Der frühere Mittelgewichts-Champion Sebastian Zbik hat das Profi-Boxen nach acht Jahren hinter sich gelassen und unterrichtet jetzt Kinder und Jugendliche an einem Sportgymnasium in Schwerin.

Schwerin. Plötzlich ist er da, dieser Moment, in dem der Ruhm vergangener Tage aufblitzt. „Sind Sie das da auf dem Plakat?“, fragt einer der Siebtklässler, die nach Luft ringend vor Sebastian Zbik auf dem Ringboden sitzen. Viele Menschen würden jetzt um einige Zentimeter wachsen und sich im Lichte ihrer Bedeutung sonnen. Zbik guckt kurz nach links, wo an der Wand der neuen Boxhalle eins das Poster hängt, auf denen einer seiner früheren Kämpfe beworben wird, nickt kurz, „ja, das bin ich“, und stellt seinen Schülern dann die nächste Aufgabe. 30-mal Oberkörper-Aufrichtung bitte, so heißen am Schweriner Sportgymnasium die Sit-ups. Die Jugendlichen legen sich auf den Rücken und fangen an zu arbeiten, ohne zu murren. Zbik lächelt.

Das hier sind jetzt seine Erfolge. In seinem neuen Leben geht es nicht mehr um Geld, Titel oder beides zusammen, sondern darum, junge Sportler auf den richtigen Weg zu bringen. Sebastian Zbik, 31 Jahre alt, war acht Jahre lang Profiboxer im Hamburger Universum-Stall, er war WBC-Weltmeister im Mittelgewicht von Januar bis Juni 2011. Und er war der Mann, der im November 2012 das Ende einer langen Erfolgsgeschichte besiegelte, weil er gegen Universum einen Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens stellte. Ein gutes Jahr später ist Zbik angekommen im Leben nach dem Profisport, und wer ihn an seiner neuen Wirkungsstätte in Schwerin besucht, der trifft einen Menschen, der diese Zufriedenheit ausstrahlt, die nur jemand haben kann, der mit sich im Reinen ist.

Anfang des Jahres hatte der gebürtige Neubrandenburger bei einem dreimonatigen Trainingslager in Ungarn versucht, seine Gedanken zu ordnen. Im April 2012 hatte er seinen letzten Kampf bestritten, er verlor in der neunten Runde gegen Felix Sturm. Seine Kampfbörse, stattliche 187.000 Euro, blieb Universum-Chef Waldemar Kluch schuldig, auch noch, als Zbik ihn drei Monate später wegen Veruntreuung verklagte. Bis heute wartet er auf eine Entschädigung aus der Insolvenzsumme. Schlimmer noch: Die 5000 Euro, die er als Abschlagszahlung erhalten hatte, forderte der Insolvenzverwalter zurück, der Gerichtsstreit darüber dauert an. „Ich musste einfach einen Strich ziehen und das ganze Elend hinter mir lassen“, sagt Zbik.

In Ungarn arbeitete er im Gym seines früheren Trainingskollegen Karoly Balzsay als Trainer, er hatte schon während seiner aktiven Zeit Managerboxen angeboten, hatte die Trainer-A-Lizenz erworben und an der Europäischen Fachhochschule für Sport und Management in Potsdam ein Studium des Leistungs- und Wettkampfsports aufgenommen. Und als er im April wieder in Deutschland war, wusste er, dass in der Anleitung anderer Menschen nicht nur eine Passion, sondern seine Zukunft liegen sollte.

Am Sportgymnasium in Schwerin sehen sie das auch so. Zbik war hier selbst Schüler, 2001 machte er sein Abitur, Schulleiter Albrecht Tischendorf war sein Sportlehrer. „Sebastian ist ein Mann mit Ausstrahlung, er ist bescheiden, weiß aber genau, was er will. Das war schon früher so, deshalb war ich mir sicher, dass er es hier packen kann, als ich hörte, dass er Sportlehrer werden will“, sagt der Direktor. Das Sportgymnasium Schwerin, eine Eliteschule des Sports, kooperiert mit dem Olympiastützpunkt (OSP), an dem Boxen ein Schwerpunktsport ist. Michael Timm, lange Jahre Coach bei Universum und seit August 2012 Cheftrainer am OSP, hatte seinen ehemaligen Schützling Zbik im April in sein Team geholt, ihm eine vom Landessportbund finanzierte volle Stelle als Boxtrainer ermöglicht. Und weil Tischendorf es wichtig findet, dass seine Schüler ihre Lehrer als Vorbilder ansehen, hat er Zbik zusätzlich eine halbe Stelle angeboten.

