Deutschlands beste Tennisspielerin Angelique Kerber spricht über die Lehren dieser und die Ziele für die nächste Saison.

Hamburg. Dass Angelique Kerber dieser Tage tiefenentspannt ist, hat zwei gute Gründe. Zum einen hat sich Deutschlands beste Tennisspielerin nach dem WTA-Tourfinale in Istanbul Ende Oktober im Urlaub auf den Malediven bestens erholt. Zum anderen kann die 24-Jährige auf die bisher beste Saison ihrer Profikarriere zurückblicken. Zwei Turniere, in Paris und Kopenhagen, gewann sie, bei drei von vier Grand-Slam-Events erreichte sie die zweite Woche - das genügte, um bis auf Platz fünf der Weltrangliste vorzustoßen. Doch Kerber will mehr, und dafür trainiert sie seit zwei Tagen in der Tennisschule ihrer Großeltern in Polen. "Ich will meine Erfolge bestätigen", sagt sie im Gespräch mit dem Abendblatt.

Hamburger Abendblatt: Frau Kerber, Sie haben im Urlaub einen Tauchschein gemacht. Hatten Sie angesichts des Rummels um Ihre Erfolge bisweilen den Wunsch, abzutauchen?

Angelique Kerber: Mir hat es riesigen Spaß gemacht, öfter mal erkannt zu werden. Es stimmt, dass ich auf Turnieren jetzt viel mehr PR- und Pressetermine habe, und ich musste lernen, damit zurechtzukommen, weil die Tage voller waren als früher. Aber ich habe das sehr genossen, gerade weil ich weiß, wie es ist, wenn man weniger Erfolg hat.

Über die Gründe Ihres Höhenflugs Ende der Saison 2011 ist viel geredet worden, Sie fingen damals an, an Ihre Stärke zu glauben. Was war in dieser Saison die wichtigste Weiterentwicklung, die Sie bei sich festgestellt haben?

Kerber: Das waren zwei Dinge. Zum einen, dass ich wirklich gespürt habe, dass ich mit den Besten der Welt mithalten und sie sogar regelmäßig schlagen kann. Diese Bestätigung tat mir gut, ich habe sie gebraucht, um Selbstsicherheit zu gewinnen. Zum anderen, dass ich es jetzt schaffe, eine ganze Saison konstant gut zu spielen. Egal, wie es lief, ich habe mein Ding gemacht und mich nicht von Kleinigkeiten ablenken lassen. Und ich habe bewusst Pausen eingelegt. Früher kannte ich nur den Fokus auf Tennis, habe mich unheimlich unter Druck gesetzt und war nie zufrieden. Das war nicht gut, heute weiß ich, dass ich bisweilen Ablenkung brauche.

Die Wetten, die Sie mit Ihrem Trainer Torben Beltz abschließen, sind das die Ablenkungen, die Sie meinen? Achterbahnfahrten nach Siegen oder auch ein Fallschirmsprung?

Kerber: Genau. Wir haben schnell gemerkt, dass es mir geholfen hat, mich auf diese Art zu motivieren. Außerdem ist es wichtig, auch mal gemeinsam ein bisschen Spaß abseits des Platzes zu haben, wenn man so viel Zeit miteinander verbringt wie Torben und ich.

Was war der größte Moment in der abgelaufenen Saison?

Kerber: Es gab so viele schöne Momente, das Halbfinale in Wimbledon oder die Olympia-Teilnahme. Aber mein erster Turniersieg in Paris, wo ich Maria Scharapowa geschlagen habe und im Finale die Lokalmatadorin Marion Bartoli, war wohl der größte Moment. Das war unbeschreiblich.

Bei den Grand-Slam-Turnieren haben Ihnen viele Experten noch mehr zugetraut, als Sie erreicht haben. Was fehlt Ihnen noch zum ersten Grand-Slam-Titel?

Kerber: Ich bin selbst nicht sicher, ob es viel ist oder doch nicht so viel, wie ich denke. Ich weiß, dass man bei diesen Turnieren zwei Wochen lang auf Topniveau spielen muss. Das fehlt mir auf jeden Fall noch. Aber dann ist es oft nur das Glück, das entscheidet. Und Erfahrung ist wichtig, doch davon werde ich in der neuen Saison ja wieder etwas mehr haben.

Vielleicht schaffen Sie es dann ja auch, Angstgegnerinnen wie die Italienerin Sara Errani, gegen die Sie bei den French Open und den US Open ausgeschieden sind, oder die Polin Agnieszka Radwanska, die Sie in Wimbledon gestoppt hat, zu besiegen.

