Er wollte nur laufen: Wie Andreas Jagdhuber ein Wechsel zum HSV fast eineinhalb Jahre seiner Leichtathletik-Karriere kostete.

Hamburg. Die schönste Zeit im Sportlerleben von Andreas Jagdhuber währte nur einige Augenblicke. Sie begann am 11. Juni vergangenen Jahres im Zielbereich der Sportanlage an der Kanalstraße in Zeven, einer Kleinstadt zwischen Hamburg und Bremen. Dort also stand Jagdhuber nach dem 1500-Meter-Lauf und war sich sicher, es geschafft zu haben. 4:07,83 Minuten waren für den damals 17 Jahre jungen Mann vom Hamburger SV gestoppt worden. Es war persönliche Bestzeit, Jagdhuber war damit für die deutschen Meisterschaften qualifiziert. Es hätte der Anfang von etwas Großem sein können. Stattdessen war es das vorläufige Ende einer hoffnungsvollen Karriere.

Andreas Jagdhuber hätte dieses Rennen niemals laufen dürfen. Heute weiß er das. Und er weiß, dass es Menschen gibt, die es schon damals wussten. Er hatte sich auf sie verlassen. Sie haben ihn trotzdem laufen lassen. "Und dann ging der Ärger los." Noch im Ziel wurde Jagdhuber von Offiziellen darauf hingewiesen, dass er nicht für den HSV startberechtigt war. Denn dafür hätte er die Mitgliedschaft bei seinem alten Verein Rot-Weiss Cuxhaven spätestens einen Monat im Voraus zum 1. Januar kündigen müssen. Für einen Wechsel außerhalb der Frist sieht die Leichtathletikordnung eine Sperre von neun Monaten seit dem letzten Rennen vor. Am 26. Juni wäre sie abgelaufen. So lange aber hatte der HSV nicht warten wollen.

Andreas Jagdhuber ist ein schmächtiger junger Mann, nicht zu klein, nicht zu kräftig. Könnte man sich einen Ausdauerläufer schnitzen, würde einer wie er herauskommen. Mit der Lauferei hat er im Alter von elf Jahren auf Helgoland begonnen, wo er damals wohnte. Mit 14, die Familie war inzwischen nach Cuxhaven gezogen, war er niedersächsischer Landesmeister über 3000 Meter, mit 15 norddeutscher Meister und über fünf Kilometer auf der Straße der Beste seines Jahrgangs in Deutschland. Er trainierte fünfmal pro Woche, spielte nebenbei Fußball. Die Zeitungen schrieben über den "Ausnahmeläufer", über sein Markenzeichen, die zitronengelben Schuhe, und über seinen Traum, Profisportler zu werden. Beim großen HSV wollte er ihn sich erfüllen. Er sagt: "Ich dachte, dass dort alles viel professioneller abgeht." Heute denkt er das nicht mehr.

In Hamburg waren sie damals froh, dass ihnen ein solches Talent zulief. "Seine Leistungen waren sehr gut, da war schon Substanz vorhanden. Und er hatte große Lust", erinnert sich Klaus Jakobs. Als der Landestrainer von Jagdhubers Problem erfuhr, versuchte er noch beim Deutschen Leichtathletik-Verband zu intervenieren - vergeblich. Mit Schreiben vom 29. Juli 2011 sperrte der DLV Jagdhuber für weitere sechs Monate bis 1. Februar dieses Jahres.

Der Wechsel zum HSV hatte ihn damit fast eineinhalb Jahre seiner Karriere gekostet. Die Schuldfrage ist für Jakobs eindeutig: "Andreas Jagdhuber hat auf das Wort seines Trainers vertraut. Der Fehler lag ganz klar bei den HSV-Verantwortlichen." Der Verein sei vom Landesverband sogar ausdrücklich über die Rechtslage informiert worden.

An eine entsprechende Rückfrage kann sich auch Christoph Prochnau erinnern, der Organisator der HSV-Laufgruppe. Nicht aber daran, dass die Sache so eindeutig gewesen sei: "Wir waren zu dem Schluss gelangt, dass ein vereinsloser Start möglich sei." Erst später habe man erfahren, dass dem nicht so ist. Da aber war die Lage längst verfahren. Jagdhuber wurde in Ergebnislisten als HSV-Starter geführt. "Ein Fehler", sagt Prochnau. Vorzuwerfen habe man sich aber nur, "dass wir uns vorher nicht hundertprozentig vergewissert haben".

HSV-Trainer Michael Barkowski wird beim Thema Jagdhuber einsilbig. Er sagt: "Irgendwie passte es einfach nicht zusammen." Um "den Jungen" tue es ihm leid: "Er ist ein begabter Läufer." Deshalb habe man ihn ja zu den deutschen Meisterschaften bringen wollen. Aber nach Ablauf der Sperre wäre es zu spät gewesen, die Norm zu erfüllen. "Kinderkram", nennt Barkowski die Bestimmungen.

Der Fall Andreas Jagdhuber wirft die Frage auf, wie gerecht es in einem Sport zugeht, der einen Minderjährigen wegen Formfehlern fast eineinhalb Jahre sperrt, aber manchen Dopingsünder mit einer geringeren Strafe davonkommen lässt. Denn die Fehler, für die Jagdhuber bezahlen musste, haben andere gemacht. Auf sie hatte er gehört, auch als sie ihm rieten, die Ausbildung als Fliesenleger nicht anzutreten, weil das schlecht sei für die Gelenke. "Das Verschulden lag eindeutig beim Verein", sagt auch Manfred Mamontow, stellvertretender Leiter des Veranstaltungsmanagements im DLV, "aber das Regelwerk lässt keinen Spielraum."

2013 werden die Wechselbestimmungen gelockert. Künftig können Athleten, die sich beruflich verändern, nach drei Monaten für einen neuen Verein starten, sofern der alte zustimmt. Für Jagdhuber kommt das zu spät. Sportlich aktiv ist er nur noch in der zweiten Fußballmannschaft des TSV Altenbruch, III. Kreisklasse Cuxhaven. Nur ab und zu läuft er noch ein paar Kilometer, "um nicht ganz aus dem Training zu kommen". Im September ist er in Otterndorf über zehn Kilometer angetreten, nur zum Spaß und weil ihn die kenianischen Läufer immer so faszinieren. Er war wieder der Schnellste seiner Altersklasse. Über die Zeit, 36:38 Minuten, hätte er früher gelacht.

Inzwischen kann sich Jagdhuber vorstellen, dass aus der Leichtathletik wieder Ernst wird. Im Winter will er bei Crossläufen starten, die Muskulatur aufbauen. Seine Mutter Susanne sagt: "Andreas braucht einen Halt, einen Trainer, der ihn pusht." Die LG Elmshorn will ihn zum 1. Januar aufnehmen. Die Mitgliedschaft beim HSV hat Jagdhuber kürzlich gekündigt - fristgerecht. Der Verein hat es ihm gleich zweimal schriftlich bestätigt, nicht ohne darauf hinzuweisen, dass er seine Beiträge noch bis Ende des Jahres zu leisten habe. Auf eine Entschuldigung wartet Andreas Jagdhuber bis heute.