Hamburg hatte mehr als 100 Jahre lang ein Tennisturnier von Weltrang. Jetzt kämpft ein Stück Geschichte um seine Existenz.

Walter Bonne war 19 Jahre alt, als er im September 1892 das Lawn-Tennis-Turnier auf der Anlage des Eisbahnvereins auf der Uhlenhorst gewann, dem heutigen Gelände des Klipper THC. Ausgerechnet Bonne, monierten die Zeitgenossen, der ungeliebte Außenseiter aus Harvestehude, der den Ball mehr löffelte als schlug. Der Beifall der wenigen Zuschauer fiel spärlich aus.



Auch 117 Jahre später bestünde kein Anlass, sich Bonnes unattraktiven und dennoch erfolgreichen Spiels zu erinnern, führte er nicht eine Galerie von 102 Siegern der "Internationalen Deutschen Tennismeisterschaften" an. Eines Traditionsturniers, das an Hansa- und Hallerstraße ein Stück Hamburger Geschichte wurde, ein Wirtschaftsfaktor für die Stadt wie ein weltweiter Werbeträger für den Standort. Um die Zukunft der Veranstaltung aber ist es nicht zum Besten bestellt.


Vor zwei Tagen haben drei Richter der vierten Kammer des Hamburger Verwaltungsgerichts am Lübeckertordamm vielleicht den letzten Nagel in den Sarg geschlagen. Sie verboten dem neuen Turnierdirektor Michael Stich seinen Titelsponsor. Dass der österreichische Internet-Wettanbieter mit Lizenz in Malta überhaupt zum Titelsponsor aufstieg, zeigt, wie groß die finanzielle Not am Rothenbaum ist. Jetzt fehlen den 103. German Open, die am 18. Juli beginnen, rund 250.000 Euro zur Deckung des Turnieretats von rund 3,2 Millionen Euro.

Sollte nach dem Finale am 26. Juli unterm Strich weiter ein sechsstelliges Minus in den Büchern stehen - es wäre das achte Mal in Folge -, hält sich der Deutsche Tennisbund (DTB) die Option offen, das Weltranglistenturnier ins Ausland zu verkaufen. Seit der Pleite des Schweizer Vermarkters ISL 2001 schreibt die Veranstaltung rote Zahlen. Im Mai 2008, als in einer Woche wieder mehr als 100.000 Zuschauer auf die Anlage kamen, waren es rund 400.000 Euro Verlust.


Geht das Turnier, bliebe ein Stadion, das niemand mehr braucht, ein Gelände, das selbst der wohlhabende Club an der Alster nicht wirtschaftlich nutzen kann - und schmerzliche Erinnerungen an große Tage des Tennissports.


Die besten Spieler aller Kontinente nahmen hier ihre Rackets in die Hand. Vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg schlug das Who's who des Tennis in Hamburg auf: die Australier Rod Laver, Roy Emerson und John Newcombe, der Spanier Manuel Orantes, der Schwede Björn Borg, der Tscheche Ivan Lendl, die US-Amerikaner Jimmy Connors, John McEnroe, Pete Sampras und Andre Agassi und zuletzt der Schweizer Roger Federer und sein ständiger Widersacher, der Spanier Rafael Nadal. Ihre Duelle am Rothenbaum schrieben Sportgeschichte.


Und natürlich faszinierten die Ausnahmeerscheinungen des Damentennis Generationen von Hamburgern: in den Dreißigerjahren die Deutschen Cilly Aussem und Hilde Sperling-Krahwinkel, 1964 bis 1966 die Australierin Margaret Court-Smith, in der Moderne Steffi Graf, Martina Navratilova, Chris Evert (beide USA) und Monica Seles. Für die Serbin wurde der Rothenbaum zum Schicksal. Ein verwirrter Steffi-Graf-Fan rammte ihr 1993 beim Seitenwechsel ein Küchenmesser zwei Zentimeter tief in den Rücken. Die körperlichen Wunden heilten, die seelischen nie. Seles kehrte nicht wieder auf Rang eins der Weltrangliste zurück. Das Damenturnier wurde 2002 vom damals fast bankrotten DTB für 4,5 Millionen Dollar nach Philadelphia verkauft.


Die Erfolge der Deutschen haben längst Patina angesetzt. Der Regierungsrat Otto Froitzheim siegte zwischen 1907 und 1925 siebenmal, auch an die Siege Gottfried von Cramms (sechs Titel), Henner Henkels und Wilhelm Bungerts (je einmal) erinnern sich höchstens die Älteren. Michael Stich gewann 1993 als bisher letzter Deutscher am Rothenbaum. Boris Becker dagegen, der dreimalige Wimbledonsieger, strauchelte regelmäßig im Hamburger Sand.


