Siebenmaliger Toursieger Lance Armstrong betrieb Doping im mafiösen Stil. Der Amerikaner verdiente 100 Millionen Dollar mit dem Sport.

Colorado Springs/Berlin. Am Tag der brisanten Enthüllungen zeigte sich Lance Armstrong betont gelassen. Just hatte die amerikanische Anti-Doping-Agentur Usada mitgeteilt, ihr monströses, mehr als 1000 Seiten schweres Verdikt über das gefallene Radsportidol und die systematischen Dopingpraktiken seines US-Postal-Teams an den Rad-Weltverband gesendet zu haben, da meldete sich der 41-Jährige via Twitter zu Wort: "Was ich heute Abend tue? Rumhängen mit meiner Familie, ungerührt." Und wie fast immer in solchen Fällen erwähnte Armstrong die Arbeit seiner Krebsstiftung. Sie ist sein persönliches Gutmenschen-Schild, wenn man so will.

Der trotzige Tweet vermag gleichwohl nicht zu kaschieren, dass die Dinge schlecht stehen für den Texaner. Sehr schlecht. Am Mittwochabend hatte die Usada, die ihn Ende August lebenslang gesperrt und seine Resultate seit 1. August 1998 rückwirkend annulliert hatte, ihre Dokumente zur Causa Armstrong. Und die haben es in sich. 26 Personen haben unter Eid ausgesagt in dem Fall, ein Großteil davon ehemalige und nach wie vor aktive Radprofis.

Die Dopingfahnder werfen Armstrong sowie fünf Teambetreuern und Ärzten systematisches Doping in den Jahren 1998 bis 2010 vor, unter Verwendung von Steuergeldern zumal. Armstrong selbst habe demnach mit den Substanzen Epo, Kortison und Testosteron gedopt, seinen Körper mit Blutdoping manipuliert und sogar mit verbotenen Mitteln gehandelt. Mehr noch: "Herrn Armstrong war es nicht genug, dass seine Kollegen auf dem Rad das Beste für ihn gaben. Er forderte sie auf, am Dopingprogramm teilzunehmen. Andernfalls wären sie ersetzt worden", heißt es. Die Rede ist vom "ausgeklügeltsten, professionellsten und erfolgreichsten Dopingprogramm, das der Sport jemals gesehen hat". Wobei mit "erfolgreichstes" zweierlei gemeint sein kann: entweder, dass es verblüffende Erfolge zeitigte (sieben Tour-Siege von 1999 bis 2005). Oder dass die Kontrolleure über Jahre an der Nase herumgeführt wurden.

Alles zusammengenommen enthüllten Augenzeugenberichte, Dokumente, direkte und Indizienbeweise den "schlüssigen und unbestreitbaren Beweis", dass Armstrongs Team konspirativ Doping betrieben hat - und zwar "systematisch, ununterbrochen, und hoch professionalisiert", wie Usada-Chef Travis Tygart sagt. Zur Beweisführung dienten detaillierte Bankauszüge, E-Mails und Labortests. Der Bericht der Usada veranschaulicht, wie Armstrong und seine Kollegen die Dopingfahnder über Jahre hinters Licht führten. Während es Ende der 90er-Jahre zunächst bisweilen genügte, Dopingkontrolleuren die Wohnungstür einfach nicht zu öffnen, wussten die Teamverantwortlichen später schon im Voraus über anstehende Tests Bescheid und konnten so die verbotenen Substanzen rechtzeitig verschleiern.

Weil die Dopingkontrollen immer intensiver wurden, habe sich Armstrong mitunter in Wohnungen von Teamkollegen versteckt. Mithilfe der Ärzte in seinem Rennstall wurden exakte Zeitfenster für die Einnahme von verbotenen Substanzen kalkuliert. Lange bekannt ist zudem, dass der Teamarzt Luis Garcia del Moral ein Rezept nachträglich fälschte, nachdem der Star-Fahrer einmal positiv auf Kortison getestet worden war. Die UCI akzeptierte das seinerzeit.

Ohnehin steht der Weltverband angesichts der ungeheuerlichen Dimension der Causa Armstrong mit dem Rücken zur Wand. Wie konnte es möglich sein, dass der beste Fahrer mit dem besten Team über Jahre unbemerkt in großem Stile betrog? Beobachtern drängte sich in der Vergangenheit bisweilen der Eindruck auf, hier werde der Star der Branche protegiert; etwa als es um eine dubiose 100 000-Euro-Spende Armstrongs an die UCI ging. Spekuliert wird darüber, ob es eine Art Schweigegeld war, um einen angeblichen positiven Epo-Test von 2001 zu vertuschen.

Überhaupt gab Armstrong der Usada zufolge horrende Summen aus, um sich unerlaubt flottzumachen. An eine Schweizer Firma seines engen Vertrauten Michele Ferrari etwa, jenes italienischen Mediziners, der heute in seiner Heimat Berufsverbot hat, soll Armstrong zwischen 1996 und 2006 elf Zahlungen über insgesamt 1 029 754,31 US-Dollar geleistet haben.

Bei US Postal, berichtete Usada-Chef Tygart, seien Radprofis unter Druck gesetzt worden. Fahrer wie David Zabriskie, der von 2001 bis 2004 bei US Postal an Armstrongs Seite strampelte, bestätigen das indirekt. Das Team-Management habe ihm die Drogen präsentiert und gezeigt, wie man vorgehen müsse, berichtete der weiter aktive Amerikaner. "Es ist passiert, und es könnte mir nicht mehr leidtun." Im Zuge der Ermittlungen reißt die Mauer des Schweigens ein. Neben Zabriskie gaben auch dessen heutige Kollegen im Profiteam Garmin-Sharp, Christian Vande Velde und Tom Danielson Doping zu ihrer Zeit bei US Postal zu. Sie dürfen für sechs Monate keine Rennen bestreiten, anderen US-Fahrern geht es genauso. Vande Velde sagt: "Eines Tages wurde mir eine Wahl gestellt, die mir damals als einziger Weg erschien, meinen Traum auf dem höchsten Level meines Sports zu verfolgen. Ich willigte ein und überschritt die Linie. Eine Entscheidung, die ich zutiefst bereue."

Worte, die von Lance Armstrong niemand je gehört hat. Der siebenmalige Toursieger - über die Aberkennung der Titel hat in den nächsten 21 Tagen die UCI zu befinden - argumentiert, in seiner Karriere mehr als 500-mal auf Doping getestet worden zu sein. Jedes Mal negativ. Was per se falsch ist: Von 1999 liegen mehrere, wenngleich nicht justiziable Epo-Nachweise vor. Was negative Tests bei herausragenden Sportlern wert sein können, hat der Fall Marion Jones gezeigt. Gut 150-mal wurde die Sprint-Olympiasiegerin von 2000 getestet, gefunden wurde nie etwas - weil sie mit seinerzeit nicht detektierbaren Designerdrogen aus dem Hause Balco hantierte. Erst vor Gericht brach Jones' Lügengebäude zusammen.

In seiner Erklärung lobt Usada-Chef Tygart die späte Offenheit der früheren US-Postal-Radprofis: "Wenn ihnen verziehen wird, haben sie eine Möglichkeit, zum Wohle ihres Sports ein weit größeres Vermächtnis zu hinterlassen als mit allem, was sie auf dem Rad geleistet haben." Lance Armstrong sei die gleiche Chance eröffnet worden, sagt Tygart. "Er lehnte sie ab."