Kerber: Ich empfinde die beiden nicht als Angstgegnerinnen, denn das würde ja bedeuten, dass ich Angst hätte, gegen sie spielen zu müssen. Dem ist nicht so. Vielmehr waren die in unseren Duellen einfach besser, ich konnte meinen Matchplan nie so durchziehen, wie ich es wollte. Aber natürlich ist es ein Ziel für die neue Saison, zu beweisen, dass ich sie besiegen kann.

Haben Sie denn Angst davor, dass dieses überragende Jahr das beste Ihrer Karriere gewesen sein könnte?

Kerber: Solche Gedanken lasse ich gar nicht zu! Bei mir ist noch so viel Luft nach oben. Ich kann meine Athletik noch weiter verbessern, ebenso meinen Aufschlag und die Sicherheit in meinen Schlägen. Ich weiß, dass es nächstes Jahr auch Tiefs geben wird, aber ich freue mich auf die nächste Saison. Es wird kein einfaches Jahr mit dem ganzen Druck, aber ich brenne darauf zu beweisen, dass ich es noch besser kann.

Ist der Druck für Sie denn wirklich so groß? Ist es nicht eher so, dass Sie schon Mitte der abgelaufenen Saison von der Jägerin zur Gejagten wurden, einfach weil Sie so erfolgreich gespielt haben?

Kerber: Das ist sicherlich richtig, ich wurde von den Gegnerinnen mehr beachtet, jede kannte mich und wollte mich besiegen. Aber der Unterschied ist, dass ich in der neuen Saison von Anfang an die Gejagte bin. Ich muss also vom Start weg voll da sein. Darauf bereite ich mich jetzt vor. Ich werde zunächst zwei Wochen in Polen trainieren, danach geht es wahrscheinlich an die Akademie nach Offenbach, wo ich mit Andrea Petkovic arbeiten will.

Es heißt ja immer, dass sich die deutschen Damen mit ihren Erfolgen gegenseitig beflügeln. In der abgelaufenen Saison hatte man bisweilen das Gefühl, dass Sie die anderen sogar eher gehemmt haben mit Ihrer Stärke.

Kerber: Das sehe ich nicht so. Keine der anderen hat eine schlechte Saison gespielt. Letztlich geht jede ihren eigenen Weg, aber immer, wenn wir zusammen waren, habe ich gespürt, dass wir einander pushen und motivieren.

Bei den deutschen Herren scheint das weniger gut zu funktionieren. Wie beurteilen Sie den Stress um das Daviscupteam?

Kerber: Ich kenne zu wenige Hintergründe, als dass ich mir anmaßen würde, darüber aus der Ferne zu urteilen.

Ist es nicht sogar gut für die Damen, wenn die Herren schwächeln, weil sie dann mehr im Fokus stehen?

Kerber: So denke ich nicht, denn erfolgreiche Damen und Herren sind sehr gut für das deutsche Tennis, und deshalb freue ich mich immer, wenn die Herren Erfolge einfahren. Das Schönste ist es doch, wenn es uns gelingt, dass wieder mehr Kinder mit Tennis anfangen, weil sie uns nacheifern wollen. Ich freue mich jedes Mal, wenn ich so etwas höre.

Sie sind sicherlich für viele Nachwuchsspielerinnen ein Vorbild, auch weil Sie bodenständig erscheinen und nach Erfolgen nicht abheben. Nun haben Sie sich allerdings ein neues Management gesucht. Wollen Sie sich ein anderes Image aufbauen, oder was ist der Grund dafür?

Kerber: Nach den guten Jahren, die ich mit meinem alten Management hatte, wollte ich etwas Neues probieren, um einen Reizpunkt zu setzen. Ich bin nicht im Streit mit dem alten Management auseinandergegangen. Die haben ja einen tollen Job gemacht. Der Wechsel wird zum 1. Dezember vollzogen, und wir besprechen gerade die strategische Ausrichtung für die nächsten Jahre. Aber ich kann Sie beruhigen: Ich werde so bleiben, wie ich bin, und bestimmt nichts tun, was nicht zu mir passt.

Verraten Sie uns zum Abschluss bitte noch eins: Ist es Ihnen wichtiger, 2013 Ihre Weltranglistenposition zu verteidigen, oder würden Sie auch einen Abstieg in Kauf nehmen, wenn Sie dafür Ihr erstes Grand-Slam-Turnier gewinnen würden?

Kerber: Für mich ist es viel wichtiger, konstant gut zu spielen und die Saison 2012 mindestens zu bestätigen, besser noch zu toppen. Titel kommen dann hoffentlich ganz von allein.