Der südafrikanische Sprinter bricht bei der Erhebung der Mordanklage in Tränen aus. Er soll seine Freundin erschossen haben.

Pretoria. Oscar Pistorius wird als Mörder vor Gericht gestellt. Der Haftrichter erhob am Freitag in Südafrikas Hauptstadt Pretoria nach einer knapp zweistündigen Anhörung offiziell Anklage wegen „vorsätzlichen Mordes“. Der sechsmalige Paralympics-Gewinner soll in der Nacht zum Donnerstag in seinem Haus seine Freundin Reeva Steenkamp (29) erschossen haben.

Der 26-Jährige brach bei Erhebung der Mordanklage im Gerichtssaal in Tränen aus. An den nächsten Verhandlungstagen am Dienstag und Mittwoch soll entschieden werden, ob Pistorius gegen Kaution freikommt. Bis dahin bleibt er in Haft. „Die Verteidigung hat bis dahin Zeit, die Dinge zu untersuchen und sich in eine bessere Position zu bringen“, sagte Richter Desmond Nair.

Wie sehr der spektakuläre Fall um Südafrikas Nationalheld in der Öffentlichkeit des Landes wirkt, machte die Tatsache deutlich, dass sogar Südafrikas Präsident Jacob Zuma im Parlament dazu eine kurze Botschaft gab. Nachdem am Vortag medizinische und forensische Untersuchungen bei dem behinderten Läuferstar erfolgt waren, wurde Oscar Pistorius am Freitagmorgen aus seiner Zelle in der Boschkop-Polizeistation in Pretoria in einem weißen Wagen zum Gericht gebracht. Er verhüllte dabei seinen Oberkörper mit einer weißen Decke.

Im feinen Anzug saß er wenig später mit gesenktem Kopf auf der Anklagebank. Als die Entscheidung über die Mordanklage fiel, schlug er die Hände vors Gesicht und weinte. Dann verließ er vor laufenden Kameras und vielen Schaulustigen das Gerichtsgebäude. Laut gleichlautenden südafrikanischen Zeitungsberichten wurde Reeva Steenkamp durch die Tür des Badezimmers erschossen.

Eine deutliche Parallele zum Fall des Boxers „Bubi“ Scholz. Dieser hatte seine Ehefrau Helga am 22. Juli 1984 im Alkoholrausch offenbar durch die geschlossene Tür der Gästetoilette seiner Wohnung erschossen. Scholz, der 2000 starb, wurde wegen fahrlässiger Tötung zu drei Jahren Haft verurteilt.

Reeva Steenkamp, die kommende Woche in einer Schule in Johannesburg offenbar zum Thema Gewalt gegen Frauen reden wollte, wurde offenbar nicht nur an Kopf, Arm und Hand getroffen. Laut Polizeiaussagen trafen sie die Schüsse auch in Brust und Becken. Zeitungen berichten, die Nachbarschaft habe schon mehrfach häusliche Auseinandersetzungen zwischen Pistorius und seiner Freundin erlebt. Polizistin Denise Beuskens sprach von „Vorfällen häuslicher Natur“. Pistorius hatte 2009 bereits eine Nacht im Gefängnis verbracht, nachdem er bei einer Party angeblich eine 19-Jährige tätlich angegriffen haben soll.

Andererseits lebte Pistorius in seinem von hoher Kriminalitätsrate gekennzeichneten Heimatland offenbar auch in Angst. Vergangenes Jahr hatte der Karbonstelzenläufer einer Zeitung berichtet, er schlafe aus Furcht vor Einbrechern mit Pistole, Maschinengewehr, Cricket- und Baseballschlägern. Im November hatte der 26-Jährige getwittert: „Wenn ich nach Hause komme und die Waschmaschine läuft, hört sich das an wie ein Eindringling in Kampfbereitschaft in der Speisekammer...“

Völlig konsterniert zeigten sich zwei deutsche Paralympics-Sieger. Heinrich Popow (Leverkusen), der 2012 in London über 100 m triumphiert hatte, meinte bei Sky Sport News HD: „Er ist so ein lieber Kerl, man wird von ihm mit Umarmungen begrüßt. Ich hoffe, dass es ein schreckliches Missverständnis ist. Wir müssen die Ermittlungen abwarten. Ich will das nicht wahrhaben. Ich zittere innerlich.“

Ähnlich hatte zuvor Woytek Czyz reagiert, der 2004 in Athen gleich dreimal gesiegt hatte. „Ich bin absolut geschockt. Keiner, der Oscar kennt, kann glauben, dass er wirklich jemanden umbringt.“ Pistorius ist der erste amputierte Athlet, der sowohl an Paralympics als auch an Olympischen Spielen teilgenommen hat. In seiner südafrikanischen Heimat wird Pistorius wegen seiner sportlichen Erfolge als Held verehrt.