Die Winterspiele in Sotschi kosten 37,5 Milliarden Euro – so viel wie nie zuvor. Heftige Kritik am Gigantismus des IOC

Sotschi. Am Sonntag brüstete sich Kremlchef Wladimir Putin im Staatsfernsehen damit, den Austragungsort für die ersten Winterspiele in Russland selbst ausgesucht zu haben. Vor mehr als zehn Jahren sei er mit einem Geländewagen in der Region Sotschi unterwegs gewesen und habe beschlossen, von dort ein neues Russland aufzubauen. „Es ist besonders schön zu sehen, was hier passiert, weil ich den Ort selbst gewählt habe“, sagte Putin.

Auch IOC-Präsident Thomas Bach lobte am Montag bei seinem ersten Auftritt in Sotschi die Putin-Spiele als ausgezeichnet organisiertes Winterspektakel für die Athleten – und als Beleg dafür, dass das IOC mit seinem Hochglanzprodukt hilft, ein Land und dessen System besser zu machen: „Die Olympischen Spiele sind ein Meilenstein für die Einwicklung von Wintersport“, erklärte der 60-Jährige. 87 teilnehmende Nationen und TV-Übertragungen in mehr als 200 Ländern seien Rekord.

Felix Neureuther fordert angesichts des Kommerzes ein Umdenken

Was aber ist mit den massiven Umweltsünden in der Bergregion Krasnaja Poljana, der Ausbeutung von Wanderarbeitern, die Menschenrechtsorganisationen als „Missbrauch“ bezeichnen? Dem harsch kritisierten Anti-Homosexuellen-Gesetz, der Terrorgefahr oder der immer wieder kolportierten Korruption? Bach tat sich mit überzeugenden Antworten schwer. Der deutsche IOC-Chef begründete die Vergabe der Reißbrettspiele an Sotschi mit dem Neuaufbau eines neuen Wintersportzentrums in Russland nach der Auflösung der Sowjetunion. Dieses Projekt sei dem IOC vorgestellt und 2007 in Guatemala-Stadt gewählt worden.

Doch auch kurz vor dem Start der Snowboard-Wettbewerbe am Donnerstag, einen Tag vor der offiziellen Eröffnung, reißt die Kritik am Austragungsort nicht ab. „Ich glaube, man muss umdenken, den Sport wieder in den Mittelpunkt stellen“, forderte Felix Neureuther. „Wenn man Olympische Spiele an Orte gibt, und die Menschen den Eindruck haben, dass Olympische Spiele nur dort stattfinden, wo es sich aus kommerziellen Gründen lohnt oder aus welchen Gründen auch immer – dann werden einfach keine Emotionen geweckt.“ Neureuther stößt sich auch an den Luxushotels, in denen die IOC-Funktionäre wohnen. Ihm sei es egal, dass er im olympischen Dorf auf 15 Quadratmetern wohne. „Aber warum sollen die Herren vom IOC nicht genauso wohnen wie wir Sportler? Um wen geht es bei Olympia eigentlich? Ist das der Geist von Olympia?“

Imageschädigend wirkte besonders die Kostenexplosion. 2006 stand in der 473-seitigen Bewerbung Sotschis noch: „Durch ein Olympiagesetz der Regierung wird Preiskontrolle hergestellt. Es schafft günstige Marktbedingungen und es bietet Schutz für die olympische Bewegung. Zum Wohle der olympischen Bewegung und der Olympischen Winterspiele steht Russland in höchstem Maße zu seiner finanziellen Verantwortung.“ Die Wahrheit sah anders aus. Aus den zunächst veranschlagten 10,7 Milliarden Dollar, davon 1,52 Milliarden Dollar für die reinen Organisationskosten, sind inzwischen 51 Milliarden Dollar (37,5 Milliarden Euro) geworden, mit einem von russischen Experten geschätzten Korruptionsanteil von 30 bis 40 Prozent. Olympischer Höhenrausch mal anders. Zum Vergleich: 850 Millionen Euro betrug das Budget der Winterspiele von Lillehammer (Norwegen) 1994.

In Sotschi jedoch soll allein die Straße, die den Küstenort mit der Wintersportregion Krasnaja Poljana im Kaukasus verbindet, 6,4 Milliarden Euro gekostet haben. Acht Millionen Euro verschlingt das Einlagern von Schnee, das die Wettkämpfe gegen frühlingshafte Temperaturen sichern soll.

Pleiten und Pannen gab es trotz der hohen Kosten zuhauf. Am Wochenende waren erst drei von 20 Hotelkomplexen in der Bergregion fertiggestellt und bis Montag nur sechs von neun Medienhotels voll funktionsfähig. Insgesamt 24.000 Zimmer seien abgenommen worden, erklärte Bach am Montag. „Bei drei Prozent hat es Probleme gegeben, die es zu lösen gilt.“

Größtes Ärgernis waren aber die Skisprungschanzen mit einer zweijährigen Verspätung und einer Kosten-explosion von 35 Millionen auf 230 Millionen Euro. Zu allem Überfluss kam auch noch heraus, dass der Hang abrutscht. Besonders viele Jahre dürften die Schanzen kaum überleben. „Ich sage immer scherzhaft: Die Schanzen werden in zehn Jahren nicht mehr oben am Berg stehen, sondern unten am Meer“, sagte der Schweizer Gianfranco Kasper, Chef des Ski-Weltverbandes FIS. Die Kosten seien „ein Wahnsinn. Wir wollen sicher gute, schöne Anlagen, aber die sollen nicht Milliarden kosten. Das macht den Sport kaputt.“

Bei all diesen Negativmeldungen wunderte es kaum, dass die Premiere in die Wettbewerbe misslang. Snowboard-Slopestyler Torstein Horgmo aus Norwegen, ein Kandidat für die Medaillenränge, brach sich im ersten Training das Schlüsselbein. Die FIS musste die Strecke in Krasnaja Poljana daraufhin entschärfen.