Der Judo-Olympiasieger baut sich bei einer Beratungsgesellschaft in Hamburg ein neues berufliches Standbein auf – trotz Angebote sein Wissen als Trainer oder Funktionär weiterzugeben.

Hamburg. Für den Termin mit dem Abendblatt macht Ole Bischof eine Ausnahme: Er genehmigt sich ein Mittagessen. Oft genug lässt er es inzwischen aus, weil viel zu tun ist, na klar, aber vor allem um seinen Körper daran zu gewöhnen, dass er nicht mehr der eines Leistungssportlers ist, der mit fünf bis sechs Mahlzeiten am Tag auf Touren gehalten werden will. 81 Kilogramm, Halbschwergewicht, das war seine Klasse, kaum ein Judoka war in dieser erfolgreicher war als er: Olympiasieger 2008, Olympiazweiter 2012, dazu Gold, Silber und Bronze bei Welt- und Europameisterschaften. Das Gewicht hat er gehalten, dem Augenschein nach. „Aber jetzt darf ich nur noch die Hälfte essen“, sagt Bischof. Eine Vorspeise oder einen Nachtisch wird er nicht bestellen.

Das mit dem Essen ist noch die geringste Umstellung, die das neue Leben des Ole Bischof, 34, so mit sich bringt. Er hat sich daran gewöhnt wie an den feinen Anzug, den er jetzt trägt, weil das bei seinem Arbeitgeber nun mal dazugehört: PricewaterhouseCoopers, einem Global Player im Bereich Wirtschaftsprüfung und Unternehmensberatung. Bischofs Arbeitsbereich in diesem riesigen Unternehmensverbund nennt sich Finance & Regulation und ist an der Gasstraße in Bahrenfeld angesiedelt. Konkret geht es darum, die Bonität ausländischer Besteller zu bewerten und im Auftrag des Bundes Exportkredite für deutsche Mittelständler zu sichern, die das Risiko nicht selbst tragen können, auf dem freien Finanzmarkt aber keine Chance hätten.

Ein komplexes Thema und ein wichtiges allemal. Laut einer Studie des ifo-Instituts würden allein in Deutschland 200.000 Arbeitsplätze dadurch gesichert oder neu geschaffen, erzählt Bischof. Er hat nach gut einem Jahr inzwischen die wichtigsten Abteilungen seines Bereichs durchlaufen. Jetzt erwarte man von ihm, dass er „Produktives liefere“. Trotzdem betrachte er sich immer noch als Anfänger: „Lernbereitschaft und Demut sind für mich zwei große Themen.“ Wenn man einen Vergleich mit dem Judo anstellen wolle, dann habe er jetzt den Gelben Gurt.

In Wirklichkeit hat Bischof den fünften Dan, ein höherer Schwarzgurt wird in Deutschland nicht vergeben. Er hat Angebote bekommen, sein Wissen als Trainer oder Funktionär weiterzugeben, sich aber dagegen entschieden: „Meine Ziele als Sportler hatte ich alle erreicht. Ich war nach Olympia in London an einem Punkt, an dem alles gesagt und getan war. Um wieder frisch zu werden, hatte ich das Gefühl, den Kopf heben zu müssen, um etwas anderes zu sehen.“ Eine neue Stadt, einen neuen Beruf, ein neues Leben.

Nicht allen erfolgreichen Sportlern gelingt der Übergang zur zweiten Karriere derart geschmeidig. Bischof hat sich, nach dem Abitur in seiner schwäbischen Heimatstadt Reutlingen, darauf vorbereitet, so gut es neben dem Leistungssport eben möglich war. Hat in Köln ein Studium in Volkswirtschaft abgeschlossen, Schwerpunkt Statistik, und Praktika absolviert.

Den Kontakt zu seiner Firma hat er dann über den Sport bekommen. Einen Olympiasieger-Bonus aber gab es nicht. Im Auswahlverfahren bekam Bischof einen Stapel Akten auf den Tisch geknallt und 30 Minuten Zeit, daraus einen Vortrag zu entwickeln. Dazu kam noch ein Interview auf Englisch. Bischof bestand die Prüfung und hatte den Job in Hamburg, der Stadt, die er bis dahin kaum gekannt hat, die es ihm aber angetan hatte, seit er nach den Olympischen Spielen in London mit der MS Deutschland hier einlief.

Einen Vortrag zu halten ist nichts, was Bischof noch groß ins Schwitzen brächte. Es gehört seit dem Olympiasieg in Peking 2008 zu seinem Leistungsangebot. Themen: „Mit Kampfgeist zum olympischen Erfolg“ und „Mut im Wettbewerb mit Asien“. Wie er sich als Deutscher in einer asiatischen Domäne behaupten konnte, das ist die Geschichte, die Bischof glaubwürdig erzählen kann. Das Spektrum der Kunden reicht von Banken und Versicherungen über Universitäten bis zum Bundeskriminalamt. Buchungen gingen immer noch ein.

Von seinem Olympiasieg könnte Bischof auch bald sechs Jahre danach immer noch gut leben. Er hat eine App für Smartphones entwickelt, auf denen er die acht wichtigsten Judotechniken erklärt. Sie verkauft sich prächtig. An Wochenenden bietet er häufiger Trainingslehrgänge an. Schon deshalb kann Ole Bischof mit dem Judo nicht einfach so aufhören. Vor allem aber, weil dieser Kampfsport für ihn immer mehr gewesen sei als eine reine Bewegungsform: eine Schule für Werte wie Mut, Disziplin, Kampfgeist, Respekt. Statt 25 seien es allerdings nur noch vier Stunden Zeit, die er pro Woche für den Sport einplane. Dann fahre er zum offenen Training am Leistungsstützpunkt und mische sich unter die Kämpfer des Hamburger Landeskaders.

Einen Comebackversuch für die Spiele in Rio 2016 schließt er aus. Schon die Qualifikation wäre eine große Hürde: „Ich bin dann fast 37. Mit Erfahrung kann einiges herausgeholt werden, aber die Leistungsdichte im Judo ist zu hoch, um körperlich mit 24-Jährigen mithalten zu können.“

Dass er sich irgendwann wieder intensiver dem Judo zuwendet und dem Sport etwas zurückgibt, will Bischof trotzdem nicht ausschließen. Ein sportliches Ziel aber habe er nicht mehr. Was soll man auch mehr erreichen als einen Olympiasieg, im Sport, aber auch im Leben danach? „Ein Ziel, das mit der Größe von Olympia zu vergleichen wäre, muss ich mir im Beruf noch aufbauen“, sagt Bischof.

Er wird wohl auch das schaffen.