Der Österreicher Thomas Diethart steht vor dem Sieg bei der Vierschanzentournee. Die Deutschen springen nur hinterher.

Bischofshofen. Das erste Problem seiner jungen Weltcup-Karriere löste Thomas Diethart ziemlich lässig. Ganz so, wie er derzeit von den Schanzen springt. „Nennt mich einfach Ditl. Das passt schon“, sagte der 21-Jährige. Denn einen skispringenden Thomas aus Österreich gibt es ja schon, den Morgenstern, Dietharts großes Vorbild. „Ein lässiger Typ“, sagt der Überraschungsmann dieser Vierschanzentournee über den 27 Jahre alten Olympiasieger Morgenstern und schaut ihn bewundernd von der Seite an.

Für Christa und Gernot Diethart, die Eltern des Skispringers aus Michelhausen, verlaufen diese Tage allerdings nicht ganz so lässig. „Mein Vater braucht danach mehr Erholung als ich“, sagt der erfolgreiche Sohn. Es ist einfach zu aufreibend, schließlich steht ihr Junge vor der großen Sensation dieses Winters.

Denn der Mann, der aus dem Nichts kam, wirbelt die Skisprungwelt durcheinander. Nach drei von vier Tourneewettbewerben führt er die Gesamtwertung vor dem Schweizer Olympiasieger Simon Ammann an und geht als Favorit in das letzte Springen an diesem Montag in Bischofshofen (16 Uhr, ZDF und Eurosport). Diethart galt schon immer als großes Sprung- und Bewegungstalent. Allerdings hatte er es seinen Trainern nicht immer einfach gemacht.

2011 tauchte er einmal kurz im Weltcup-Zirkus auf, verschwand aber ebenso schnell wieder. Er kämpfte sich durch zweit- und drittklassige Wettbewerbe, bis er am 21. und 22. Dezember 2013 in Engelberg in der Schweiz auf die Plätzevier und sechs sprang. Das sah schon ziemlich beeindruckend aus. Was dann aber bei der Vierschanzentournee passierte, gleicht einem Märchen: Platz drei in Oberstdorf. Sieg beim Neujahrsspringen und Führung im Gesamtklassement. Rang fünf in Innsbruck und Führung verteidigt. „Das alles ist der Wahnsinn“, sagt er – und bleibt dabei recht unaufgeregt.

Die Begeisterung der Massen und die Erwartungen scheinen Diethart kaltzulassen. Im Gegenteil: „Der Druck motiviert mich“, sagt er. Sein erfahrener Teamkollege Morgenstern weiß: „Er ist sehr selbstbewusst und hat keine Nerven.“ Bei allem skispringerischen Können ist das wohl derzeit Dietharts größte Stärke. Er lässt sich einfach nicht beirren und ist mental enorm stark. Lässig eben.

Anders ist sein Aufstieg nicht zu erklären. Bundestrainer Werner Schuster sagt: „Diese Entwicklung war nicht absehbar, dass er reinkommt und auf jeder Schanze unter die Top fünf springt.“ Denn kaum ein Nachwuchsspringer flog nach dem ersten Erfolgserlebnis im Weltcup auf gleichbleibend hohem Niveau – erst recht nicht bei der Tournee. Wer hier siegen will, braucht in der Regel eine Menge Erfahrung. Bei Diethart ist das scheinbar anders. „Nicht zu viel nachdenken“, ist sein Motto – und es funktioniert.

Diethart ließ sich auch am Sonnabend durch die Windlotterie in Innsbruck nicht beeindrucken. Beim Überraschungssieg des Finnen Anssi Koivuranta nach nur einem Durchgang wahrte er als Fünfter die Chance auf den Gesamtsieg, während die deutschen Springer wieder einmal hinterherflogen – Richard Freitag, Marinus Kraus, Severin Freund und Andreas Wellinger landeten auf den Plätzen elf, 13, 15 und 18.

Beim Qualifikationstraining für das abschließende Springen in Bischofshofen setzten am Sonntagabend Marinus Kraus als Vierter und Richard Freitag als Sechster ein Ausrufezeichen. Souverän trumpfte jedoch einmal mehr Thomas Diethart auf. Hinter dem Slowenen Peter Prevc sprang er auf Platz zwei. Klar, dass der Bürgermeister aus Michelhausen schon mit einer Fangruppe nach Bischofshofen gereist ist. In der niederösterreichischen Gemeinde wird für das Abschlussspringen eine Videoleinwand aufgebaut. Aufgetischt wird dort vermutlich der „Ditl-Burger“.

Zum Tourneestart hatte Diethart noch nicht einmal eine Webseite oder Autogrammkarten. Jetzt hat er plötzlich 20.000 Facebook-Fans und bekam jede Menge Liebesbriefe.