Der Deutsche möchte an diesem Dienstag IOC-Präsident werden. Die Chancen für seine Wahl stehen gut. Mit Diplomatie hat sich der Olympiasieger die Favoritenrolle gesichert.

Buenos Aires. Das ist das Schöne an Sportpolitik: Allegorien lassen sich bemühen, ohne dass es gar zu plump wirkt. Thomas Bach, 59, ist da keine Ausnahme. Er war selbst Olympiateilnehmer, er hat gut 30 Jahre Erfahrung in der Sportpolitik, und er wiederholt dieser Tage kurz vor seiner erhofften Wahl zum Präsidenten Sätze wie diese: „Ich habe genügend Testwettkämpfe bestritten. Die Form stimmt. Aber ob es am Tag der Entscheidung reichen wird, weiß man nie mit Gewissheit.“

Der Tag der Entscheidung ist dieser Dienstag. In Buenos Aires tritt das Internationale Olympische Komitee (IOC) am Nachmittag deutscher Zeit zur letzten Sitzung während seiner 125. Versammlung zusammen. Es ist eine Richtungsentscheidung. Wer darf in den nächsten mindestens acht Jahren das höchste und machtvollste Amt bekleiden, das der Weltsport zu bieten hat? Wer lenkt die Geschicke einer Organisation, deren Marke (Olympia) nach Schätzung britischer Analysten 47,6 Milliarden US-Dollar, rund 36 Milliarden Euro, wert ist? Wer gibt der olympischen Bewegung die Richtung vor, die weltweit zu den bedeutungsvollsten im Dienste des Friedens gehört? Das IOC hat bei den Vereinten Nationen (Uno) Beobachterstatus.

Nach zwölf Jahren im Amt tritt der belgische Arzt und Olympiasegler Jacques Rogge, 71, als Präsident ab, und der Favorit auf seine Nachfolge heißt Thomas Bach. Daran haben auch die vergangenen Tage nichts geändert, in denen der Deutsche weiter lobbyiert hat am Tagungsort, dem Hilton Hotel in Argentiniens Hauptstadt. Auch wenn er im Gespräch mit dem Abendblatt beteuert, fast ununterbrochen in Sitzungen festzustecken, sodass ihm wenig Zeit für den Schlusswahlkampf bleibe. „Aber ich werde natürlich versuchen, in den Pausen das ein oder andere Gespräch zu führen“, kokettiert Bach, der dieser Tage in sich zu ruhen scheint. Weil er sich beinahe sicher sein kann?

Noch nie hat der Mannschaftsolympiasieger von 1976 im Fechten eine wichtige sportpolitische Wahl verloren. Diese habe den Wirtschaftsanwalt seit seiner Aufnahme ins IOC 1991 und später in dessen Exekutive 2000 auf den Posten des IOC-Vizepräsidenten gespült. Wobei gespült das falsche Wort ist – treiben lassen hat sich der Wirtschaftslobbyist und FDP-Parteigänger nie. Vielmehr hat Bach mit Cleverness, Geduld und diplomatischem Geschick seinen Weg verfolgt. Dieser soll ihn nun als ersten Deutschen auf den Olymp führen. Auch wohl deshalb sollte sich keine deutsche Stadt um die Austragung der Olympischen Sommerspiele für 2020 bewerben – trotz guter Chancen, anstelle Tokios den Zuschlag zu erhalten. Ein zweiter Wahlkampf wäre für Bachs Strategie einer zu viel gewesen.

Sechs Kandidaten treten zur geheimen Wahl an, das ist ein großes, aber nicht ungewöhnlich hohes Interesse. Als erster Bewerber hatte Bach seinen Hut in den Ring geworfen. Im Mai war das, in der Zentrale des deutschen Dachverbands DOSB in Frankfurt am Main, wo Beobachter den Eindruck nicht loswurden, die Verkündung sei recht hastig beschlossen worden – ganz im Gegensatz zur Kandidatur. Denn so sehr Bach beteuert, seine Entscheidung sei erst Weihnachten 2012 erfolgt, so überzeugend schildern langjährige Wegbegleiter, dass das höchste Amt im Weltsport schon Bachs Begehr gewesen ist, als er 1981 als fechtender Schnauzbartträger in die IOC-Athletenkommission berufen wurde. 1980 war in Moskau die erste und bislang einzige Bewerbung eines Deutschen um den einflussreichen Präsidentenposten gescheitert. Willi Daume war Juan Antonio Samaranch unterlegen. Der Spanier blieb 21 Jahre an der Spitze der Bewegung, die er von staubig-bedeutungslos auf kommerziell-modern trimmte. Als Protegé Samaranchs lernte Bach das sportpolitische Handwerk aus dem Effeff.

Möglicherweise mangelhaftes Charisma macht der Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes mit geräuschloser Effizienz wett. Nicht wenige sehen das IOC als eine Parallelwelt voller „Kuhhandel, Handschläge und geheimer Abstimmungen“ („New York Times“). Bach bewegt sich in dieser Welt souverän wie nur wenige, skandalfrei obendrein. Wiewohl ihm seine Nähe zu dem Kuwaiti Ahmad Al-Sabah, 50, nicht immer zum Vorteil gereicht.

„Der Scheich“ nennen sie den mächtigen wie dubiosen Chef der Vereinigung aller Nationalen Olympischen Komitees im IOC ehrfurchtsvoll. Unverhohlen hat sich Al-Sabah vorige Woche in einem Ende Mai aufgezeichneten ARD-Interview als Unterstützer Bachs zu erkennen gegeben, woraufhin ihm die IOC-Ethikkommission verwarnte. Wahlwerbung für einen Kandidaten ist verboten. Dem Scheich macht das wenig aus. Er gilt als Königsmacher, der seinem in der arabischen Welt bestens vernetzten Kompagnon aus Deutschland nach Kräften Stimmen organisiert.

Unter den IOC-Mitgliedern wird diese Liaison mit Skepsis registriert. Erbost hat sich jetzt Bachs Konkurrent Denis Oswald, 66, Präsident des Weltruderverbandes, im Schweizer Radio zu Wort gemeldet: „Ich möchte einen unabhängigen Kandidaten, der nicht auf bestimmte Allianzen angewiesen ist und der seine Position für nichts anderes nutzt als zum Wohle des Sports.“

Bach weiß, dass er die Kandidaten Oswald, Stabhochsprung-Weltrekordler Sergej Bubka, 49, aus der Ukraine und Wu Ching-Kuo, 66, aus Taiwan, den Präsidenten des Boxweltverbandes, nicht fürchten muss; dafür umso mehr IOC-Finanzchef Richard Carrion, 60, Puerto Rico, und Multimillionär Ng Ser Miang, 64, Singapur. Geht die Abstimmung nicht im ersten Wahlgang zugunsten des Deutschen aus, drohen Stimmverschiebungen. Von Ng ist überliefert, wie er bei einem Einladungsessen im Sommer seine asiatischen IOC-Kollegen einschwor: „Uns gehört die Zukunft. Wir müssen die Vormacht Europas brechen.“ Asien habe das Recht, den IOC-Präsidenten zu stellen.