Dimitrenko galt einmal als kommender Star und Klitschko-Nachfolger im Schwergewichtsboxen. Dann stürzte er ab. An diesem Sonnabend wagt er einen Neuanfang.

Der ungläubige Ausdruck in den Gesichtern vieler Menschen, wenn er erzählt, dass er nicht aufgeben wird, dieser Ausdruck gibt Alexander Dimitrenko Genugtuung. In solchen Momenten spürt er, dass es richtig ist, was er tut. Dass es richtig ist, für seine Überzeugungen einzustehen, auch wenn viele das nicht verstehen können. Dass es richtig ist, dem Herzen zu folgen. Natürlich bleibt die Sorge, dass er scheitern könnte. Aber jetzt aufzugeben? "Aufgeben kann man immer, das ist der leichteste Weg. Aber ich glaube daran, dass mein Weg ein anderer ist", sagt er.

Am Sonnabend führt dieser Weg in die CU-Arena am S-Bahnhof Neugraben. Der Schwergewichts-Boxprofi steigt auf der Premierenveranstaltung der neuen ITS-Promotion gegen den Kroaten Ivica Perkovic in den Ring (22 Uhr, Livestream bei boxen-heute.tv). Er nennt es einen "Neubeginn". Seine Kritiker sehen ihn dort angekommen, wo er niemals hinwollte: im Heer der Durchschnittlichen, die verzweifelt auf die nächste, letzte, einzige Chance warten, noch etwas aus ihrer Karriere zu machen.

Alexander Dimitrenko galt als kommender Star im Schwergewichtsboxen. Er wurde als Herausforderer, sogar als legitimer Nachfolger der Klitschko-Brüder gehandelt. Doch im Juli 2009 verlor er einen WM-Ausscheidungskampf in Hamburg gegen Eddie Chambers, einen 20 Zentimeter kleineren US-Amerikaner, vorgeführt und gedemütigt. Seitdem ist Dimitrenko nicht mehr der, den so viele in ihm gesehen hatten. Er stürzte ab, verlor im vergangenen Jahr seinen Europameistertitel an den Bulgaren Kubrat Pulev und stand vor den Trümmern seiner Karriere.

Man hat als Profi in einer Einzelsportart wie dem Boxen, die wie kaum eine andere ausgelegt ist auf die Demonstration mentaler und physischer Stärke, an solch einem Scheideweg genau zwei Richtungen, denen man folgen kann. Aufhören und sein Leben sinnvoller nutzen oder auf die nächste Chance warten. Viele Sportler, besonders wenn sie ihren körperlichen Zenit noch nicht überschritten haben, entscheiden sich fürs Weitermachen; die meisten, weil sie keine Alternative sehen. Weil sie nichts in ihrem Leben jemals besser können werden.

Alexander Dimitrenko hat sich für das Boxen entschieden, den Sport, der seit seinem 13. Lebensjahr sein Leben bestimmt, obwohl er Alternativen gehabt hätte. Er hat ein Jurastudium so weit vorangetrieben, dass er zwei Semester vor dem Abschluss steht. Er ist ein intelligenter Mann, dessen feine Gesichtszüge auch nach 35 Profikämpfen noch immer nicht zu einem 30 Jahre alten Boxer passen. Kurz nach seiner Ankunft in Hamburg im Herbst 2001 erkannte er, dass er die deutsche Sprache lernen musste, um sich zu integrieren. Seit gut zwei Jahren ist er deutscher Staatsbürger. Mit den anderen russischstämmigen Boxern im Hamburger Universum-Stall hatte er nie viel gemein. Während die lieber unter sich blieben, interessierte sich Dimitrenko, der vor sechs Jahren die Serbin Vanja heiratete, für die deutsche Kultur.

Die 27-Jährige würde am liebsten nicht vorkommen in dieser Geschichte, weil sie findet, dass ihre Rolle nicht überbewertet werden sollte. Aber man kann diese Geschichte nicht erzählen ohne sie. Denn wahrscheinlich wäre Alexander Dimitrenko nach den Tiefschlägen, die er nach dem Debakel gegen Chambers erlebt hat, nicht mehr aufgestanden, wenn ihn seine Frau nicht aufgebaut hätte.

Sie war die Konstante in einer Zeit des Wandels. Als sich Ende 2009 zunächst sein langjähriger Cheftrainer Fritz Sdunek aus gesundheitlichen Gründen von ihm trennte. Als im Sommer 2010 der Universum-Stall den TV-Vertrag mit dem ZDF verlor, der ihm bis dahin einträgliche Hauptkämpfe beschert hatte. Als Universum-Chef Klaus-Peter Kohl ein Jahr später die Geschäfte an Waldemar Kluch übergab, dem Dimitrenko vom ersten Moment an nicht über den Weg traute. Auf die Launen des Schicksals war er wenig vorbereitet, doch seine Frau stand zu ihm.

Nur im Ring ist er auf sich gestellt. Viele haben Dimitrenko oft vorgehalten, er sei zu weich, um es im Boxen ganz nach oben zu schaffen. Die Diskussion uferte aus, als er im Dezember 2010 vor einer geplanten EM-Titelverteidigung gegen den Polen Albert Sosnowski in Schwerin in der Kabine kollabierte. Von einem Nervenzusammenbruch war die Rede, er sei unter dem Druck des Gewinnenmüssens eingeknickt. Dabei war er wegen einer Durchfallerkrankung dehydriert, die er verschwiegen hatte, um den Kampf nicht ausfallen zu lassen und als Weichei dazustehen. Seitdem arbeitet er mit einem Mentaltrainer zusammen.

