Der Mittelgewichtler hat durch einen technischen K.o.-Sieg gegen Predrag Radosevic in der vierten Runde sein Kampfmotto „Back to the top“ beherzigt. Jetzt will Sturm auch um den WM-Titel boxen.

Dortmund. Schöne Tage werden das für den kleinen Mahir, so viel ist klar. Zehn Wochen lang hatte der Dreijährige seinen Vater entbehren müssen, er musste leise sein, wenn der Papa tagsüber schlafen wollte, und verständnisvoll, wenn der Papa zu müde war, um mit ihm zu spielen. Doch damit ist es seit Sonnabendnacht vorbei. „In den nächsten zehn Wochen darf Mahir auf mir herumtrampeln und herumschreien, wie er will“, kündigte Felix Sturm an, und sein Sohn wird diesen Freifahrtschein zu nutzen wissen.

Man konnte, als der frühere Mittelgewichts-Boxweltmeister diesen Satz in den Presseraum der Westfalenhalle hineinsprach, die Anspannung fast abfallen hören von ihm. Das Dauergrinsen war ihm im Gesicht festgefroren, und die Erleichterung darüber, dass er auf dem Weg zurück an die Spitze, den das Kampfmotto „Back to the top“ propagiert hatte, mit dem technischen K.-o.-Sieg in Runde vier gegen Predrag Radosevic einen wichtigen Schritt gegangen war, ließ den 34 Jahre alten Kölner fast schon altersmilde wirken. „Ich will versuchen, der beste Mittelgewichtler der Welt zu sein“, war der Satz, der am prägnantesten die Wandlung umriss, die Sturm sich selbst verordnet hatte. Der Beste zu sein, das gehörte viele Jahre zu seinem Selbstverständnis. Jetzt endlich scheint er begriffen zu haben, dass dazu mehr gehört als große Reden.

„Ich musste mich um 180 Grad drehen“

Felix Sturm hatte sich eine Kehrtwende verordnet nach seiner Punktniederlage gegen den Australier Sam Soliman im Februar. Zwar stellte sich im Nachhinein heraus, dass Soliman gedopt war, und das Urteil wurde von Niederlage in „Kampf ohne Wertung“ geändert. Dennoch war der Sohn bosnischer Eltern mit seiner Leistung dermaßen unzufrieden gewesen, dass er alles auf den Prüfstand stellte. „Ich musste mich um 180 Grad drehen, musste alles abhaken, was gewesen war, und von vorn anfangen“, sagte er. Wie groß der Druck war, gegen Radosevic überzeugend gewinnen zu müssen, hatte er vor dem Kampf nicht zugeben wollen. Danach konnte es jeder sehen; nicht nur in Sturms Gesicht, sondern auch an den Reaktionen seines TV-Partners Sat.1 und seines Vermarkters Ufa Sports, deren Vertreter aussahen, als seien Weihnachten, Geburtstag und Ostern auf einen Tag gefallen.

Dabei hatte sich Sturm im Duell mit dem in zuvor 27 Kämpfen unbesiegten Elitepolizisten aus Montenegro gar nicht neu erfunden, er war einfach nur zurückgekehrt zu seinen Wurzeln. Im Ring war der Felix Sturm zu besichtigen, der im Jahr 2003 erstmals Weltmeister geworden war und der 2004 der US-Legende Oscar de la Hoya die Stirn geboten hatte. Da gab es Hochgeschwindigkeitsboxen ohne passive Phasen zu sehen, hochklassige Schlagkombinationen und exzellent ausgeführte Körperhaken, die die 6000 frenetischen Fans mehrmals von den Sitzen rissen – und den überforderten Radosevic in den Ringstaub schickten. Bereits in Runde drei musste der 28-Jährige nach einem Leberhaken kurz in die Knie gehen, in Runde vier kam nach zwei Niederschlägen, die der tapfere Montenegriner auf eine zwei Wochen vor dem Kampf erlittene Rippenverletzung schob, das Ende.

Für Trainer Sdunek endet schwarze Serie

„Felix hat gesehen, dass ich Schmerzen an der Rippe hatte, und hat das sofort ausgenutzt. Er ist ein wahrer Champion“, sagte Radosevic, dessen Trainer Hartmut Schröder lobte: „In dieser Form kann Felix wieder Weltmeister werden.“ Natürlich ist das das erklärte Ziel, dennoch wäre es fatal, jetzt bereits wieder die Bodenhaftung zu verlieren. Das Team Sturm scheint das begriffen zu haben. „Das war eine gute Gesamtleistung des Teams, aber wir haben weiter viel Arbeit und werden jetzt nicht durchdrehen“, sagte Sturms Trainer Fritz Sdunek, für den nebenbei eine schwarze Serie von fünf Niederlagen aus seinen vergangenen sechs Kämpfen als Chefcoach endete. Und Sturm selbst gab bereitwillig zu, „dass ich mich gegen Kaliber wie Geale um einiges steigern muss“.

Geale, Vorname Daniel, ist derzeit der Titelträger bei der International Boxing Federation (IBF), er hatte Sturm im September 2012 umstritten nach Punkten besiegt und muss seinen Gürtel nun bis Jahresende gegen den Kölner verteidigen. Voraussetzung dafür ist, dass der Australier seine für 17. August in Atlantic City (USA) angesetzte Titelverteidigung gegen den Briten Darren Barker gewinnt. „Ich wünsche mir sehr, die Revanche gegen Geale zu boxen“, sagte Sturm. Anschließend müsste er als neuer IBF-Champion zunächst gegen Soliman antreten, dem wegen seines Dopingvergehens eine Kampfsperre für dieses Jahr auferlegt wurde, der aber dennoch, weil das verbotene Stimulanzmittel Oxilofrin wohl ohne sein Wissen in seinen Körper gelangte, die Pflichtherausforderer-Position bei der IBF behalten durfte. Boxarithmetik, die man nicht verstehen, aber wohl akzeptieren muss.

Für Sturm sind all diese Gedanken jedoch nur Zukunftsmusik. Zunächst freute er sich auf einen Schokoriegel, ein Eis und eine Pizza, die er mit seinem Sohn genießen will. Die Betonung allerdings liegt auf „genießen“, denn den Felix Sturm, der sich im Urlaub vollstopft und dann mit 15 Kilogramm Übergewicht in die nächste Kampfvorbereitung startet, soll es nie wieder geben. „Ich habe gelernt, dass ich auch zwischen den Kämpfen immer aktiv bleiben muss“, sagte er, „die Leidenschaft fürs Boxen ist wieder da. Aber ich will, muss und werde mich weiter steigern, um Ende des Jahres wieder Champion zu sein.“ Es könnten schöne Tage werden, nicht nur für den kleinen Mahir, sondern auch für seinen Papa.