Die deutschen Skispringer können zum Auftakt der Vierschanzentournee zwar nicht ganz mithalten, aber die neue Lasershow kommt bestens an

Oberstdorf. Sie hatten ihn schon abgeschrieben. Und dann stand er da. Simon Ammann, der zweimalige Doppelolympiasieger aus der Schweiz, wartete im Auslauf der Schanze und starrte gebannt auf die Anzeigetafel. Mit ihm zitterten 25.500 Zuschauer. Und dann jubelten sie gemeinsam, Ammann und die versammelten Skisprungfans aller Nationen. Zweieinhalb Jahre hatte der 32-Jährige keinen Weltcup gewonnen, jetzt siegte er zum Auftakt der Vierschanzentournee in Oberstdorf. Ammann schüttelte noch Minuten später lächelnd den Kopf.

Hinter dem Schweizer flog Anders Bardal (Norwegen) auf Platz zwei. Rang drei teilten sich der Österreicher Thomas Diethart und der Slowene Peter Prevc. Die Deutschen konnten mit den Besten der Welt an diesem Tag nicht mithalten. „Ich bin zwiegespalten. Wir haben vorne leider keinen hineingebracht“, sagte Bundestrainer Werner Schuster. „Jetzt heißt es weiterfighten.“

Es war nicht der glanzvolle Auftakt, den sich die deutschen Skispringer erhofft hatten. Sie wollen bei der Vierschanzentournee um Tagessiege mitkämpfen – „am besten gleich in Oberstdorf“, hatte Schuster gesagt. An der Spitze jedoch lieferten sich andere Athleten den Kampf. Aber es war auch kein Desaster. Nichts gewonnen – nichts verloren. Zumindest nicht alles.

Marinus Kraus, 22, sprang sensationell, Severin Freund, 25, solide, und Michael Neumayer, 34, überraschte. „Das ist der Wahnsinn“, jubelte Kraus nach Platz acht. Freund legte zwar im ersten Durchgang einen guten Sprung hin, hatte aber nicht die besten Bedingungen im Flug. Im zweiten Durchgang ließ er „einige Meter liegen“, wie er sagte. Für Deutschlands Nummer eins wäre deutlich mehr möglich gewesen. „Es kommen noch sechs Sprünge, da ist noch nichts entschieden in der Gesamtwertung“, sagte er.

Der Tourneesieg scheint für ihn oder einen seiner Teamkollegen jedoch schon nach dem ersten Wettbewerb außer Reichweite. Ein Podestplatz ist für Freund mit drei guten Wettbewerben aber noch drin. Hinter Freund sprang Routinier Neumayer auf Rang elf.

Andreas Wellinger und Richard Freitag flogen hingegen ihren eigenen Erwartungen und denen der Zuschauer hinterher. Wellinger landete auf Platz 29, der zuletzt verletzte Freitag verpasste den zweiten Durchgang.

Der erstaunlichste Mann des Tages war aber Noriaki Kasai. Wer Martin Schmitt, 35, einen Skisprungoldie nennt, dem fehlen für den 41 Jahre alten fliegenden Japaner die Worte. Kurios, dass ausgerechnet diese beiden Publikumslieblinge in ihrem gehobenen Sportleralter im ersten Durchgang gegeneinander antreten mussten. Das Duell der besonderen Art war eine klare Sache – Kasai springt derzeit wie ein Jungspund. Dabei ist er mehr als doppelt so alt wie beispielsweise Andreas Wellinger. Ob nun der deutsche Youngster oder Altmeister Schmitt – mit Kasai konnten sie nicht mithalten. Schmitt nahm sein Aus im ersten Durchgang mit einem zaghaften Winken hin und sagte: „Schade, aber Noriaki ist in einer Wahnsinnsform.“ Sein Winken hatte aber wohl noch eine weitreichendere Bedeutung. Ob dies hier eben sein letzter Weltcupsprung in Oberstdorf gewesen sei, wurde er gefragt. Die Antwort war eindeutig: „Davon gehe ich aus.“ Das Karriereende des einstigen Vorspringers der Deutschen scheint nicht mehr weit zu sein.

Kasai hingegen denkt nach Rang sechs noch längst nicht ans Aufhören. Neben dem Japaner und Ammann gab es an diesem Tag in Oberstdorf noch 25.500 weitere Gewinner: die Zuschauer im Stadion. Endlich hatten sie dank einer virtuellen Führungslinie wieder den Durchblick. Die Gate- und Windregel hatte das Liveerlebnis in den vergangenen Jahren undurchsichtig und schwer nachvollziehbar gemacht. Was einst galt, zählte nicht mehr: Wer am weitesten springt und einen blitzsauberen Telemark setzt, gewinnt.

So einfach ist es seit den Kompensationspunkten nicht mehr. Manches Mal trauten sich weder Sportler noch Zuschauer, über einen weiten Flug zu jubeln. Wer wusste schon genau, wie viele Punkte wegen des Windes noch abgezogen werden? Ein gutes Beispiel für die Regel lieferte der erste Durchgang in Oberstdorf: Neumayer sprang auf grandiose 135,5 Meter und damit 5,5 Meter weiter als Kraus, sein Gegner im direkten Duell. Der Youngster hatte aber deutlich schlechtere Bedingungen und lag am Ende wegen der Windpunkte vorn.

Die Fernsehzuschauer konnten so etwas dank der virtuellen Linie auf dem Aufsprunghang schon in der Vergangenheit besser einschätzen. Wer sie überspringt, geht in Führung. Meistens jedenfalls. In Oberstdorf zauberten die Organisatoren und der Weltverband Fis jetzt erstmals in einem Wettkampf einen grünen Laserstreifen als Führungslinie auf den Schnee. „Ich sehe das als notwendigen und überfälligen Schritt“, sagte Schuster. Jetzt können die Leute anders mitfiebern und die Sportler ihre Emotionalität mehr ausleben. Die Zuschauer vor Ort haben es verdient zu wissen, was vorgeht.“

In Oberstdorf hätten die überwiegend deutschen Fans aber wohl manches Mal lieber nicht so genau gewusst, was sie von dem Sprung ihrer Adler halten sollten. Immerhin, Freunds und Kraus’ Ausgangsposition für einen Podestplatz in der Gesamtwertung ist noch vorhanden. Und Wellinger und Freitag können sich jetzt darauf konzentrieren, bei einem der restlichen drei Springen zu zeigen, dass sie nicht nur bei normalen Weltcups auf das Podest fliegen können. Die nächste Chance haben sie schon am Neujahrstag in Garmisch-Partenkirchen.