In zwölf Wochenstunden ist der Ex-Profi nun seit August dafür zuständig, Sportklassen der Jahrgänge fünf bis zehn im athletischen Bereich auf Zwischen- oder Abschlussprüfungen vorzubereiten. Er ist als Trainer angestellt, nicht als Lehrer, dafür fehlt ihm ein abgeschlossenes Pädagogikstudium, aber das will er auch gar nicht. „Ich möchte schon im Leistungssport bleiben, und Boxen ist mein wichtigstes Feld. Aber natürlich halte ich die Augen offen, man weiß ja nie, was für Chancen sich bieten. Und in der Schule habe ich die Möglichkeit, mit verschiedensten Charakteren umgehen zu lernen“, sagt er. Im Studium in Potsdam hat er einiges über Didaktik gelernt, über Trainingslehre und pädagogische Ansätze. Er kann auch Volleyball oder Leichtathletik unterrichten. Aber die Praxis, die volle Dröhnung wahren Lebens, die bekommt er von seinen Schülern.

Natürlich ist die Arbeit als Sportlehrer an einem Sportgymnasium dankbarer als der Frontalunterricht, den viele Pädagogen vor einer unmotivierten Klasse durchziehen müssen. „Meine Schüler wollen lernen, sie ziehen mit. Das macht es mir einfach“, sagt er. Lang sind seine Arbeitstage trotzdem, von 7 bis 11 Uhr ist Boxtraining, bis auf donnerstags hat er von 11.30 bis 14.30 Uhr Schulunterricht, ehe von 15.30 bis 19 Uhr der zweite Box-Block ansteht. Wenn er an den Wochenenden mit seinen Athleten auf Wettkämpfe fährt, was die Regel ist, dann häufen sich die Sieben-Tage-Wochen, hinzu kommt der wochenweise Blockunterricht an der Fachhochschule, den Stoff dafür muss er abends aufarbeiten. „Ich bin zwar total kaputt, wenn ich ins Bett falle, aber ich stehe jeden Morgen mit einem Lächeln auf und freue mich auf die Arbeit“, sagt er. Dieses Gefühl hatte er in seinen letzten Profijahren zu häufig vermisst. Auch deshalb weint er seiner aktiven Karriere nicht hinterher. „Ich habe noch zu ein paar Leuten von damals Kontakt, wir waren ja ein tolles Team. Aber ich bin unglaublich froh, dass ich den Absprung geschafft habe“, sagt er.

Zbik ist keiner, der exzessiv vorturnt oder sich zum Mitmachen unter die jungen Sportler mischt. Er erklärt mit wenigen Worten, klaren Anweisungen, er spricht deutlich, aber nie lauter als nötig. Er ist als Lehrer so wie als Profiboxer keiner, der sich in den Vordergrund drängt, der aber dennoch genau weiß, wo er ankommen will. „Sebastian belehrt die Schüler nicht nur, er erzieht sie auch. Das ist unheimlich wichtig und hat ihm den Respekt des gesamten Kollegiums eingebracht“, sagt Tischendorf. „Man braucht eine Distanz zu den Schülern, damit man ernst genommen wird. Bei meinen Boxern ist das anders, die kennen mich alle, aber viele Schüler wissen gar nicht, wer ich bin. Und ich möchte, dass sie mich als Lehrer respektieren und nicht als ehemaligen Weltmeister“, sagt Zbik.

Das ist wieder charmant untertrieben, denn natürlich wissen die meisten Schüler, wen sie vor sich haben, die Sporthalle hängt voll mit Postern, die sein Konterfei zeigen. „Das ist schon cool, einen Weltklasseathleten als Lehrer zu haben. Für uns ist das eine tolle Motivation“, sagen Lukas, Tim und Yannik, drei Siebtklässler. Sie sind Leichtathleten, den Boxer Zbik kennen sie trotzdem. Die Stunde ist beendet, die jungen Leichtathleten, Fechter und Volleyballer haben sich verabschiedet, Sebastian Zbik verlässt in Trainingsklamotten die Sporthalle. Auf dem Weg in die Pause wird er von einer Gruppe Fünftklässlerinnen aufgehalten. „Herr Zbik“, rufen sie, „Sie wollten uns doch Autogramme mitbringen!“ Sebastian Zbik lächelt still. Er ist jetzt ein Lehrer, der Autogramme gibt.

Er hat sein Glück gefunden.