In den 90er-Jahren besaß der Deutsche Tennisbund alles, was ihm heute fehlt: Geld, Macht, Ansehen - und Weltstars wie Becker, Stich und Graf. Der DTB diktierte seine Bedingungen - und er tat es zu oft mit der Arroganz des Neureichen. Das sollte sich rächen. Das Verhältnis zum Hamburger Senat scheint seit dieser Zeit getrübt, trotz Personalwechseln auf beiden Seiten. Heute sagt DTB-Präsident Georg von Waldenfels: "Wir hätten uns von der Stadt in diesem Jahr mehr Unterstützung gewünscht." Filterte man die Diplomatie aus den Worten des ehemaligen bayerischen Finanzministers, könnte es auch heißen: Hamburg hat uns im Stich gelassen, als wir Hilfe am nötigsten brauchten. Waldenfels hatte den Verband übernommen, als dieser ein Sanierungsfall war. Im vergangenen November veräußerte der DTB sein bis 2049 geltendes Erbbaurecht am Rothenbaum für 1,15 Millionen Euro an den Club an der Alster, um liquide zu bleiben. Den erhofften Verkauf an die Stadt hatte die Finanzbehörde abgelehnt. Viele der Abgewiesenen von einst waren in der Krise nicht mehr zurückzugewinnen. ARD und ZDF hatte der Tennisbund vom Court gejagt, als das Privatfernsehen Abermillionen bot. Inzwischen bettelt er wegen der ausbleibenden Sponsoren um ihre Rückkehr. Vergebens.


Umgerechnet rund 12,7 Millionen Euro jährlich erlöste der DTB in den goldenen 90er-Jahren aus einem Fünf-Jahres-Fernsehvertrag mit der Ufa. Die Verbandsführung unter dem Essener Bierbrauer Claus Stauder investierte 30 Millionen Euro in den Umbau des Rothenbaums, erweiterte den Centre Court auf 13 200 Sitzplätze und spannte ein mobiles Zeltdach - bildete aber keine Rücklagen für schlechte Zeiten. Die Landesverbände des DTB hielten ihre Hände auf und kassierten die Hälfte der Fernsehgelder. 2004 verhinderte der Einstieg des Tennisverbandes aus Katar die drohende Pleite.


Für die Umsetzung der Pläne, wie bei einem Grand-Slam-Turnier Damen und Herren parallel spielen zu lassen, fehlte der Platz. Die Lösung, ein 70 000 Mark (heute 36 000 Euro) teurer Architektenentwurf, lag 1990 auf dem Tisch des Senats. Der Plan sah eine wechselseitig integrierte Nutzung der drei hintereinander liegenden Sportstätten an der Rothenbaumchaussee vor: Tennisanlage, HSV-Fußballstadion und Universitätssportplatz. Der DTB hätte sich während seines Turniers mit Spiel- und Trainingscourts, Zelten für Sponsoren und Catering bis zum Völkerkundemuseum ausdehnen können. Die Hallerstraße sollte geschlossen, der Turmweg zur Fußgängerzone werden. "Der Rothenbaum hätte ein zweites Wimbledon werden können, solide finanziert und sportlich unantastbar. Diese Chance wurde politisch verspielt", sagt der ehemalige HSV-Präsident Jürgen Hunke.


Im Gegenteil: Dem Sport wurde Raum genommen. 1996 musste der traditionsreiche HSV-Platz, auf dem Uwe Seelers Karriere begann, dem Wohnungsbau weichen. Der frühere SPD-Senator Volker Lange, damals HSV-Vizepräsident unter Seeler, konnte den Verdacht nie ganz entkräften, im Hintergrund die Strippen für das Immobiliengeschäft gezogen zu haben. Die Erweiterungsmöglichkeiten für das Tennisturnier waren zubetoniert.


Im Mai 2003 wollte Hamburgs Bürgermeister Ole von Beust den gordischen Knoten mit einer Ausgliederung des Turniers in den Volkspark zerschlagen. Die Idee hatte Michael Stich. Der Masterplan Sportpark Volkspark ist bis heute in seinen zentralen Teilen in der Planungsphase stecken geblieben, die angedachte Umbettung des Rothenbaums war aus Kostengründen frühzeitig ad acta gelegt worden. Sie hätte rund 70 Millionen Euro gekostet.


Seit diesem Jahr gehört der Rothenbaum nicht mehr in die exklusive Riege der neun Topturniere, erstmals in seiner Geschichte. Die besten Spieler der Welt sind nicht mehr zur Teilnahme verpflichtet. Die Herrentennisorganisation ATP hatte Hamburg den Premiumstatus und den Termin Mitte Mai im Handstreich genommen. Der Rothenbaum wurde für neue Verdienstmöglichkeiten geopfert.


Der DTB zog gegen die ATP vor Gericht. Am 5. August 2008 wies eine achtköpfige Jury am District Court in Wilmington im US-Bundesstaat Delaware, dort hat die ATP ihren Sitz, einstimmig die Klage des Tennisbundes ab - ohne Entschädigung. Der DTB hatte auf seinen seit 1999 verbrieften Masters-Status gepocht und zur Durchsetzung seines Standpunktes rund drei Millionen Euro an Anwaltshonoraren ausgegeben, die ATP viermal so viel. Der Termin für die Berufungsverhandlung steht aus. Inzwischen fordert die ATP auch die Begleichung ihrer Anwaltskosten.


Mitte Mai schlugen Damen und Herren am ehemaligen Hamburger Termin gleichzeitig in Madrid auf. Das war am Rothenbaum nie möglich. Shanghai rückte auf den Herbsttermin von Madrid. "Dass Hamburg eines der größten Tennisturniere der Welt und ein Stück Tradition verloren hat, ist nicht etwa ein Versagen der Sportgewaltigen, sondern einer falschen Stadtplanung geschuldet", sagt Hunke.