Die Paarlaufweltmeister Aljona Savchenko und Robin Szolkowy im Interview über ihr Verhältnis und Gerechtigkeit im Eiskunstlauf.

Chemnitz. In der Trainingshalle des Chemnitzer Eissportzentrums sind Aljona Savchenko und Robin Szolkowy allein mit sich und ihrem Element. Scheinbar schwerelos gleiten die beiden übers Eis, nur das Knirschen des Leders ihrer Schlittschuhe ist zu hören und ab und an eine Anweisung ihres Trainers Ingo Steuer. An diesem Sonnabend haben die viermaligen Welt- und Europameister im Paarlauf anlässlich der deutschen Meisterschaften ihren ersten Hamburg-Auftritt. Dann werden 600 Zuschauer in der Volksbank-Arena für Lautstärke sorgen.

Hamburger Abendblatt: Frau Savchenko, Herr Szolkowy, wir bekommen Sie in Hamburg nur im Schaulaufen zu sehen. Sind deutsche Meisterschaften keine Herausforderung für Sie?

Aljona Savchenko: Das kann man so nicht sagen. Wir nehmen jeden Wettkampf ernst. Aber wir versuchen, uns auf die Wettkämpfe zu konzentrieren, die für uns wichtig sind. Wenn man älter wird, muss man dosieren. Als wir jünger waren, haben wir alles mitgenommen, was es gab. Mit der Zeit kapierst du, dass du nur das machen sollst, was du wirklich brauchst.

Robin Szolkowy: Wir haben das Privileg, uns nicht mehr über die deutschen für die Europameisterschaften qualifizieren zu müssen, weil wir gesetzt sind.

Savchenko: Letztlich ist es auch der Deutschen Eislauf-Union wichtiger, dass wir bei den großen internationalen Meisterschaften topfit sind.

Woran liegt es, dass Sie national so wenig Konkurrenz haben?

Savchenko: Bei der Einstellung der Nachwuchsleute fehlt irgendwas: Ehrgeiz, Fleiß - keine Ahnung. An der finanziellen Förderung liegt es jedenfalls nicht. Sie fällt nicht so umfangreich aus wie in Russland, aber sie ist ausreichend. Es gibt die Sporthilfe, die Bundeswehr - ich frage mich, ob es nicht vielleicht sogar zu viel ist.

Szolkowy: Man muss eingestehen, dass bei der jüngeren Paarlaufgeneration im Erwachsenenbereich derzeit nicht viel nachkommt. Prinzipiell gibt es ein relativ großes Reservoir an Talenten. Möglich, dass das eine oder andere Paar erst noch zusammenfinden muss.

Sie müssen auf staatliche Förderung weitgehend verzichten. Sehen Sie sich als Einzelkämpfer?

Savchenko: Ja. In Russland werden die Athleten vom Staat bezahlt. Vor Olympischen Spielen erhalten sie mehr als 10.000 Euro monatlich an Unterstützung. Und wenn sie Wettkämpfe gewinnen, gibt es ein Auto, eine Wohnung. Davon können wir nicht einmal träumen. Auch die Kanadier und Amerikaner werden staatlich gefördert. Wahrscheinlich sind wir die Einzigen, die nichts bekommen. Was willst du machen? Wenn du dich einmal entschieden hast, musst du das durchziehen.

Sie haben gerade Ihren ersten großen Sponsor an Land gezogen. Warum hat es so lange gedauert?

Szolkowy: Mit Thomas Lloyd ist uns in der Tat ein großer Zug gelungen. Es muss dafür eben viel zusammenpassen. Es gibt genügend bekannte Athleten, denen es ähnlich geht wie uns. Und dann gibt es andere, denen die Bude eingerannt wird und bei denen man sich aber fragt: Was haben die eigentlich dafür geleistet?

Wie lässt sich Ihre Leistung bemessen? Auf dem Eis sieht alles federleicht aus.

Savchenko: Für mich ist Eiskunstlauf mit nichts zu vergleichen. In einer fünfminütigen Kür müssen 13 Elemente gezeigt werden, das erfordert höchste Ausdauer, aber auch höchste Konzentration. Und es ist Kunst.

Die ist nie objektiv zu bewerten. Geht es in Ihrem Sport gerecht zu?

Savchenko: Auf keinen Fall. Ich habe sogar den Eindruck, dass es immer schlimmer wird.

Szolkowy: Gerecht ist Eiskunstlauf nie gewesen. Man muss sich wohl damit abfinden. Es gibt nun einmal keinen Maßstab, den ich an Choreografie oder Interpretation anlegen könnte.

