Der afghanische Profiboxer Hamid Rahimi spricht vor seinem Benefizkampf in Hamburg am 15. November über den Weg, der ihn vom kriminellen Flüchtling zum Kämpfer für den Frieden führte.

Hamburg. Am 15. November hat Hamid Rahimi einen dieser Termine, die er besonders liebt. In der Messe Schnelsen bestreitet der afghanische Mittelgewichts-Boxprofi um 20 Uhr einen Benefizkampf gegen den Journalisten und Afghanistan-Experten Boris Barschow, 46. Die Erlöse aus dem Duell kommen dem Aufbau einer Journalistenschule in Kabul zugute, den der 30-Jährige in Kooperation mit der Journalistenschule München vorantreibt. Boxen und Gutes tun – es sind die Dinge, die Rahimis Leben heute bestimmen. Das war nicht immer so, wie er in seiner kürzlich erschienenen Biografie „Die Geschichte eines Kämpfers“ eindrucksvoll beschrieben hat.

Hamburger Abendblatt: Herr Rahimi, wenn Sie Ihr Buch durchblättern und sich an all das erinnern, was Sie erlebt haben, welche Gefühle sind es dann, die in Ihnen herrschen?

Hamid Rahimi: Es ist eine Mischung aus Dankbarkeit, Stolz und einer Menge Verwunderung über die Dinge, die ich getan habe. Verwunderung darüber, wie viel Hass ich in mir hatte. Was für ein wütender, kaltblütiger Mensch ich war. Das erschreckt mich, wenn ich heute darauf zurückblicke. Ich verstehe Teile davon, aber ich weiß nicht mehr, in welchem Film ich gelebt habe.

Sie kamen als Kriegsflüchtling in ein Land, dessen Sprache Sie nicht beherrschten. Sie waren traumatisiert, Ihr bester Freund war vor Ihren Augen von einer Bombe zerrissen worden. Sie wurden hier gemobbt und drifteten in die Kriminalität ab. Sehen Sie sich im Nachhinein ein Stück weit auch als Opfer, oder sind Sie Täter?

Rahimi: Ich glaube, dass ich beides bin. Anfangs war ich ein Opfer, bin dann aber zum Täter geworden. Ich war ein Arschloch, und dennoch habe ich auch Mitleid mit dem, der ich damals war. Ich war verloren, und Hilfe gab es nicht. Andererseits haben meine drei Geschwister niemals Ärger mit der Polizei gehabt, sie sind nicht gewalttätig geworden. Ich schon, ich war dreimal im Knast, und um das vierte Mal bin ich nur herumgekommen, weil ein Kumpel von mir meine einmonatige Strafe verbüßt hat. Dem habe ich meinen Ausweis gegeben und gesagt: ‚Geh du, ich habe keine Zeit’, und das hat damals tatsächlich funktioniert. Ich kann mich nicht als Opfer hinstellen. Aber ich denke, dass es Gründe dafür gab, dass ich so geworden bin.

Haben Sie diese Gründe gefunden?

Rahimi: Ich war der Jüngste, ich war neun Jahre alt. Meine Geschwister waren reifer als ich, sie konnten besser damit umgehen, dass unser Leben in Deutschland plötzlich nichts mehr wert war. Wir hatten ja ein gutes Leben in Afghanistan, meine Eltern hatten angesehene Berufe, wir hatten ein schönes Haus. Und plötzlich waren wir Menschen, die nichts hatten, die Hilfsarbeiten machen mussten. Für uns war das Leben in Hamburg anfangs wie ein Dschungel, meine Eltern standen unter Dauerstress und stritten. Ich war ein introvertiertes Kind, ich konnte kein Deutsch, habe gestottert. Und Kinder sind leider oft viel gemeiner als Erwachsene. Sie sagen, was sie denken. Ich wurde immer gemobbt, niemand wollte mit mir etwas zu tun haben. Ich hatte diese „Shamp“-Klamotten von Aldi an und nichts von Nike oder Adidas. Ich gehörte nicht dazu, und das war schwer zu verkraften.

Sie hatten als Kind im afghanischen Krieg sehr viel Gewalt erlebt. Warum haben Sie ausgerechnet in der Ausübung von Gewalt den Ausweg gesehen? Weil Sie nichts anderes kannten?

