Beim Training präsentierte sich der Box-Weltmeister wie eine Mischung aus Muhammad Ali und Michael Jackson. Der Weltmeister scheint vor dem Kampf gegen Alexander Powetkin in der Form seines Lebens.

Moskau. Alexander Powetkin bewegt sich wie in Zeitlupe. Ein paar Dehnübungen, ein bisschen Seilspringen, einige Schläge erst in die Luft, dann drei Minuten lang gegen die Pratzen von Stacy McKinley. Der 60 Jahre alte schwarze Amerikaner hat eine Glatze, einen Dschingis-Khan-Bart, trägt Brillanten an den Ohren, eine funkelnde Halskette und einen Schutzpanzer bei der Arbeit. Der groß gewachsene Showman rühmt sich, zehn Jahre mit Mike Tyson trainiert zu haben. Seit sieben Wochen kümmert er sich um Powetkins Kampfstil, braucht einen Übersetzer und verkündet einen Knock-out seines Schützlings „in der neunten Runde“. Kommt „der russische Krieger“ in zwei Tagen als „russischer Tyson“ daher?

Es ist Medientraining vor dicht gedrängten Hundertschaften von Kameramännern und Journalisten vor der Weltmeisterschaft im Schwergewicht in der mit 14.000 Zuschauern ausverkauften Moskauer Olimpiysky-Arena. Wladimir Klitschko, 37, verteidigt hier am Sonnabend (gegen 21.30 Uhr MESZ, RTL live) vor 14.000 Zuschauern seine Titel-Trilogie (WBA-Super, IBF, WBO) gegen den unbesiegten WBA-„Unterchampion“ Powetkin, 34. Während der Herausforderer in einem Seitenflügel des mondänen Fitnesspalastes von Dr. Loder in der Jamskogo Polya nur mit seinem austrainierten Körper beeindruckt, sitzt Klitschko mit seiner rot gekleideten Entourage am Ring und schaut – die Beine lang auf dem Belag ausgestreckt – konzentriert zu.

Bei seinem Abgang nach einer Viertelstunde – kein Schweißtropfen perlt vom Gesicht – und fünf Antworten auf Medienfragen („Ich wollte nichts zeigen“) beugt sich Powetkin zu Klitschko hinunter und begrüßt ihn fast demütig. „Sascha, ich habe bei dir zugeschaut, bleib doch hier bei meinem Training“, lädt der Champion seinen Gegner zur Beobachtung ein. Powetkin schüttelt den Kopf und verschwindet in seinem Aufenthaltsraum. Vielleicht wollte er sich bewusst nicht beeindrucken, ja einschüchtern lassen, von dem folgenden Gala-Auftritt Klitschkos.

Klitschko scheint in der Form seines Lebens

„Nach 17 Jahren und 63 Kämpfen habe ich nichts mehr zu verstecken“, sagt Klitschko und zeigt den Moskauern seine imponierende Visitenkarte von Souveränität, Ausstrahlung, Fitness, Leichtigkeit, Geschmeidigkeit, Mobilität und Schnelligkeit. Er musste es hinterher nicht mehr eigens betonen: Der Spaß an der Vorführung und die Freude auf den Kampf waren ihm anzusehen.

Es ist eben ein Vorteil, wenn der Trainer, Jonathan Banks, 31, als Nachfolger des verstorbenen Emanuel Steward ein noch aktiver Fighter gehobener Klasse ist. Nach drei Runden Pratzen vollführen die beiden eine Art Pas de deux nur mit bandagierten Fäusten, schlagen ohne zu treffen. Wladimirs Schattenboxen zum Beat moderner Popmusik ist ein bühnenreifes Tanzsolo, eine Mischung aus Muhammad Ali und Michael Jackson. Und das mit einem Adoniskörper von 1,98 Meter und 110 Kilogramm. Einfach faszinierend. Bühnenreif. Wladimir Klitschko scheint in der Form seines Lebens. „Ich fühle mich mit 37 besser als mit 27, nachdem ich den Steelhammer (so sein Kampfname) acht Wochen lang geschmiedet habe.“

„Ich merke, dass ich jeden Tag besser werde“

In seinem Auswärtsspiel in Moskau sieht er sogar einen Vorteil. „Ich fühle mich immer dann am stärksten, wenn ich viele gegen mich habe. Das motiviert mich zusätzlich“, hatte der Ukrainer der „Bild am Feiertag“ gesagt. „Je mehr Trubel, desto besser schmeckt es mir.“

Trotz seines für einen Profiboxer fortgeschrittenen Alters will Klitschko noch lange nicht vom Karriereende reden. „Vielleicht boxe ich noch fünf oder sogar zehn Jahre“, meint er. „Ich merke, dass ich jeden Tag besser werde.“ Sein Training habe er umgestellt. „Früher bin ich sehr viel gelaufen, habe mich gefühlt wie ein Rennpferd. Heute gehe ich lieber 45 Minuten in den Pool, das schont Knochen und Gelenke.“

„Es ist mein Ring, mein Kampf“

Sein Trainer Jonathan Banks ist überzeugt: „Powetkin hat einen starken Willen, den wird Wladimir brechen. Powetkin wird nie aufgeben, egal wie sehr er auch verprügelt wird. Das macht ihn gefährlich. Aber Wladimir wird gewinnen, weil er in allen Belangen eben der bessere Boxer ist. So einfach ist das.“ Wladimir Klitschko selbst erwartet einen „spannenden Kampf, an dem die Zuschauer in 170 Ländern ihre Freude haben werden“. Es sei eine große Herausforderung, „in den vier Wänden“ Powetkins zu kämpfen. „Mag die Halle auch voll hinter dem Lokalmatador stehen, es ist mein Ring, mein Kampf.“

Nach zwei gescheiterten Anläufen klappte es erst im dritten Versuch mit dem WM-Duell zwischen Klitschko und Powetkin. Die unglaubliche Summe von 23 Millionen US-Dollar, etwa 17 Millionen Euro, zahlte der Oligarch Andrej Ryabinsky, um den Kampf nach Russland zu holen. Daraus ergibt sich eine Rekordbörse für Klitschko (knapp 13 Millionen Euro) – und noch satte 4,31 Millionen Euro für Powetkin. Man sagt, dass sich auch Russlands Präsident Wladimir Putin, der am Sonnabend in die Arena kommen will, dafür eingesetzt hat, dass dieser Prestigekampf in Moskau ausgetragen wird.