Ein Kommentar von Rainer Grünberg

In der Biografie des Lance Armstrong haben nur Superlative Platz. Erst besiegte er den Krebs, dann alle Konkurrenten, und fortan darf er als der größte Betrüger in der Geschichte des Sports bezeichnet werden. Der Erfolg seines Dopingsystems, das mafiöse Strukturen, Einschüchterungen wie Erpressungen, aufweist, wäre allerdings ohne Mithilfe des Radsport-Weltverbands kaum möglich gewesen.

Der Fall Armstrong kann deshalb nicht mit der Aberkennung aller Siege des US-Amerikaners zu den Akten gelegt werden. Will der Radsport den Kampf um seine Glaubwürdigkeit gewinnen, mit dem der Verband in den vergangenen Jahren ernsthaft begonnen hat, müssen auch jene zum Teil korrupten Funktionäre zur Rechenschaft gezogen werden, die konsequent weggeschaut, eindeutige Hinweise ignoriert und sich in Armstrongs Heldenepos gesonnt haben. Auch Armstrongs heimliche Helfer sind Täter. Es wäre jetzt die vornehmste Aufgabe des Internationalen Olympischen Komitees, sich dieser Aufgabe in Zusammenarbeit mit staatlichen Organisationen anzunehmen. Wer die Werte des Sports nicht schützt, verliert seine Berechtigung, die Jugend der Welt zum fairen Wettstreit aufzurufen.

"Ich habe niemanden betrogen", hat Jan Ullrich, der deutsche Toursieger von 1997, einst erklärt, als ihn die Beweise für seine Dopingvergehen in Erklärungsnot brachten. Ullrich hatte recht. 20 der 21 Rennfahrer, die in der Armstrong-Ära bei der Tour de France vom Podium der drei Erstplatzierten grüßten, stehen unter Dopingverdacht oder sind bereits des Dopings überführt. Insofern kann es nur eine Antwort auf die Frage geben, wer Armstrongs Erfolge erben soll: Niemand!