Rahimi: Nein, ich wurde ja gewaltfrei erzogen, und als ich nach Deutschland kam, hasste ich Gewalt. Silvester war schrecklich für mich, das ständige Knallen machte mich fertig. Das Problem war, dass die Gewalt das einzige Mittel war, mit dem ich mir Respekt verschaffen konnte. Es begann damit, dass ich einmal ein paar Jungs beim Ballspielen zuschaute. Mitspielen durfte ich natürlich nicht. Die haben irgendwann angefangen, mir den nassen, harten Ball ins Gesicht zu schießen. Immer wieder. Ich habe sie gebeten, damit aufzuhören, aber sie haben weitergemacht. Irgendwann bin ich ausgerastet und habe einen verprügelt. Dann bin ich weggelaufen.

Was hat das bewirkt?

Rahimi: Am nächsten Tag waren in der Schule alle freundlich zu mir. Auf einmal hatte ich Respekt und Anerkennung, und da habe ich gespürt, dass ich da bin, dass ich lebe. Die Fäuste gaben mir ein Gefühl von Präsenz. Ich merkte: Je öfter ich sie einsetze, desto mehr werde ich geachtet. Auf einmal war ich der Bestimmer, ich war wichtig, die anderen waren von mir abhängig. Das fand ich total cool. Einmal gab es in der Schule eine Aufgabe. Jeder sollte schreiben, wovor er am meisten Angst hatte. Die meisten Schüler haben geschrieben: vor Hamid. Daraufhin wurde eine Elternkonferenz einberufen. Wegen mir! Ich war stolz, aber ich merkte nicht, dass ich dadurch in die falschen Kreise geriet.

Sie wurden dann zu einem gefürchteten Geldeintreiber, einem Menschen, der auf Nichtigkeiten mit harter Gewalt antwortete. Der Schritt vom Schulhofschläger zum Kriminellen, warum sind Sie den gegangen?

Rahimi: Ich hatte einen Jugendfreund, der hat durch Geldeintreiben sehr viel Kohle gemacht. Eines Tages kam er zu mir nach Jenfeld, wo wir lebten. An unserem Haus stand der Schriftzug der Saga. Er hat ein Ver- davorgeschrieben und gesagt: ‚Hamid, du verdienst mehr als das hier. Ich weiß, dass du schlagen kannst. Aber du machst nichts daraus. Niemand weiß, wie lange wir hier in Deutschland sind. Also nutze die Zeit, um Geld zu verdienen.’ Mein erster Job mit ihm war, bei einem Mann 30.000 Mark abzuholen. 15.000 sollte unser Auftraggeber bekommen, die anderen 15.000 sollten wir beiden uns aufteilen. Ich bin mitgegangen. Wir haben den Mann vermöbelt, er hat vor Schmerzen geschrien und uns das Geld gegeben. In ein paar Minuten hatte ich 7500 Mark verdient, mehr, als meine Mutter in sieben Monaten verdiente. Da habe ich gemerkt, wie einfach man Geld machen kann. Und schon war ich drin in der Szene.

Sie schildern in Ihrem Buch, wie überrascht Sie waren, welche Wirkung ein Messer auf einen Deutschen hat.

Rahimi: In Afghanistan ist es völlig normal, dass man auf der Straße oder in allen öffentlichen Gebäuden Soldaten oder Leibwächter mit riesigen Gewehren sieht. Das gab es hier in Deutschland nicht. Als ich merkte, dass meine Gegner schon zurückschreckten, wenn ich ein Messer zog, war ich völlig überrascht. Und wenn man eine Knarre zog, war der ganze Laden still. Das war ein Gefühl der Macht. Ich habe meine Knarre überall mit hingenommen, ins Kino, in die Disco. An manchen Tagen, wenn wir Racheakte von Leuten befürchteten, denen wir Geld abgenommen hatten, trug ich sogar eine Schutzweste. Ich fühlte mich unsterblich. Ich dachte, ich weiß alles, kann alles, habe alles. Wir sind in jeden Laden rein, und wenn uns jemand dumm kam, haben wir ihn gegriffen und brutal verprügelt.

Wie konnten Sie denn glücklich sein mit Geld, das Sie auf kriminelle Art verdient hatten?

Rahimi: Damals dachte ich, ich hätte das beste Leben, das man haben kann. Es gab Tage, da haben wir 30.000 Mark eingetrieben, manchmal waren es sogar 80.000. Ich habe unglaublich viel Geld verprasst. Ich hatte eine Suite im Marriott-Hotel. Ich habe mich mit dem Taxi durch die Stadt fahren lassen, einfach weil ich es wollte. Und ich hatte immer Kokain, ich habe alle eingeladen, bei mir kriegte jeder, was er wollte. Ich habe sieben Tage die Woche Party gemacht, immer auf Drogen, sonst hält man das ja nicht durch.

