Boxweltmeister Wladimir Klitschko sichert sich durch den Sieg im WM-Kampf gegen Pianeta die Chance auf einen Rekordkampf gegen Alexander Povetkin.

Mannheim. Er versuchte alles, um die Tränen zurückzuhalten, doch schließlich verlor Francesco Pianeta auch den Kampf nach dem Kampf. Und wieder war es Wladimir Klitschko gewesen, der ihn ausknockte, nach dem physischen Niederschlag war es nun die Seele, die Qualen litt. Eine halbe Minute hatte Klitschko im Ring auf seinen Herausforderer eingeredet, ihm zu seinem Mut gratuliert, und als der Boxweltmeister im Schwergewicht der Verbände WBO, WBA und IBF dann in Pianetas Ecke auf die Seile stieg, um in den Ovationen der 14.000 Fans in der ausverkauften SAP-Arena zu baden, da wurde dem Deutschitaliener klar, was für eine Chance er verpasst hatte. Also zog er die schwarze Wollmütze tiefer ins Gesicht und verbarg seine Tränen hinter einem weißen Handtuch.

Es spricht für den Mann aus dem Magdeburger SES-Stall, dass er in die Lobeshymnen, die auf ihn gesungen wurden, nicht einstimmen wollte. "Ich habe eine Scheiß-Leistung gebracht", so kommentierte der 28-Jährige die erste Niederlage seiner Profikarriere. Acht Sekunden vor Ende der sechsten Runde war er von Ringrichter Ernest Sharif (USA) vor schweren Gesundheitsschäden bewahrt worden, als dieser ihn nach einer Links-rechts-Kombination zum Kopf aus dem Kampf nahm, den 8,94 Millionen bei RTL live verfolgten. Der Abbruch war die einzig richtige Lösung.

Auf der Suche nach einer solchen, um den 37 Jahre alten Ukrainer in Bedrängnis zu bringen, hatte Pianeta immerhin einen Plan erkennen lassen. Mutig war der "Rocky aus Gelsenkirchen" immer wieder nach vorn gegangen in der Hoffnung, Klitschkos brillante Führhand zu umgehen und in der Halbdistanz zu Treffern zu kommen. Sein Problem war, dass der Champion ihn nie an sich heranließ. Er dominierte aus der langen Distanz mit dem Jab und nahm Pianetas Attacken die Wirkung, indem er selbst den Schritt in die Nahdistanz ging und clinchte. "Francesco war sehr mutig, dafür muss ich ihm danken. Ich wusste ja, dass er nicht aufgibt, wenn es hart wird", sagte Klitschko in Anspielung auf die Hodenkrebserkrankung, die Pianeta 2010 überstanden hatte.

So weit ist es also gekommen in der Königsklasse des Berufsboxens, dass sich ihr Herrscher bei seinem Herausforderer bedanken muss, nur weil dieser den Mut aufgebracht hatte, ihm immerhin in Ansätzen einen Kampf zu liefern. Klitschkos Dominanz drückte sich einmal mehr darin aus, dass er einzig mit Links-rechts-Doppelschlägen agieren konnte. Körpertreffer, Schlagserien oder Aufwärtshaken vermied er, weil sie ein Risiko bergen, das der beste Defensivboxer der Welt scheut: getroffen zu werden. "Wladimir beherrscht alle Schläge, aber es genügt, dass er sich auf die Grundlagen beschränkt", sagte Trainer Johnathon Banks. "Wladimir hatte den Kampf jederzeit im Griff", lobte auch Bruder Vitali, 41, der russische Medienberichte dementierte, denen zufolge er seinen WBC-WM-Titel gegen Pflichtherausforderer Bermane Stiverne aus Kanada verteidigen werde. Vielmehr hat er sich angesichts seiner politischen Ambitionen noch immer nicht zu einer Fortsetzung der Boxkarriere durchringen können.

Pflichtverteidigung gegen Potevkin

Die Erkenntnis, den wertvollsten Sieg seiner Karriere eingefahren zu haben, setzte sich nur langsam in Wladimir Klitschkos Gedanken fest. Weil er seine Titel erfolgreich verteidigte, darf er in seinem nächsten Kampf zur Pflichtverteidigung seines WBA-Superchampion-Gürtels gegen den Russen Alexander Povetkin antreten, den die WBA als "regulären" Weltmeister führt. Dieses Duell war am 23. April in Panama-City versteigert worden. Den Zuschlag erhielt der russische Geschäftsmann Andrey Ryabinsky, der unglaubliche 23,2 Millionen Dollar geboten hatte. Klitschko erhält als Titelverteidiger 75 Prozent dieser Rekordsumme, also rund 17,2 Millionen Dollar. Wlad Hrunov, Unterhändler Ryabinskys und ehemaliger Manager Povetkins, bestätigte in Mannheim, dass das Angebot ernst gemeint ist. "Wir werden den Kampf auf jeden Fall ausrichten, er wird am 7. oder 14. September in Moskau stattfinden. Povetkin ist mit dem Ziel Profi geworden, Wladimir Klitschko herauszufordern. Diesen Traum wollen wir ihm erfüllen."

Klitschko-Manager Bernd Bönte bestätigte, in der vergangenen Woche in Hamburg ein mehrstündiges Gespräch mit Hrunov geführt zu haben. Am Sonnabend verhandelte der Russe vier Stunden mit Klitschkos TV-Partner RTL, der den Kampf gern in Deutschland übertragen würde. "Wir sind auf einem guten Weg, einen Deal abzuschließen", sagte Hrunov. Möglich ist aber auch, dass der Kampf in der ARD läuft. Diese ist TV-Partner von Povetkins deutschem Promoter Sauerland.

Der einzige Haken an der Sache ist, dass Povetkin noch seinen für 17. Mai geplanten Aufbaukampf gegen den Polen Andrzej Wawrczyk gewinnen muss. Verliert er, ist der größte Zahltag in seiner und auch Wladimir Klitschkos Karriere erst einmal passé. "Wir warten den Kampfausgang ab, bevor wir die Verträge endgültig aushandeln. Aber es sind keine gravierenden Punkte mehr offen", sagte Manager Bönte.

Wladimir Klitschko bemühte sich, das Thema Povetkin nicht überzubetonen. "Natürlich habe ich diese unglaubliche Summe gehört, aber sie hat mich nicht in der Vorbereitung gestört. Geld war nie meine Priorität, sondern Leistung, sonst wäre ich heute nicht da, wo ich bin", sagte er. Pianeta saß daneben, die schwarze Wollmütze knapp oberhalb der Augen, und starrte ins Leere. Den wichtigsten Kampf seines Lebens, den gegen den Krebs, hat er gewonnen. Trost war das nicht in dieser Nacht, in der er wohl einige Herzen, aber nicht die ersehnten WM-Titel erobern konnte. Seine Zeit wird kommen. Aber erst, wenn die der Klitschkos abgelaufen ist.