Hoffenheim will nach dem Unfall von Boris Vukcevic den Weg zurück in den Bundesliga-Alltag finden. Teampsychologe hilft den Profis.

Zuzenhausen. Jan Mayer kommt aus einem der vielen Gespräche mit den Spielern, Trainern und Verantwortlichen bei 1899 Hoffenheim. Er sieht geschafft aus. Der Teampsychologe hat den derzeit vielleicht schwierigsten Job im deutschen Fußball: Während Mittelfeldspieler Boris Vukcevic nach seinem Autounfall im Heidelberger Universitätsklinikum um sein Leben kämpft, versucht er die Bundesliga-Mannschaft wieder aufzurichten. „Es geht jetzt darum, aus dieser schwierigen Situation Kraft zu ziehen. Sich in einer besonderen Verantwortung zu erleben und für Boris hier Energien zu mobilisieren“, erklärt Mayer in einem Interview mit der Nachrichtenagentur dpa und der „Rhein-Neckar-Zeitung“.

„Die Überzeugung, 'Boris würde es von uns fordern, zusammenzustehen und das Beste aus diesem Spiel herauszuholen', muss dominieren.“ Es darf auch gelacht werden an diesem herrlich sonnigen Herbsttag in Zuzenhausen: Stürmer Eren Derdiyok schüttete seinem Kollegen Roberto Firmino, der Geburtstag hat, eine Hand voll Magnesia ins Genick. Bei der Übungseinheit unter der Regie von Trainer Markus Babbel scheint alles wie immer – auf den ersten Blick: Viele Trainingsminuten laufen auch schweigend ab.

Manager Andreas Müller spricht am Rande des Platzes in Mikrofone und Kameras: „Es gibt keine Normalität, es gibt auch in drei Wochen keine Normalität“, sagt er leise. Die Situation sei „sehr sensibel, extrem schwierig. Das Wichtigste ist, dass wir die gewohnten Rituale wieder aufnehmen. Wir sind davon überzeugt, das ist das Beste.“

Vukcevic liegt nach dem Unfall vom Freitag, als er auf dem Weg ins Training mit seinem Wagen frontal in einen 40-Tonnen-Laster fährt, mit schwersten Kopfverletzungen im künstlichen Koma. Sein Gesundheitszustand sei „unverändert kritisch“, erklärt Müller erneut. „Gewisse Dinge haben sich stabilisiert.“ Eine Prognose, so die Universitätsklinik in einer Presseerklärung, „ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht möglich und wird voraussichtlich erst in den nächsten Wochen möglich sein.“

Psychologe Mayer hat wie alle Betreuer einen schwarzen Trainingsanzug an. Die Entscheidung der Mannschaft, am vergangenen Sonnabend gegen den FC Augsburg anzutreten, sei richtig gewesen. „Es ist wichtig, wahrscheinlich auch für Boris, aber besonders auch für die Spieler, handlungsfähig zu bleiben“, sagt er. „Ganz grundsätzlich ist in solchen Phasen Normalität hilfreich. Die versuchen wir, so gut es geht, herzustellen.“

Mayer hat sich auch mit seinem Kollegen Hans-Dieter Hermann beraten, der die Nationalmannschaft betreut und ihr auch in der Phase nach dem Freitod von Robert Enke zur Seite stand. Der Hoffenheimer Psychologe versucht, mit entsprechende Maßnahmen in der Gemeinschaft den Verarbeitungsprozess zu unterstützen. Auch Einzelgespräche gab und gibt es. Für die Gedanken an Vukcevic müssten Freiräume bleiben. „Von einer Traumatisierung bei den Spielern ist nicht auszugehen – es gibt bislang keine Anzeichen“, sagt er.

Mittelfeldspieler Sejad Salihovic hatte gegen Augsburg die Nerven verloren, ist einem Gegenspieler in die Beine gegrätscht und sah Rot - vier Spiele Sperre. Jetzt steht er verschwitzt nach der Übungseinheit bei einem Interview und sucht nach Worten. „Es ist natürlich schwer für alle. Aber wir müssen damit umgehen. Wir denken an Boris und seine Familie“, sagte der Bosnier, hilft sich mit einer Plattitüde aus dem Fußballjargon und murmelt etwas von „nach vorne schauen“.

Nicht weit weg vom Zaun am Rasenplatz steht „Nico's Eisstube“ auf Rädern, doch der Italiener macht kein großes Geschäft: Nur ein paar Dutzend Schaulustige schauen den Profis zu und reden darüber, wie und wo sie das „mit dem Boris“ erfahren haben. Nach dem bleiernen Spiel gegen Augsburg hatten sich alle 1899-Spieler das Trikot mit der 7 übergestreift – Vukcevics Rückennummer. Die Mannschaft hat sich weitere Solidaritätsaktionen überlegt, will aber damit noch nicht an die Öffentlichkeit.

Jetzt geht's für die Hoffenheimer zum Tabellenführer FC Bayern München – ausgerechnet. „Dass die Vorbereitung nicht normal sein kann, ist selbstverständlich“, sagt Müller. „Der Boris, der um sein Leben kämpft ist ein ganz, ganz wichtiger Teil unserer Mannschaft.“