Einmal haben Sie sich im Drogenrausch ein Messer in den Bauch gestoßen, weil Sie glaubten, unverwundbar zu sein.

Rahimi: Verrückt ist das, aber die Narbe erinnert mich jeden Tag daran, und das ist gut so. Ich habe meinen Körper kaputt gemacht. Meine Nase war durch das Koksen total zerstört, bis heute bekomme ich durch ein Nasenloch keine Luft. Aber Drogen haben mich entspannt und glücklich gemacht. Ich habe mich tatsächlich unverwundbar gefühlt. Schlimm wird es ja erst, wenn der Rausch vorüber ist. Und für mich war er lange Zeit nie vorüber.

2001 schossen Sie einen Mann an, von dem Sie dachten, er habe Ihre damalige Freundin vergewaltigt. Es stellte sich heraus, dass er völlig unschuldig war. Sie mussten ins Gefängnis. War das der Moment, der Ihr Leben veränderte?

Rahimi: Nein, mein Leben veränderte sich, als ich im Gefängnis die Biografie von Dariusz Michalczewski las, die mir meine Schwester mitgebracht hatte. Da wusste ich, dass ich lernen wollte, nach Regeln zu kämpfen und mir den Respekt der Menschen dadurch zu verdienen. Ich war ja wirklich ganz unten, es war so weit, dass meine Geschwister verleugneten, dass ich ihr Bruder war. Durch die Geschichte von Dariusz ist mir klar geworden, dass ich es auch schaffen könnte, mein Leben zu ändern. Erst im Gefängnis habe ich psychologische Hilfe bekommen, die ich viel früher gebraucht hätte. Ich konnte ein Anti-Aggressions-Training machen. Und als ich raus war, habe ich mit dem Boxen angefangen. Das war der Wendepunkt in meinem Leben. Das Jahr im Knast hat mich gerettet.

Nun hat Boxen auch viel mit Kampf, mit Schmerzen und Beherrschen eines Gegners zu tun. Warum haben Sie der Gewalt nicht komplett abgeschworen und etwas ganz anderes angefangen?

Rahimi: Weil ich mich durch das Boxen frei gefühlt habe. Es mag komisch klingen, aber es hat mich total beruhigt, auf einmal der zu sein, der immer auf die Fresse bekommt und sich dennoch gut dabei fühlt. Am Anfang meiner Karriere wurde ich oft als Sparringspartner gebucht, wenn sich Boxer in ihrer letzten Vorbereitungswoche Selbstvertrauen holen sollten. Die haben mich total verhauen, ich habe so viel geblutet, dass ich dachte, ich könnte lieber zum Blutspenden gehen, als für 200 Euro Gage so viel Blut umsonst zu verlieren. Und dennoch war ich glücklich, ich wollte nichts anderes machen. Und wenn ich ehrlich bin: Was waren diese Schmerzen gegen das Leid, das ich in meinem Leben schon erfahren hatte?

Lassen Sie uns einen Sprung machen. 2006 boxten Sie erstmals als Profi, und am 30. Oktober 2012 waren Sie der erste Profiboxer, der einen Kampf auf afghanischem Boden bestritten hat. Sie sind heute als „Friedenskämpfer“ bekannt, haben Kontakte zu ranghohen Politikern und Menschenrechtlern in aller Welt. Kommt Ihnen das alles nicht manchmal vor wie ein irrealer Traum?

Rahimi: Nein, weil ich weiß, wie hart ich dafür gearbeitet habe. Ich bin sehr stolz darauf, aber auch sehr dankbar, dass ich den Weg aus dem Elend gefunden habe.

Wenn Sie heute auf Ihr früheres Leben zurückschauen: Quälen Sie dann Schuldgefühle, würden Sie gern manche Dinge rückgängig machen?

Rahimi: Auf jeden Fall, ich würde mich sehr gern bei vielen meiner Opfer entschuldigen, bei all denen, denen ich grundlos weh getan habe, um mir einen Namen zu machen. Ich denke, ich habe mein Buch auch deshalb geschrieben, um eine Erklärung zu geben, warum ich so war, wie ich war. Verstehen Sie mich nicht falsch, es soll keine Entschuldigung sein. Aber ein Versuch der Rechtfertigung, das vielleicht.

Wenn man sieht, wie angstfrei Sie sich in Afghanistan bewegen, ohne Bodyguards, ohne Schutzweste: Glauben Sie, dass Sie derjenige sein könnten, der Sie heute sind, wenn Sie nicht so viel Gewalt erlebt hätten?

