Kurz vor dem diesjährigen Super Bowl ist ein Streit um die Gefahren des Sports entbrannt. Selbst US-Präsident Obama meldet sich zu Wort.

New Orleans. Dave Duerson schickte seiner Familie noch eine SMS, dann nahm er eine Pistole, richtete sie gegen sich selbst und drückte ab. 15 Monate später, im Mai 2012, kritzelte Junior Seau den Text seines Lieblingssongs auf einen Zettel, griff zum Revolver und machte seinem Leben im Alter von 43 Jahren ein Ende. Beide waren ehemalige Football-Profis in der NFL, und bei beiden wurde - wie bei Dutzenden verstorbener Football-Profis vor ihnen - posthum eine auch als Boxer-Demenz bekannte degenerative Gehirn-Erkrankung nachgewiesen.

Spätestens seitdem scheint klar: Amerikas Volkssport macht krank, die Spieler setzen zur Unterhaltung der Massen ihr Leben aufs Spiel. „Wir sind Athleten, wir sind keine Gladiatoren. Das hier ist nicht das Kolosseum in Rom“, sagt NFL-Profi Eric Winston von den Kansas City Chiefs: „Ich habe verstanden, dass ich nicht so lange leben werde, weil ich dieses Spiel spiele, und das ist okay. Das ist eine Wahl, die ich getroffen habe.“

Vor der am Sonntag mit dem Super Bowl endenden Saison waren die Wissenschaftler des staatlichen Center for Disease Control and Prevention in einer Studie zu dem Schluss gekommen, dass das Risiko der untersuchten 3439 ehemaligen NFL-Profis, an einer neurodegenerativen Erkrankung zu sterben, dreimal höher ist als beim Rest der US-Bevölkerung. Das Risiko, an Parkinson, Alzheimer oder dem Lou-Gehrig-Syndrom zu sterben, sei sogar viermal so groß. Bislang kann die Boxer-Demenz - Fachbegriff: Chronisch Traumatische Enzephalopathie (CTE) - noch nicht mit Sicherheit am lebenden Menschen diagnostiziert werden. „Solche Hirnschäden hinterlassen in der Bildgebung (z.B. Röntgenaufnahmen, Computertomografie, d. Red.) zunächst keine der üblichen Spuren“, sagte Privatdozent Dr. Oliver Sakowitz, Neurochirurg und Experte der Deutschen Gesellschaft für Neurointensiv- und Notfallmedizin (DGNI): „Auch leichte Schädel-Hirn-Verletzungen führen nicht sofort zur Katastrophe, aber sie hinterlassen bleibende Schäden, die sich im Laufe des Lebens summieren.“

Bei Duerson, der zehn Jahre in der NFL spielte, weiß man, dass er sich ganz bewusst nicht in den Kopf schoss. In seiner Abschieds-SMS hatte der 50-Jährige seine Familie gebeten, sein Gehirn nach seinem Tod untersuchen zu lassen. Angesichts der zunehmenden Berichte über Hirnschäden infolge häufiger Erschütterungen des Kopfes, wie sie in einer Kontaktsportart wie Football in jedem Training vorkommen, geraten mehr und mehr Amerikaner ins Grübeln. „Ich bin ein großer Football-Fan, aber hätte ich einen Sohn, müsste ich mir das sehr gut überlegen, ob ich ihn Football spielen ließe“, sagte US-Präsident Barack Obama vor wenigen Tagen dem Magazin „The New Republic“. Eine Aussage, die der Milliarden-Show NFL gar nicht gefallen dürfte.

4000 ehemalige Profis haben die NFL inzwischen verklagt, die Liga soll von den Gesundheitsrisiken gewusst und sie verschwiegen haben. Einer der Kläger ist der frühere Star-Quarterback Jim McMahon. Der inzwischen 53-Jährige führte die Chicago Bears 1986 zum Super-Bowl-Triumph, heute leidet er an Demenz. „Mein Gedächtnis ist ziemlich futsch. Wenn ich einen Raum betrete, habe ich oft schon vergessen, warum ich reingegangen bin“, erzählt er.

Viele glauben, dass auch Aggressionen, Depressionen, Drogen- und/oder Alkoholsucht und sogar die Verwicklung vieler Football-Profis in Gewaltverbrechen ebenfalls auf CTE zurückzuführen sind. Züchtet die NFL also wandelnde Zeitbomben? Ja, sagen die Kritiker, und durch Fälle wie den von Jovan Belcher, der vor einigen Wochen in einem Beziehungsstreit erst seine Freundin und dann sich selbst erschoss, fühlen sie sich bestätigt.

Ave Caesar, morituri te salutant - Heil Dir, Cäsar, die Todgeweihten grüßen Dich, sagten die Gladiatoren im alten Rom. Im modernen Profisport, in der NFL, aber auch im Eishockey und vor allem im Boxen ist es scheinbar ähnlich. Die Athleten, urteilt der US-Journalist Dan Bernstein, „sterben immer noch, um uns zu unterhalten. Nur langsamer.“