Angelique Kerber steht nach einem Traumjahr vor ihrer Bewährungsprobe. Die Weltranglistenfünfte weiß, dass sie 2013 eine Gejagte sein wird.

Frankfurt/Main. Die Zeit nach dem letzten Ballwechsel war knapp bemessen. Angelique Kerber tauchte zügig ab in eine andere Welt, um nach ihrem atemberaubenden Höhenflug 2012 Kräfte für die neue Saison zu sammeln. Beim Erwerb ihres Tauchscheins auf den Malediven machte sie sogar Bekanntschaft mit einem Hai. „Das war ein gutes Gefühl, kein Angstgefühl. Alles aus einer anderen Perspektive zu sehen, war megacool. Ich konnte unter Wasser total abschalten, das war eine ganz andere Welt“, erzählt die Weltranglistenfünfte Kerber.

Seitdem sind knapp sechs Wochen vergangen, und hinter der 24-Jährigen liegt neben einer harten Vorbereitung in Polen, Offenbach und Kiel auch der Verlust der vier Weisheitszähne. Die Prozedur sei ein „bisschen schmerzhaft“ gewesen, „aber jetzt habe ich meine Ruhe“, sagt Kerber.

Die deutsche Nummer eins hat gut lachen. Noch ein bisschen mehr, seitdem sie bei der Wahl zur Sportlerin des Jahres gleich hinter Siegerin Magdalena Neuner (Biathlon) gelandet war. „Am lustigsten war, dass meine Großeltern in Polen die Sendung gesehen haben und gar nicht wussten, dass ich Zweite geworden war“, berichtet Kerber und gesteht: „Ich hatte es vergessen zu erzählen. Sie waren dann völlig baff, als aus dem Umschlag mein Name gezogen wurde.“

Da dürfte Oma Maria vor Freude fast vom Stuhl gefallen sein - „und der Opa gleich mit“, scherzt die Wimbledon-Halbfinalistin, die den Pokal an exponierter Stelle platziert hat. „Er steht in meinem Zimmer, so dass ich ihn vom Bett aus sehen kann.“

Mit den Großeltern, die im Leben von Kerber eine besondere Rolle spielen, ihren Eltern, der Schwester und weiteren Verwandten verbringt sie Weihnachten im polnischen Puszczykowo. „An Heilig Abend gibt es wie immer Karpfen.“ Der Opa sorge dafür, dass „nicht so viele Gräten drin sind“, sagt die Fed-Cup-Spielerin.

Die Geschenke für ihre Lieben hat Kerber, die sich selbst eine Fotokamera wünscht, längst besorgt. Von wegen Last Minute. „Ich bin eine, die eine Woche vorher schon gerne alles zusammen hat, damit man die Tage davor genießen kann.“

Zumal sie das Fest nicht so lange genießen kann wie andere. Bereits am ersten Feiertag fährt Kerber abends zurück nach Kiel, um am 26. Dezember die weite Reise via Dubai nach Australien zum ersten WTA-Turnier der Saison in Brisbane (30. Dezember bis 5. Januar) anzutreten. Erster Höhepunkt sind die Australian Open in Melbourne vom 14. bis 27. Januar.

Für Kerber beginnt mit dem 24-Stunden-Trip ans andere Ende der Welt eine besondere Spielzeit. Nachdem sie sich 2012 unter anderem mit zwei Turniersiegen (Paris, Kopenhagen), dem Halbfinale in Wimbledon und der Teilnahme am WTA-Finale zum Abschluss Ende Oktober in Istanbul im Kreis der Besten etabliert hat, ist der Druck gewachsen.

Wird 2013 ein Jahr der Bestätigung oder des Angriffs auf den ersehnten ersten Grand-Slam-Coup? „Beides. Ich werde von Anfang an eine Gejagte sein“, sagt Kerber. Die 24-Jährige spürt die gestiegene Erwartungshaltung, die Hoffnung der Fans, sie könnte die erste deutsche Major-Siegerin nach Steffi Graf werden. „Der Druck ist da, das kann man gar nicht wegdiskutieren“, sagt Kerber. Sie nehme sich vor, irgendwann mal „etwas Großes“ zu reißen. Aber wenn man sich zum Beispiel auf einen Grand-Slam-Sieg oder die Nummer eins fokussiere, „klappt es nicht“.

2012 gewann Kerber 62 ihrer 84 Matches - und 19 ihrer 21 Dreisatz-Spiele. Was für die Kämpferquaöitäten der bodenständigen Kielerin spricht. „Angie macht einen so stabilen Eindruck. Sie ist in der absoluten Weltspitze angekommen und wird sich 2013 dort behaupten. Und sie kann sogar noch einen draufsetzen“, sagt Fed-Cup-Teamchefin Barbara Rittner.

Angelique Kerber hält sich mit allzu forschen Ankündigungen zurück. Sie lauert lieber im Hintergrund - wie der Hai im Meer, der sie so fasziniert hat.