Rahimi: Auf keinen Fall. Ich bin überzeugt davon, dass alles so passieren musste. Ich habe keine grundsätzliche Angst vor dem Tod, deshalb brauche ich keine Bodyguards. Sehen Sie, in Afghanistan ist es seit vielen Jahren das wichtigste Zeichen von Stärke, wenn man eine Waffe trägt. Ich möchte diese Symbolik verändern. Als ich nach meinem Kampf durch die Straßen von Kabul fuhr, wo 300.000 Menschen mir zujubelten, da habe ich als Zeichen statt einer Waffe meinen beim Kampf gewonnenen Gürtel hochgehalten. Wenn mich jemand erschossen hätte: Was gäbe es Schöneres, als mit so einer Geste zu sterben? Angst habe ich nur davor, sinnlos zu sterben, oder so qualvoll wie mein schwer kranker Vater vor einem Jahr.

Sie sind als Boxer ein Vorbild für die afghanische Jugend, Ihr Sport hat Ihnen viele Türen geöffnet. 2014 wollen Sie im Tal von Bamiyan kämpfen, wo die Taliban im Jahr 2001 die weltberühmten Buddha-Statuen zerstörten. Sind Sie nicht manchmal ein bisschen zu größenwahnsinnig?

Rahimi: Natürlich, ich denke immer groß und nehme mir Dinge vor, von denen niemand glaubt, dass ich sie umsetze. Aber das war mit dem Kampf in Kabul genauso, und ich habe es geschafft. Ich bin sehr oft hingefallen, aber ich habe gelernt, dass man das, was man wirklich will, auch schaffen kann. Ich könnte in Afghanistan vielleicht sogar Präsident werden, wir haben eine sehr junge Bevölkerung, und keiner der Kandidaten bringt so viele junge Menschen hinter sich wie ich. Ich könnte auch Schlachten schlagen, könnte Kriegsherr sein. Aber ich will es nicht. Ich will als Boxer die Herzen der Menschen erreichen.

Die Karriere eines Boxers ist endlich. Was machen Sie, wenn Ihre Fäuste Ihnen nicht mehr den Respekt einbringen, den Sie so sehr suchen?

Rahimi: Dann wird mein Kampf auf anderer Ebene weitergehen. Bis in Afghanistan Frieden herrscht, wird es noch lange dauern. Ich möchte gern als Menschenrechtler dabei mithelfen, dass es irgendwann so weit ist. Ich spüre, dass ich als Vermittler zwischen den Parteien einiges erreichen kann. Und das werde ich auch können, wenn ich nicht mehr aktiv boxe. Ich habe viele Pläne, habe in Afghanistan eine eigene Firma, mit der ich einen Energydrink vertreibe. Gerade bauen wir in Kooperation mit der Uni München eine Journalistenschule auf, die wir mit dem Benefizkampf in Hamburg unterstützen. Ich versuche, auf vielen Wegen Geld einzunehmen, um Stiftungen zu unterstützen. Der Unterschied zu früher ist, dass mir Geld nichts mehr bedeutet. Kürzlich habe ich bei der afghanischen Ausgabe von „Wer wird Millionär“ umgerechnet 25.000 Euro gewonnen. Kurzzeitig habe ich überlegt, von dem Geld in Urlaub zu fahren, weil ich lange nicht in Urlaub war. Aber dann habe ich es gespendet, und das hat mir viel mehr gegeben, als es ein Urlaub getan hätte.

Sie tun viel, um in Afghanistan zu helfen. Aber wäre Ihre Hilfe nicht auch in Deutschland gefragt? Die Flüchtlingsproblematik ist gerade durch die Situation in Syrien oder die Lampedusa-Flüchtlinge aktueller denn je.

Rahimi: Ich würde sehr gern in Deutschland helfen. Ich habe das auch schon mehrfach angeboten, aber bislang hat niemand angenommen. Ich glaube, dass ich sehr viel über den Umgang mit Flüchtlingen erklären könnte. Es sind ja schon kleine Gesten, die Großes bewirken könnten. Zum Beispiel, dass man Flüchtlingen Respekt entgegenbringt und sie nicht herablassend behandelt.

Was würden Sie denn tun, wenn Sie über den Umgang mit Flüchtlingen zu bestimmen hätten?