Ist es nicht viel wertvoller, das Publikum zu begeistern, als die Preisrichter zu überzeugen?

Szolkowy: In einem wichtigen Wettkampf nutzt einem das wenig. Es kommt leider vor, dass hinterher die Menschen zum Zweitplatzierten gehen, ihm auf die Schulter klopfen und sagen: Du warst der Beste, eigentlich hättest du gewinnen müssen. Das ist schade für die Sportler und fürs Eislaufen insgesamt, weil sich die Zuschauer abwenden.

Savchenko: Ohnehin hat unser Sport viel zu selten Gelegenheit, sich einer breiten Öffentlichkeit im Fernsehen zu präsentieren. Darüber höre ich die Zuschauer immer wieder klagen.

Welche Lehren haben Sie aus Ihren beiden missglückten Olympiastarts im Hinblick auf Sotschi 2014 gezogen?

Szolkowy: Was man sagen kann: Wir fühlen uns jetzt reif für die Spiele. Aber das sagt sich so leicht. Eigentlich ist Olympia auch nur ein Wettkampf. Es wird nur immer ein Mega-Hype darum gemacht. Aber sosehr man versucht, sich diesen Rucksack nicht aufzuziehen: Im Unterbewusstsein wird er immer weiter gefüllt. Man kann sich den Eindrücken bei Olympia auch kaum entziehen.

Fürchten Sie, dass Sie es irgendwann bereuen, nicht schon 2010 ins Profilager gewechselt zu sein?

Savchenko: Nein. Andere werden mit 17 Jahren Olympiasieger, steigen aus dem Sport aus - und sagen sich irgendwann: Hätte ich bloß weitergemacht! Die Zeit im Sport mag manchmal hart und schwer sein, aber sie ist begrenzt. Und das, was ich dabei erlebe, ist einmalig. Revues kann man auch mit 80 laufen, wie die Protopopows beweisen, die in den 60er-Jahren Olympiasieger waren.

Muss sich ein Eislaufpaar eigentlich privat gut verstehen?

Szolkowy: Es muss schon insoweit passen, dass einen die Ziele verbinden. Alles darüber hinaus kann, muss aber nicht. Wir sehen uns täglich zweimal im Training, verbringen viele Wochenenden zusammen beim Wettkampf. Da braucht man nicht noch gemeinsam einen Kaffee zu trinken oder ins Kino zu gehen. Mir ist es auch wichtig, mich mit Menschen zu umgeben, die mich nach einer Weltmeisterschaft fragen: Hattest du gerade einen Wettkampf? Ihnen zuzuhören, wenn sie von ihren Alltagsproblemen erzählen, tut mir gut. Das brauche ich, um den Kopf freizubekommen. Ich könnte mich nicht wie andere nur mit Sport beschäftigen.

Worüber ärgern Sie sich mehr: eigene Fehler oder die des Partners?

Savchenko: Den Ärger über eigene Fehler trage ich mit mir selbst aus. Wenn er Fehler macht, spreche ich das oft an.

Szolkowy: Kritik ist erlaubt, solange es uns als Team voranbringt. Es muss irgendwann weitergehen, sonst schleppt man das ewig mit sich herum. Wenn man erst einmal anfängt, mit dem Finger auf den anderen zu zeigen, dann ist das Vertrauen zerstört. Aus der Nummer kommt man nicht mehr heraus.

Sie interpretieren in Ihrer Kür Ravels "Boléro". Ist das eine Hommage an die Goldkür von Jayne Torvill/Christopher Dean 1984 oder unterstreicht das Ihren Anspruch, selbst zur Legende zu werden?

Savchenko: Der "Boléro" ist eine Legende, da lässt sich keine draufsetzen. Wir haben die Idee jahrelang mit uns herumgetragen und immer wieder aufgeschoben, weil es nicht gepasst hat. Jetzt betrachten wir es als eine große Herausforderung, gerade weil viele sagen, dass der Takt besser fürs Eistanzen geeignet ist. Man muss in so ein Stück auch hineinwachsen und alt genug dafür sein.

Sind Sie auf dem Eis andere Menschen?

Savchenko:Ich schon. Ich werde härter. Das muss ich auch, sonst kann ich nicht an die Grenze gehen.

Szolkowy: Ich stehe seit 29 Jahren auf dem Eis. Wenn ich eine Eisfläche sehe, 30 mal 60 Meter, fühle ich mich zu Hause. Da bin ich natürlich anders drauf. Was nicht bedeutet, dass man nicht auch mal die Schnauze voll hat.