Deutschlands Handballbundestrainer Martin Heuberger setzt im Nationalteam auf den Umbruch - mehr oder weniger notgedrungen.

Hamburg. Die Frage musste ja bei einer Pressekonferenz in Hamburg kommen, Martin Heuberger wusste das. Und deshalb wusste der Handballbundestrainer auch, was er darauf antworten würde: Ja, er werde Michael Kraus am Mittwoch in seinen erweiterten 28-Mann-Kader für die Weltmeisterschaft im Januar in Spanien aufnehmen. Und nein, bei seinen Überlegungen hinsichtlich einer Nominierung des HSV-Spielmachers spielten nicht nur sportliche Dinge eine Rolle: "Es geht auch darum, wie die Mannschaftsstruktur beschaffen ist. Denn wir stecken in einer schwierigen Phase, mitten im Umbruch."

Heuberger ist um sein Amt momentan nicht zu beneiden. Seine Mannschaft soll Wiedergutmachung betreiben für die Enttäuschungen, die sie und ihre Anhänger zuletzt erleben mussten. Und Heuberger kann tagtäglich erfahren, dass die deutschen Handballer nicht etwa daran gemessen wird, dass sie die letzte WM vor knapp zwei Jahren auf dem elften Platz abschlossen und die Olympischen Spiele in diesem Sommer verpassten. Sondern daran, dass sie 2007 den WM-Titel gewannen. Dabei hat die Generation Gold längst für eine neue, weniger glänzende Platz gemacht. Aber das wird gern übersehen.

Kraus, 29, ist einer der wenigen, die die große Zeit nicht nur miterlebt, sondern auch geprägt haben. Aber seit der unglücklichen WM 2011 in Schweden, dem letzten Turnier unter Heubergers Vorgänger Heiner Brand, hat er keine Einladung mehr für die Nationalmannschaft erhalten. Dafür gab es triftige Gründe, und die waren in der Tat nicht sportlicher Natur. Niemand behauptet ernsthaft, dass es in Deutschland einen Mittelmann gibt, der nur annähernd über Kraus' Talent verfügt. Heuberger hat sich erst am vergangenen Mittwoch bei der Hamburger Niederlage in Berlin wieder davon überzeugt, "als Mimi sehr engagiert gespielt hat". Aber dem Bundestrainer ist auch nicht verborgen geblieben, dass Kraus, sagen wir, hin und wieder Schwierigkeiten hat, die richtige Einstellung zu seinem Beruf zu finden. Die Sache mit dem verpassten Mannschaftsflugzeug neulich hat Heuberger schon ins Grübeln gebracht. Und deshalb, das war herauszuhören, dürfte diese WM wohl ohne den besten deutschen Spielmacher stattfinden.

Die zentrale ist nicht die einzige Position, auf der Heuberger auf die Zweitbesetzung zurückgreifen muss. Uwe Gensheimer von den Rhein-Neckar Löwen, einer der besten Linksaußen der Welt, fällt wegen eines Achillessehnenrisses aus. Christian Zeitz, Deutschlands mit Abstand stärkster Halbrechter, will sich auf den THW Kiel konzentrieren. Torwart Johannes Bitter, der dem HSV 2011 den Meistertitel festhielt, nahm sich eine Auszeit - er stünde nach einem Kreuzbandriss allerdings ohnehin nicht zur Verfügung. Pascal Hens, der im linken HSV-Rückraum so stark spielt wie seit vier Jahren nicht? Hat nach der enttäuschenden EM im Januar seine internationale Laufbahn beendet. Kiels Top-Rechtsaußen Christian Sprenger tat es ihm im März nach. Und der Flensburger Halbrechte Holger Glandorf, wie Bitter, Kraus, Hens und Zeitz ein Hauptdarsteller des 2007er-Goldrauschs, hat Heuberger bedeutet, dass seine Ferse den Belastungen einer WM nicht mehr standhält.

"Mit solchen Spielern hätten wir natürlich ein ganz anderes Potenzial", räumt der Bundestrainer ein. Er muss sich damit arrangieren, dass immer weniger Profis bereit sind, ihre Berufsfähigkeit für die Nationalmannschaft aufs Spiel zu setzen. Heubergers Appelle, den Spielplan zu reduzieren, haben die erwartete Reaktion bekommen: keine. Aber zu Fuß nach Kiel zu gehen und Zeitz zu einer Rückkehr zu überreden, wie es ihm der Alt-Internationale Stefan Kretzschmar kürzlich empfohlen hat, kommt für den Bundestrainer auch nicht infrage: "Christian Zeitz hat mir seine Beweggründe erklärt, das akzeptiere ich. Jeder muss für sich entscheiden, ob das Feuer in ihm steckt. Ich kann doch nicht alle vier Wochen ehemalige Spieler anrufen."

Was bleibt Heuberger anderes übrig, als den Umbruch zu seinem Hauptanliegen zu erklären? Zu einem Lehrgang Anfang des Monats lud er fünf Neulinge ein - schon weil die Liga in der Zeit Spiele mit Berliner und Flensburger Beteiligung angesetzt hatte. Von Christian Dissinger (Schaffhausen) und Steffen Fäth (Wetzlar) zeigte sich Heuberger angetan: "Sie haben Potenzial für die Zukunft." Auch Wetzlars Linksaußen Kevin Schmidt darf seit Gensheimers Verletzung hoffen, zu seinem WM-Debüt zu kommen.

Er könnte auf Dominik Kleins Unterstützung zählen. Der Kieler will mit seiner Erfahrung den Jüngeren den Halt geben, den er 2007 selbst beim Hamburger Torsten Jansen fand. Einen Anlass zur Sorge kann Klein nicht erkennen: "Die Ausfälle schmerzen. Aber wir spielen in der stärksten Liga der Welt, da braucht sich eine Nationalmannschaft nicht zu verstecken."