Am 1. April 2011 überlebte die Boxerin ein Attentat ihres Stiefvaters. In ihrer Heimatstadt Ulm stieg sie jetzt wieder in den Ring.

Ulm. Als das Urteil verkündet war und die Konfettikanone ihren Inhalt mit einem lauten Knall in den Ring entleerte, da war endgültig klar, dass Rola El-Halabi es geschafft hatte, ihr Comeback ins Leben. Die Profiboxerin, die am 1. April 2011 von ihrem Stiefvater mit vier Schüssen verletzt worden war und seitdem bei jedem platzenden Luftballon die Bilder von damals im Kopf hat, zuckte nicht einmal ansatzweise zusammen, als es knallte, sondern hielt den Blick in Richtung Ringboden gesenkt. Jeder, der sie beobachtete, konnte spüren, dass sie in diesem Moment nur an ihren Sport dachte. Genau das war es, wonach sie sich so gesehnt hatte.

Es hat etwas Tröstliches, dass es in einem Geschäft wie dem Profisport, in dem nur Sieger etwas gelten, Abende gibt wie diesen in der Ulmer Arena, bei denen das Ergebnis völlig nebensächlich ist. Natürlich muss man der Chronistenpflicht folgend erwähnen, dass Rola El-Halabi ihren ersten Kampf seit dem Attentat gegen die in Offenburg lebende Italienerin Lucia Morelli, 33, verlor, die sich damit die WM-Gürtel der Verbände WBF, WIBA und GBU im Leichtgewicht sicherte. Das Urteil, eine Mehrheitsentscheidung (97:93, 96:95, 95:95), war absolut korrekt, weil die 27-Jährige in den ersten drei Runden nie das Distanzgefühl fand. Die letzten sieben Runden waren allerdings ein enges Gefecht auf Weltklasseniveau.

All das geriet jedoch in den Hintergrund angesichts der Emotionen, die das mit großem medialen Echo begleitete Comeback auslöste. Schon die Nächte vor dem Kampf müssen unfassbar anstrengend für die im Libanon geborene Ulmerin gewesen sein. Geschlafen, gab sie zu, habe sie kaum. Die Wartezeit in der Kabine sei die Hölle gewesen, obwohl die Trainer Jürgen Grabosch und Tommy Wiedemann versuchten, so locker wie möglich zu wirken, um sie abzulenken. Die Gedanken an die Schicksalsnacht in Berlin, als ihr Stiefvater Roy El-Halabi kurz vor ihrer geplanten WM-Titelverteidigung gegen die Bosnierin Irma Adler in die Kabine gestürmt und das Feuer eröffnet hatte, waren wieder da.

Und waren dann doch vergessen, als sie die Energie spürte, die die 4500 Fans beim Einmarsch auf sie übertrugen. Mit einem Zweispänner wurde sie in die Arena gefahren, die letzten Meter zum Ring bahnte sie sich durch ein Spalier aus Footballspielern, die rhythmisch klatschten, begleitet von "Rola"-Sprechchören. "Ich hatte Gänsehaut, es war einfach nur gigantisch", sagte sie. Hier, das konnte jeder sehen, war eine Sportlerin, die nach Hause kam, zurück in ein Leben, das sie dennoch nie wieder so leben wird wie vor den Schüssen am 1. April 2011 in die rechte Schlaghand, ins linke Knie und in beide Füße.

Allerdings hat sie das auch nie erwartet. Rola El-Halabi hatte sich vorgenommen, ihrem Stiefvater zu beweisen, dass sein Plan, ihr Leben zu zerstören, gescheitert ist. Sie hatte eine Kooperation mit dem TV-Sender Sat.1 abgelehnt, weil sie keine Inszenierung wollte, sondern eine Veranstaltung nach ihren Vorstellungen, in ihrer Heimatstadt. Sie hat den Abend mit ihrem kleinen Team um ihren Verlobten Kosta Papastergiou in Eigenregie aufgezogen, mit einigen Vorkämpfen und einem hochklassigen Rahmenprogramm aus Artistik, Tanz und Musik. Finanziell wird sie mit einem blauen Auge aus der Veranstaltung herauskommen. So etwas können Profiboxer gut wegstecken.

Vor allem aber hat sie sich eine Gegnerin ausgewählt, die zu stark war für jemanden, der 30 Monate nicht geboxt hat, der sich noch am Mittag vor dem Kampf um den Ablauf des Vorprogramms gekümmert hat und auf dessen Schultern dieser enorme psychische Druck lastete, ein überzeugendes Comeback abliefern zu wollen. Rola El-Halabi hat sich viel zugemutet, keine Frage, aber was will man anderes erwarten von einer, die auch in Zeiten größter Not zu stolz ist, Unterstützung vom Staat zu nehmen, und die Sätze sagt wie diesen: "Ich wollte einen ehrlichen Kampf gegen eine Gegnerin auf Weltklasseniveau, um zu zeigen, dass sich jeder Mensch seine Grenzen selbst setzt und dass ich meine Grenzen überschreiten kann."

Erst als der letzte Gong ertönt war, brachen sich die Emotionen Bahn. In den Armen ihres Trainers Wiedemann, der sie im Teenageralter zur Kampfsportlerin gemacht hatte, flossen die Tränen, "da ist alles hochgekommen, was sich aufgestaut hatte", sagte der Coach. Bei der Urteilsverkündung weinten beide Boxerinnen, auf der Pressekonferenz wurde weitergeweint. Und doch waren es Tränen der Freude, denn die Niederlage war da schon vergessen und ein möglicher Rückkampf ins Auge gefasst. "Ich bin auf jeden Fall zufrieden, denn ich habe meinen härtesten Kampf, den Kampf zurück ins Leben, gewonnen", sagte El-Halabi.

Sie ist Realistin genug, um zu wissen, dass der Weg, der auf sie wartet, kaum leichter ist. Ihre Geschichte ist jetzt erzählt, die folgenden Kämpfe, die sie dem Publikum versprach, werden wieder weniger Beachtung finden. Doch das schreckt die Kämpferin nicht ab, im Gegenteil. "Ich weiß, dass dieses Comeback etwas Einmaliges war. Aber wenn ich die Begeisterung sehe, mit der mich die Menschen hier getragen haben, dann denke ich, dass ich diesen Standard halten kann", sagte sie. "Es wird schwierig, das zu toppen. Aber ich lasse mich nicht mehr unterkriegen, denn ich habe das Schlimmste überstanden, was einem Menschen passieren kann, und weiß, wie nebensächlich dagegen ein Sieg beim Boxen ist."

Sie wird nun ausspannen und sich ausruhen. Anfang Februar geht es in den Urlaub, "da will ich abschalten und versuchen, die vergangenen zwei Jahre irgendwie zu verarbeiten", sagte sie. Ein wichtiger Termin wartet aber noch in dieser Woche. Am Mittwoch wird Rola El-Halabi ihre Biografie auf den Markt bringen. Sie heißt "Stehaufmädchen". Einen passenderen Titel hätte man sich nicht ausdenken können.