Rahimi: Ich würde als erstes jedem Kriegsflüchtling eine Psychotherapie ermöglichen. Krieg macht einen nicht nur körperlich, sondern vor allem auch seelisch kaputt. Man verliert ja nicht nur seine Heimat, sondern auch seine Identität. Einige, so wie ich, kommen damit nicht allein klar. Deshalb wäre eine Psychotherapie nicht nur für die Flüchtlinge gut, sondern auch für Deutschland, weil sie viele Folgeprobleme lösen könnte. Und dann würde ich allen Flüchtlingen erlauben, hier zu arbeiten, denn das ist der wichtigste Schritt zur Integration. Die meisten sind bereit, jeden Job zu machen, auch für geringe Bezahlung. Und das sollte man ermöglichen. Die Menschen würden sich wertgeschätzt fühlen, und anstatt den Flüchtlingen Geld zu schenken und sie so zur Faulheit zu erziehen, hätte das Land auch einen Nutzen, zudem würde Schwarzarbeit verhindert. Stattdessen werden die Leute versaut, sie sind wie Gefangene in einem eigentlich freien Land.

Müssen nicht aber auch die Flüchtlinge Ihren Teil zur Integration beitragen?

Rahimi: Natürlich müssen sie das, unbedingt, und das sage ich auch allen, mit denen ich rede. Ich kann da viel bewegen mit Gesprächen, das spüre ich immer wieder. Neulich hatte ich eine Gesprächsrunde mit jungen Migranten, die sollten mal erzählen, was sie so an Hilfsleistungen bekommen. Da regte sich einer auf, dass er kein i-Phone geschenkt bekommt. Den habe ich gefragt: ‚Warum sollen die Deutschen dir etwas schenken? Du bist hier zu Gast, warum schenkst du ihnen nichts? Und was glaubst du, wie viele Deutsche in Afghanistan ein i-Phone geschenkt bekommen?’ Und wenn ich mit denen über Gewalt rede und die Argumente höre, die ich früher benutzt habe, dann sage ich: ‚Warum willst du kämpfen? Hier ist doch Frieden. Wenn du kämpfen willst, dann geh nach Afghanistan zurück.’ Das wirkt. Ich plädiere für Dankbarkeit, denn Deutschland ist eigentlich ein großartiges Land, sozialer geht es doch gar nicht. Ich weiß das sehr zu schätzen. Afghanen, die seit 20 Jahren im Iran leben, dürfen dort nicht einmal ein Auto anmelden. Deutschland tut wirklich sehr viel Gutes. Aber es gibt trotzdem einiges zu verbessern.

Für Afghanen und andere Menschen mit Migrationshintergrund sind Sie ein Vorbild. Aber haben Sie auch das Gefühl, dass Sie mit Ihren Worten die Deutschen erreichen?

Rahimi: Dazu möchte ich ein Beispiel geben. Ich habe nach der Veröffentlichung meines Buches eine E-Mail bekommen von einem Mann aus Bayern, der sich als „rechts orientierten deutschen Bürger“ bezeichnete. Er schrieb, dass er nach einem Fernsehbeitrag über mein Buch allerhöchsten Respekt vor mir und meiner Lebensleistung habe. Er hat mir sogar angeboten, mich zu unterstützen, wenn das irgendwie möglich wäre. Diese Mail hat mich am meisten von allen Reaktionen bewegt.

Zum Abschluss bitten wir Sie um Ihre ehrliche Selbsteinschätzung. Was könnte Sie heute dazu bringen, außerhalb eines Boxrings zuzuschlagen?

Rahimi: Manchmal ist schon noch ein Impuls da, Gewalt auszuüben. Neulich saß ich mit meiner Freundin in einem Restaurant. Ich musste kurz auf Klo, und in der Zeit beobachtete meine Freundin einen Typen, der seiner Begleiterin zweimal ins Gesicht schlug. Als ich zurückkam, erzählte sie mir das. Ich schaute zu dem Typen rüber, und wenn er noch einmal zugeschlagen hätte, wäre ich wohl hingegangen und hätte ihn mir gegriffen. Aber er hat seine Begleitung stattdessen in den Arm genommen.

Wann haben Sie sich zuletzt außerhalb des Rings geschlagen?

Rahimi: Ich erinnere mich nicht mehr. Ich glaube, es war der Türsteher vorm Sausalitos, der mich nicht reinlassen wollte, aber das ist mindestens zehn Jahre her. Wenn ich heute in eine Disco nicht hineingelassen werde, gehe ich einfach und gebe mein Geld woanders aus. Das lässt mich total kalt.

Würden Sie sagen, dass Sie heute ein glücklicher Mensch sind?

Rahimi (überlegt sehr lang): Ich würde das schon sagen, ja. Ich bin noch nicht da, wo ich sein möchte, aber ich bin auf einem guten Weg.