Klaus-Peter Kohl bedauert heute, dass er vor sieben Jahren sagte, Dimitrenko sei besser, als es die Klitschkos zum vergleichbaren Zeitpunkt gewesen seien. "Starkreden gehört dazu, aber ich wäre anders an die Sache herangegangen, wenn ich gewusst hätte, was das bei ihm auslöst", sagt er. Kohl glaubt, dass sein einstiges Juwel zu viel nachdenkt. "Bei ihm ist es definitiv Kopfsache. Er müsste sich öfter auf das besinnen, was er kann. Wenn ihm das gelingt, kann er es bis zum WM-Titel schaffen. Wenn nicht, wird er scheitern."

Seit seiner Kündigung bei Universum vor einem Jahr hat der Zweimeterhüne, den alle nur Sascha nennen, keinen Promoter mehr. Er kann tun, was er für richtig hält. So hat er mit Tommy Brooks einen US-Trainer verpflichtet, der sich einzig auf ihn konzentriert. Genau das, sagt er, habe er sich immer gewünscht. Der 58-Jährige, der mit Größen wie Evander Holyfield und Mike Tyson arbeitete, ist von Dimitrenkos Stärke überzeugt. "Ich wäre sonst nicht hier", sagt er. "Der Junge hat alles, was ein Weltmeister braucht. Aber er hat verlernt, es einzusetzen. Ich bin hier, um es ihm zurückzugeben."

Ein Leben ohne Promoter bedeutet aber auch, dass Dimitrenko seine Kämpfe selbst organisieren muss. Vor allem aber muss er sich alles selbst finanzieren. Eine Vorbereitung wie die auf den Kampf am Sonnabend kostet mehrere Zehntausend Euro. Er muss seinen Trainer entlohnen, der acht Wochen lang in Hamburg im Hotel lebt. Er muss das alte Universum-Gym an der Walddörferstraße für Trainingseinheiten mieten, Sparringspartner bezahlen und sogar den Gegner. Das erklärt, warum er mit Perkovic einen Mann boxt, der weit unter seinem Niveau rangiert. "Einen stärkeren Gegner können wir uns nicht leisten", sagt er. Zwar hat Dimitrenko gut verdient in seiner Karriere und sein Geld nicht verprasst, dennoch könnte er das, was er derzeit tut, ohne die Hilfe von Gönnern und Sponsoren nicht schaffen.

Wer Vanja und Alexander Dimitrenko gemeinsam erlebt, der sieht ein Paar, das gelernt hat, gegen Widerstände anzukämpfen. Sie wurden belächelt, wegen ihres christlichen Glaubens, der sie regelmäßig in die Kirche gehen und täglich mehrmals beten lässt, aber auch, weil sie kultivierter waren als andere Boxer-Paare. Beide haben diesen Hang zur Verbissenheit, der Migranten antreibt, die es in Deutschland zu etwas gebracht haben. Dieses Gefühl, immer etwas besser sein zu müssen, um das Gleiche zu bekommen, ist auch für sie die Motivation, den Traum vom Weltmeistertitel noch nicht aufzugeben. "Es geht nicht darum, es anderen zu beweisen. Viele haben mich begraben, aber ich bin noch nicht tot. Doch der Einzige, dem ich das beweisen will, bin ich", sagt Dimitrenko.

Am meisten ärgert ihn der Vorwurf, er habe nicht das nötige Kämpferherz. "Würde ich dann hier stehen und weiterkämpfen?" Nein, es ist nicht das Herz, das ihm fehlt, er hat sogar zu viel davon, was dazu führt, dass ihm im Ring der Killerinstinkt abgeht. Dimitrenko tut sich schwer, gnadenlos zu sein, weil er ein zu netter Mensch ist. Er wirkt überfordert, wenn der Gegner unsauber boxt. Dann beklagt er sich beim Ringrichter, und wenn das nichts bringt, reagiert er mit hilflosem Schubsen, anstatt seine 115 Kilo in seine Schläge zu legen.

Obwohl er sich aus armen Verhältnissen durchboxte, in der ukrainischen Auswahl alles gewann, was es zu gewinnen gab, dann gegen viele Widerstände für Russland bei der Amateur-WM 2000 antrat, ist ihm der Biss verloren gegangen, der die Besten auszeichnet. Brooks erzählt gern die Geschichte, wie Dimitrenko sich kürzlich im Training weigerte, eine Übung durchzuziehen, die ihm Mühe bereitete. Diesen fehlenden Eifer, im Training das Letzte geben zu wollen, weil es sonst auch im Kampf nicht funktioniert, haben alle ehemaligen Trainer schon moniert. Brooks sagte nur: "Wie viele Weltmeister, sagtest du, hast du schon trainiert? Und wie viele WM-Titel gewonnen? Und jetzt mach die Übung." Dimitrenko machte.

Vielleicht ist das der Impuls, den er brauchte. Der Tritt in den Hintern von jemandem, der es ernst meint mit ihm. Der ihm klarmacht, dass er nicht der Beste ist, aber der Beste sein könnte. Dimitrenko hat viele Angebote bekommen in den vergangenen Monaten, von aufstrebenden Boxern, die in ihm eins dieser Opfer sahen mit prominentem Namen, aber ohne Mumm, mit denen man im Berufsboxen einen Kampfrekord aufhübscht. Er hat alle abgelehnt, weil er nicht als Kanonenfutter enden will, sondern daran glaubt, bald selbst wieder die Kanone zu sein.

Er will keine Ausreden mehr suchen, kein Mitleid und auch keine Rücksicht. "Ich weiß um mein Image und dass mir kaum jemand mehr etwas zutraut", sagt er, "doch das ist mir egal. Ich möchte nur, dass die Menschen akzeptieren, dass ich meinen Traum nicht aufgeben möchte." Das ungläubige Staunen quittiert er mit einem Lächeln.