Vor dem Giganten-Duell zwischen dem FC Bayern und dem BVB spricht Bayern-Sportvorstand Sammer über die Bedeutung des Spiels.

München. Matthias Sammer war über neun Jahre als Spieler und Trainer bei Borussia Dortmund. Am Sonnabend (18.30 Uhr/Sky und hier im Liveticker) trifft der 45-Jährige erstmals in seiner Funktion als Sportvorstand des FC Bayern München auf seinen alten Klub. Sammer schildert im Interview seine Emotionen und spricht über die Bedeutung des Giganten-Duells zwischen dem Rekordmeister und dem Doublegewinner. „Wir wollen unter Druck stehen“, sagte Sammer. Es sei aber „kein Finale - ein Finale ist leben oder sterben. Aber das ist es am Sonnabend sicherlich nicht.“

„Matthias Sammer, am Sonnabend kommt es zum Duell zwischen Ihren Bayern und Ihrem früheren Verein Borussia Dortmund. Können Sie in einem so bedeutenden Spiel die Emotionen völlig ausblenden?“

Matthias Sammer: „Man muss zum einen sehen, wie lange ich in Dortmund tätig war, zum anderen die Tatsache, dass meine beiden Söhne in Dortmund geboren sind. Aber es fällt mir nicht schwer, das vom Sportlichen zu unterscheiden und die sportliche Rivalität anzuerkennen.“

„Es dürfte für Sie dennoch ein besonderes Spiel sein.“

Sammer: „Weniger familiär. Aus rein sportlichen Gründen ist es natürlich ein besonderes Spiel, keine Frage. Dass sich Dortmund so überragend entwickelt hat, findet unsere Anerkennung. Tabellarisch ist es zwar nicht Eins gegen Zwei, aber es ist ein Spiel, das ganz Deutschland fasziniert und darüber hinaus elektrisiert. Es wird in 203 Ländern in voller Länge übertragen, das ist unglaublich. Aber es ist kein Finale - ein Finale ist leben oder sterben. Aber das ist es am Sonnabend sicherlich nicht.“

„Geht es für den FC Bayern nach zuletzt vier Niederlagen in der Bundesliga gegen die Borussia auch darum, die Machtverhältnisse geradezurücken?“

Sammer: „Es geht nicht um Machtverhältnisse. Wir haben zuletzt den Supercup gespielt, den haben wir gewonnen. Das bewerten wir nicht über, aber auch nicht unter. Das Spiel ist eine Frage der Begriffe, aber so ein Spiel wird durch Fakten entschieden, daran orientiere ich mich.“

„Wie sehen die Fakten aus Ihrer Sicht aus?“

Sammer: „Das, was wir uns vor der Saison vorgenommen haben und was Jupp Heynckes immer wieder einfordert, kann man auf drei Punkte bringen. Punkt eins: Die Persönlichkeitsentwicklung, auch in der Stärkung der Führungsspieler mit Manuel Neuer, Philipp Lahm und Bastian Schweinsteiger, größere Dominanz, bessere Kommunikation. Auch in schwierigen Phasen Stärke zeigen. In diesem Prozess befinden wir uns, wir haben das aber auch schon verbessert.“

„Punkt zwei und drei?“

Sammer: „Punkt zwei: Wir müssen uns im Spiel gegen den Ball besser verhalten, aufmerksamer und disziplinierter sein. Und Punkt drei: Dass wir bei eigenem Ballbesitz trotz Dominanz eine gewisse Flexibilität und Unberechenbarkeit bekommen. An diesen Punkten haben wir uns orientiert und sie werden auch am Sonnabend die entscheidenden Faktoren sein.“

„Ist Borussia Dortmund für Sie da Vorbild?“

Sammer: „Grundsätzlich eignet sich einer immer zum Vorbild, wenn er in etwas gut war. Sie sind zweimal Meister geworden, Pokalsieger. Was sie gemacht haben war ganz hervorragend, sonst kannst du nicht solche Serien hinlegen. Ich würde nie behaupten, dass man da nicht hinschaut. Aber wichtig ist es, eine eigene Identität zu entwickeln. Grundsätzlich liegt die Überzeugung darin, dass wir die Dinge besser machen.“

„Inwiefern?“

Sammer: „Neben verschiedenen Faktoren tut es Bayern München gut, das Motto 'Mia san mia' zu leben und ein gewisses Selbstbewusstsein zu demonstrieren - aber auch eine gewisse Bescheidenheit an den Tag zu legen. Wir müssen wissen, wann etwas vergeben wird und darauf fokussiert bleiben. Bisher ist die Entwicklung erfreulich.“

„Was bedeutet Ihnen in diesem Zusammenhang die Herbstmeisterschaft?“

Sammer: „Wir müssen diesen Weg konsequent weitergehen. Wenn sich die Situation im Frühjahr anders darstellt, bringt es nichts, auf seine Autogrammkarte zu schreiben: Ich war mal Herbstmeister. Das ist absurd und lächerlich. Wenn wir das einschätzen können, führt das dazu, dass die Spieler bescheiden, aber zielorientiert bleiben. Es gilt, sich nicht von der Euphorie leiten zu lassen. Der Wille, sich immer wieder zu verbessern, ist das Geheimnis der Erfolgreichen.“

„Was oder wer kann dem FC Bayern denn gefährlich werden?“

Sammer: „Einerseits die eigene Denkweise, wenn man weniger fokussiert ist. Oder die Stärke des Gegners. Manchmal kann es dich auch mit Verletzungen treffen. Wir müssen uns auf schwierige Phasen vorbereiten.“

„Wie wichtig wäre es für den FC Bayern, mit einem Sieg am Samstag und dann 14 Punkten Vorsprung ein Zeichen zu setzen?“

Sammer: „Zeichen sind bis hierher schon gesetzt. Bayern München muss aber wegkommen davon zu sagen, von diesem Spiel hängt alles ab - wie das bei Dortmund der Fall war, als ich 1993 hinkam. Wenn wir gegen Schalke zweimal gewinnen, ist die Saison gerettet, hieß es da. Wir sind unser eigener Maßstab. Wir wollen gewinnen, aber davon ist die Meisterschaft nicht abhängig. Es wird darauf ankommen, in jeder Phase trotz der Brisanz Souveränität auszustrahlen.“

„Welcher Klub steht denn aus Ihrer Sicht mehr unter Druck?“

Sammer: „Für die Dortmunder kann und will ich nicht sprechen. Aber ich weiß, dass wir immer am besten sind, wenn wir unter Druck stehen. Das ist so. Deswegen nehmen wir für uns in Anspruch: Wir wollen unter Druck stehen. Druck hat etwas mit Konzentration und Fokussierung zu tun. Das ist ein Stilmittel, um seine Höchstleistung abzurufen. Ich bin optimistisch, weil wir für dieses Spiel einen guten Plan haben werden.“

„Was gibt es aus Ihrer Sicht sportlich denn zu verbessern beim FC Bayern?“

Sammer: „Das sind die drei angesprochenen Punkte, die haben einige Male nicht auf diesem Niveau stattgefunden, was für den FC Bayern möglich sein kann. Bei aller Emotionalität müssen wir noch mehr Ruhe ausstrahlen. Und außerdem bei Ballbesitz, auch des Gegners, noch planmäßiger vorgehen.“