Der frühere HSV-Präsident Wolfgang Klein enthüllt, wie das Innenministerium die Schwimmer schneller machen wollte. Eine Viertelmillion wurde bereit gestellt – obwohl niemand wusste, worum es ging.

Hamburg. Wir schreiben das Jahr 1976. Dem westdeutschen Sport ist fast jedes Mittel recht, um international und vor allem mit der führenden Sportnation DDR mithalten zu können. Das belegt eine in den vergangenen Wochen öffentlich gewordene Studie über Doping in der Bundesrepublik von 1950 bis 1990, die aus Mitteln des Bundesinnenministeriums (BMI) bezahlt wurde. Welche Mentalität in den 70er-Jahren bei Sportfunktionären und -politikern herrscht, beschreibt diese kleine Geschichte. Dr. Wolfgang Klein, der ehemalige HSV-Präsident, hat sie jetzt dem Abendblatt erzählt.

Klein, 1964 in Tokio Olympiazehnter im Weitsprung, arbeitet damals als Rechtsanwalt in Harvestehude. Er ist in der Sportszene bekannt, moderiert im NDR-Fernsehen die „Sportschau der Nordschau“. Anfang des Olympiajahres 1976 kommt ein Moderner Fünfkämpfer in seine Kanzlei und bittet Klein um die Abwicklung eines Geschäfts. Er kenne eine verlässliche Methode, die nicht auf der Dopingliste stehe, die Schwimmer um zwei bis drei Zehntelsekunden auf 100 Metern schneller mache. „Worum es sich handelt, wollte er erst sagen, wenn der Deal perfekt ist“, sagt Klein. Der junge Mann, dessen Mutter Apothekerin ist, verlangt für sein Wissen 250.000 Mark, was heute in etwa derselben Summe in Euro entspricht.

Klein verabredet sich daraufhin in Frankfurt am Main mit Vertretern des Deutschen Schwimmverbandes (DSV) und des Nationalen Olympischen Komitee (NOK). Etwa 30 Leute sind anwesend, als Klein von dem Angebot seines Mandanten berichtet. Anfänglich herrscht Skepsis, rasch aber großes Interesse. Der Komparativ „schneller“ elektrisiert alle Anwesenden. Dass Klein keine näheren Auskünfte geben kann, erhöht nur die Neugier. Klein: „Dann wurde mir gesagt, dass weder DSV noch NOK dieses Geld hätten. Man wolle jedoch beim Innenministerium nachfragen, ob das BMI dieses Projekt finanzieren könne.“

„Das Geld ist da, das BMI zahlt“

Nur drei Tage später erhält Klein einen Anruf: „Das Geld ist da, das BMI zahlt.“ Noch heute wundert er sich: „Sie wussten nicht, was es ist, allein auf die vage Aussicht hin, dass man mit einer unbekannten Methode schneller schwimmen kann, wurde diese nicht unerhebliche Summe vom Ministerium innerhalb kürzester Zeit bewilligt.“

Klein reist wieder nach Frankfurt zur Vertragsunterzeichnung „Und, was ist es nun?“, wird er gefragt. Seine Antwort schockiert: „Luft!“ 250.000 Mark für Luft! Kleins Erklärung beruhigt die Gemüter etwas: „Das kosten die Klistiere, Stückpreis zwei Mark. Über die soll Luft in den Darm der Schwimmer geleitet werden, damit sie eine bessere, höhere Wasserlage haben. Die bringt den Zeitgewinn von zwei bis drei Zehnteln.“ Es gibt keine Nachfragen. Der Vertrag wird unterschrieben.

Die Methode kommt später auf die Dopingliste

Vor den Olympischen Spielen 1976 in Montreal experimentieren die deutschen Schwimmtrainer mit dieser Methode. Dann kommen erste Fragen auf. Wie viel Luft braucht welcher Schwimmer bei welchem Körpergewicht für welche Distanz? Kleins Mandant kann keine Daten liefern. NOK und DSV sehen darin einen Vertragsbruch, wollen plötzlich nicht mehr zahlen. „Den Prozess hätten wir vermutlich gewonnen“, sagt Klein, „in dem Vertrag ging es ausschließlich um die grundsätzliche Methode, nicht um spezifische Anwendungen. Beide Seiten hatten am Ende aber kein Interesse, dass dieses Geschäft öffentlich wird.“ Der Vertrag wird für nichtig erklärt.

In der DDR werden Kleins Aktivitäten noch vor den Spielen in Montreal bekannt. Die Schwimmtrainer werden angewiesen, entsprechende Versuche zu starten. Die Ergebnisse sind nicht eindeutig. Ein Jahr später setzt das Internationale Olympische Komitee (IOC) die Methode auf die Dopingliste. Sie bleibt bis heute verboten.