Wie motiviert sich ein Boxweltmeister, der als unschlagbar gilt? Wladimir Klitschko und ein Sportpsychologe geben Antworten.

Hamburg. Welche Bedeutung ein Mensch hatte, wird manchmal erst daran deutlich, wie viel über ihn geredet wird, wenn er nicht mehr da ist. Wladimir Klitschko, dreifacher Boxweltmeister im Schwergewicht, war am Montagmittag in die Deutschland-Zentrale des Internetgiganten Google in der Hamburger Innenstadt gekommen, um gemeinsam mit seinem polnischen Herausforderer Mariusz Wach, 32, Werbung für seine Titelverteidigung zu machen, die die beiden am Sonnabend (22.10 Uhr/RTL) in der ausverkauften O2 World zusammenführt. Doch Fragen zum Kampf verblassten angesichts der emotionalen Worte, die der 37 Jahre alte Ukrainer und sein Team zum Tod von Emanuel Steward sprachen.

Der US-Startrainer, der seit 2004 in Klitschkos Ecke tätig war, hatte am vorvergangenen Donnerstag den Kampf gegen den Darmkrebs verloren. Mit Anstecknadeln, die ein Porträt des Verstorbenen zeigten, erwies das Klitschko-Team um Interimstrainer Johnathon Banks Steward seinen Respekt. Auch der Champion trug einen solchen Anstecker, er wirkte, wenn er nicht gerade selbst redete, abwesend, starrte ins Leere. Seine Botschaft aber war eindeutig: "Trotz Mannys Tod bin ich zu 100 Prozent vorbereitet."

Man darf es ihm glauben, denn seit er im April 2004 im ersten Kampf unter Steward gegen Lamon Brewster k. o. ging, hat er keinen der folgenden 16 Kämpfe verloren. "Damals habe ich gelernt, dass ich nie wieder einen Gegner unterschätzen darf, und gespürt, was mir das Boxen bedeutet", sagt er. "Ich habe im Ring alles erlebt und weiß, dass niemand mich schlagen wird, wenn ich zu 100 Prozent fokussiert bin." Deshalb ist die Frage, die sich der Zweimeterhüne vor jedem Kampf beantworten muss: Wie motiviert man sich, wenn man weiß, dass man fast unschlagbar ist?

Heiko Hansen ist Gründer des Deutschen Sport- und Business-Instituts in Bad Bramstedt. Der 47-Jährige hat mehrere Jahre als Mentalcoach mit Boxprofis aus dem Hamburger Universum-Stall gearbeitet. Klitschkos Karriere hat er intensiv vor dem Fernseher verfolgt. "Er ist viel selbstbewusster geworden, seit er selber über seine Karriere bestimmt", sagt er. Die Kombination aus Intelligenz, Technik und Direktheit mache den Weltmeister unbesiegbar.

Der Sportpsychologe hält drei Emotionen für entscheidend, die Klitschko vor jedem Kampf in sich erzeugen muss, um seine Bestleistung zu bringen. "Er muss Freude und Leidenschaft für die Aufgabe haben. Er braucht Neugierde, um die richtige Strategie zu formulieren. Und er benötigt Mut, um alles, was er intensiv trainiert, automatisiert ablaufen lassen zu können", sagt er. Um diese Einstellung zu erlangen, müsse sich der Champion klarmachen, welche Ziele er erreichen will. "Man schließt einen unbrüchlichen emotionalisierten Vertrag mit sich selbst. Dieser schließt ein, dass man sich vornimmt, den Gegner völlig zu respektieren und ihn dennoch überzeugend zu besiegen. Dabei ist die Tiefe der Emotion entscheidend. Der Gedanke an einen überzeugenden Sieg reicht nicht", sagt Hansen.

Zwei wichtige Fakten könnten bei der Motivation helfen. "Zum einen muss er sich klarmachen, wie viele Menschen seinen Kampf sehen wollen und dafür seine beste Leistung verdienen. Zum anderen können er und sein Bruder Vitali zu Legenden des Boxsports werden. Wenn das keine Motivation ist!" Außerdem wolle ein echter Profi sich per se stets weiterentwickeln. "Wenn Wladimir sich in jedem Jahr ein bis zwei ganz persönliche Entwicklungsziele steckt und diese beharrlich umsetzt, dann wird er noch besser werden", sagt Hansen.

Dieses Potenzial sieht Klitschko selbst noch in sich schlummern. "Ich weiß, dass ich gut bin. Aber ich weiß auch, dass ich noch besser sein kann", sagt er. Er genieße es, in jedem Trainingscamp Sparringspartner zu haben, die sich für stärker halten, die anfangs arrogant auftreten und von Tag zu Tag ruhiger und demütiger werden. "Ich liebe dieses Gefühl, der Stärkste zu sein. Aber ich weiß auch, dass ich mich dazu hart quälen muss. Die Vorbereitung ist viel härter als jeder Kampf, aber für die Sekunden im Ring, wenn man gewonnen hat und gefeiert wird, lohnt sich jede Qual", sagt er. Die größte Motivation seien jedoch die vielen Kritiker, die ihn verlieren sehen wollen. "Diese Menschen sind für mich der beste Ansporn. Ich bin denen nicht böse. Ich will, dass sie da sind!", sagt er.

Der Tod seines Trainers werde den Champion eher beflügeln als beeinträchtigen, glaubt Hansen. "Die Entscheidung, zu Steward zu wechseln, hatte vor allem den Grund, aus dem Schatten des übermächtigen großen Bruders zu treten. Dadurch ist Steward ein Symbol und zusätzlich emotionalisiert", sagt er. "Wenn Wladimir es schafft, einen Sieg über Wach als das Schließen des Kreises seiner Freundschaft mit Steward zu betrachten, wird er daraus zusätzliche Stärke ziehen." Klingt nicht gut für Mariusz Wach.