Genuss einer 300-Gramm-Tafel Schokolade. Man verschlingt Stück um Stück, man kann nicht genug bekommen, und am Ende hat man Bauchweh, weil es zu viel ist, um in einen Magen zu passen. Im übertragenen Sinne: zu viel Wahnsinn für ein einziges Leben.

1995 hatte sich Gomez beim Chemiepokal in Halle an der Saale von Kubas Nationalstaffel abgesetzt und war zum Universum-Profistall nach Hamburg in die Trainingsgruppe von Fritz Sdunek gekommen. Der Chefcoach erkannte schnell, was für ein Juwel ihm vor die Pratzen geflüchtet war. „Juan war wohl das größte Bewegungstalent, das ich je gesehen habe“, sagt er. Das Problem war, dass der lebenslustige Kubaner sich nicht nur im Ring zu bewegen wusste, sondern auch im Leben so ziemlich jeder Versuchung erlag.

Sieben Kinder von sieben verschiedenen Frauen

Gomez rauchte Zigarren, er trank Cuba Libre wie andere Wasser, die Werte, die ihn interessierten, waren nicht die, die Sdunek in sein Trainingsprotokoll notierte. Alle wussten, dass Gomez so ziemlich jede Frau beglückte, die nicht bei drei auf dem Baum war, und oft genug machte er sich nicht einmal die Mühe zu zählen. Sieben Kinder von sieben verschiedenen Frauen sind verbürgt, eine davon ist Sduneks Tochter Kati, mit der Gomez die gemeinsame Tochter Delia hat.

Wegen seiner Unzuverlässigkeit im privaten und sportlichen Bereich beendete Sdunek im Jahr 2000 das Trainerverhältnis zu seinem Schwiegersohn, den er 1998 in Argentinien zum Gewinn des WBC-WM-Titels geführt hatte. Es war der Anfang vom Abstieg für Gomez. Zweimal floh er wegen Steuerschulden in die USA, kehrte reumütig zu Universum zurück und vergab seine letzte Chance, das Vertrauen von Stallgründer Klaus-Peter Kohl zurückzugewinnen, als er im Oktober 2005 nach einem Kampf positiv auf Kokain getestet wurde. Am Boden zerstört floh er erneut nach Kalifornien, schloss sich dort den Black Muslims an, konvertierte zum Islam, wurde vom türkischstämmigen Promoter Ahmet Öner zum Hamburger Arena-Stall zurückgeholt. Unter dessen Flagge kämpfte er im März 2009 gegen Vitali Klitschko um die Schwergewichtskrone, verlor in Runde neun, es war sein letzter großer Kampf und der letzte große Zahltag.

Alkohol ist nur noch selten erlaubt

Von den Millionen, die er verdient hat, ist nichts geblieben. Gomez hatte nie eine besondere Beziehung zu Geld, er gab es nicht nur für unnützen Luxus wie teure Autos aus, sondern half Familie und Freunden. Es ist diese Mischung aus Naivität und Gutherzigkeit, die ihn immer wieder ins Verderben geführt hat, die ihm aber andererseits auch ermöglicht hat, dass ihm kaum einer der unzähligen Menschen, die er enttäuscht hat in seinem Leben, dauerhaft böse sein kann. „Ich würde gern viele Fehler rückgängig machen, vor allem wäre ich gern ein besserer Vater für meine Kinder gewesen“, sagt er, „andererseits bereue ich auch nichts, denn ich bin, wie ich bin.“ Showtime ist ihm nie schwergefallen, er musste nicht schauspielern, denn seine Lebensfreude ist das, was ihn am Leben erhalten hat.

Seine Sylke hat Juan Carlos Gomez vor zwei Jahren kennengelernt, über gemeinsame kubanische Freunde. Sie ist 47 Jahre alt, passionierte Salsatänzerin, leitende Angestellte in einer Rechtsanwaltskanzlei. Seit ein paar Monaten leben beide gemeinsam in Wandsbek. Sie kann es sich leisten, einen Mann auszuhalten. Es braucht kein langes Gespräch mit ihr, um zu wissen, warum Gomez an seine allerletzte Chance glaubt. Sie versteht ihn nicht nur, weil sie perfekt Spanisch spricht, sondern weil sie seine kubanische Seele durchblickt. „Juan ist manchmal wie ein kleines Kind. Aber ich will ihm die Kraft geben, sein Leben zu meistern“, sagt sie. Sie lässt ihm Freiheiten in eng gesteckten Grenzen. Alkohol ist nur noch selten erlaubt, ausgehen tun beide nur gemeinsam, von alten Freunden halten sie sich fern. Und Gomez macht mit, nicht nur weil er muss, um sie nicht zu verlieren, sondern vor allem weil er es will. „Diesen Willen habe ich gespürt. Hätte er ihn nicht, würde es keinen Sinn haben“, sagt Sylke.

„Fritz ist der beste Trainer der Welt“

Zusammen haben sie es geschafft, Sdunek davon zu überzeugen, noch einmal in Gomez’ Ringecke zurückzukehren. Es war der letzte Schritt, den der sensible und bisweilen schüchterne Boxer brauchte, um an das Comeback zu glauben. „Fritz ist der beste Trainer der Welt, er ist wie ein Vater. Mit ihm kann ich alles schaffen“, sagt er. „Ich habe Juan wochenlang getestet, um zu sehen, ob er es ernst meint und was noch möglich ist. Und jetzt sage ich: Wenn er so weitermacht, kann er noch einmal Weltmeister werden“, sagt der 66 Jahre alte Coach. Am Sonntag reisen sie gemeinsam ins Trainingslager nach Budapest, dort soll Gomez am 8. März einen Aufbaukampf bestreiten.

Natürlich träumt der „schwarze Panther“, wie Gomez in Boxerkreisen heißt, noch einmal vom Titel, vom großen Geld. Aber vor allem stemmt er sich gegen das Karriereende, weil er weiß, dass er nichts anders kann als boxen. „Boxen ist mein Leben. Ohne Boxen bin ich nichts“, sagt er. Zu lange war er auch mit Boxen nichts mehr. Juan Carlos Gomez hat jetzt die allerletzte letzte Chance, das zu ändern.