Tischtennisspielerin Stephanie Grebe startet bei den Paralympics in London

Heidgraben. Tischtennis ist ein Sport für Hände und Füße. Denkt jeder, der Stephanie Grebe nicht kennt. Die 24-Jährige mit dem frechen Kurzhaarschnitt, himmelblauen Augen und einem hinreißenden Lächeln wurde ohne Unterarme geboren, auch der rechte Unterschenkel fehlt ihr. Trotzdem wurde Stephanie 2010 deutsche Meisterin im Tischtennis - und tritt von diesem Mittwoch an bei den Paralympics in London an.

Aufgewachsen ist die Tischtennisspielerin der Handicap-Klasse 6 - schwerste Behinderung stehender Sportler - in Prenzlauer Berg in Berlin. Aus einem Kindergarten für Körperbehinderte meldeten ihre Eltern sie schnell wieder ab. "Die meisten Kinder waren zusätzlich auch geistig behindert", sagt Stephanie. "Und im Kopf bin ich ja völlig in Ordnung." Und so wuchs sie auf wie andere Kinder auch: Sie ging in einen gewöhnlichen Kindergarten, wurde eingeschult, besuchte nach der Grundschule ein Gymnasium - und entwickelte eine erstaunliche Geschicklichkeit im Kompensieren ihrer fehlenden Hände.

Als Stephanie zwölf war, ermunterte ihr Vater Ralf sie während eines Griechenland-Urlaubs, mit ihm Tischtennis zu spielen. Den Schläger hielt sie, ähnlich wie ein Tennisspieler, mit beiden Armstümpfen fest. Schnell von einer Seite zur anderen zu kommen, fiel ihr trotz Gehbehinderung nicht schwer. Schließlich war sie ja auch immer wieder mit ihren Freunden auf dem Bolzplatz gewesen. Zu Hause trat sie dem Tischtennisverein 3B Berlin bei. Aufsehen hat sie gewiss erregt, doch an Berührungsängste bei ihren Mitspielerinnen kann sie sich nicht erinnern. "Ich habe ganz normal mit den anderen Kindern trainiert", sagt Stephanie Grebe. Zunächst nur zum Vergnügen, doch als 13-Jährige trainierte sie parallel auch im Behindertensport mit, startete bei deutschen Meisterschaften.

Nachdem die Eltern sich getrennt hatten und der Vater mit seiner Tochter zur neuen Freundin und deren Sohn nach Heidgraben bei Pinneberg gezogen war, spielte Stephanie, damals 16, im Moorreger SV weiter. Jetzt spielt sie mit dem ersten Damenteam in der Landesliga. Auch im Behindertensport startete sie durch, erst für die BSG Neumünster, dann bei der VSG Gelsenkirchen. Denn: "Die sportliche Förderung in Schleswig-Holstein ist mangelhaft."

Im April 2010 wurde sie deutsche Meisterin im Behinderten-Tischtennis. Damit gehörte sie zu den Hoffnungsträgern des Deutschen Behindertensportverbandes (DBS) für einen Start bei den Paralympics. Seit eineinhalb Jahren trainiert sie mit Verbandstrainer Hannes Doesseler freitags bis sonntags im Düsseldorfer Landesleistungszentrum. Vorhand, Rückhand, Aufschlag, Taktik - vier bis fünf Einheiten à zwei Stunden wöchentlich. "Das macht Spaß, ist aber ziemlich anstrengend", sagt Grebe. Im März 2011 trat sie erstmals international an, spielte in Italien, Frankreich, Slowenien, Kroatien und der Slowakei. "Ich bin immer Dritte geworden", sagt sie. Die meisten ihrer Gegnerinnen leiden an spastischen Behinderungen.

Längst hält Stephanie den Schläger nicht mehr mit den Armen; ein Orthopädie-Techniker hat ihr eine Hülse angefertigt, an der ein Schläger befestigt ist. Wie sie damit spielt, demonstriert Stephanie an der Tischtennisplatte im Heidgrabener Garten, aber nicht mehr beim Moorreger SV: "In der Woche vor den Wettkämpfen darf ich nicht mehr trainieren", sagt sie. "Das Verletzungsrisiko ist zu hoch."

Wie alle Olympioniken trägt Stephanie Grebe die vorgeschriebene Kleidung: schwarze Hose, weiße Jacke oder Trikot mit Bundesadler. "Zum Einlaufen tragen wir Kleidung von Bogner: rosa Jacke, Bluse und weiße Hose", freut sie sich auf die Eröffnungsfeier. Spielen wird sie in einer Spezialanfertigung der Tischtennisfirma Donic.

Sponsoren für Großereignisse wie die Paralympics gibt es reichlich. Unterstützer im privaten Bereich sind weniger leicht zu finden. Stiefmutter Britta Grebe wandte sich an die lokale Presse, damals, als ihre Stieftochter international durchstarten wollte. "Es haben sich viele, oft ältere Leute gemeldet", erinnert sich Stephanie. Noch heute überweisen manche meist kleinere Beträge. 7000 bis 8000 Euro sind pro Jahr für Reisekosten, Startgeld und Hotelunterkünfte fällig. Dass Stephanie das bezahlen kann - sie selber studiert, ihr Vater arbeitet als Hausmeister -, verdankt sie ihren Hauptsponsoren: dem Albertinen-Diakoniewerk in Schnelsen und der Firma Industrie-Montagen Klein in Uetersen; ihre Sportkleidung spendiert Contra-Sport in Henstedt-Ulzburg.

Mittlerweile steht Grebe auf Platz vier der Weltrangliste. Das war nur möglich, weil die Arbeitsagentur, bei der sie vor dem Studium eine Ausbildung zur Fachangestellten für Arbeitsförderung gemacht hat, ihr für Training und Wettkämpfe freigab. Der erlernte Beruf war aber dann doch nicht der richtige. "Mir waren das Soziale und der Kundenkontakt wichtig", sagt sie. "Ich hatte aber nur mit Akten zu tun." Nun studiert sie Sozialökonomie mit Schwerpunkt Arbeitsrecht in Hamburg. Sie weiß: "Von Tischtennis allein kann man nicht leben, zumindest nicht im Behindertensport."

Ein Vierteljahr lang hat sie sich intensiv auf die Paralympics vorbereitet, zuletzt bei einem Lehrgang auf Fehmarn. Tapestreifen auf ihrem Nacken zeugen von der Härte des Trainings. Damit sie gesundheitlich über die Runden kommt, nimmt sie ihre Physiotherapeutin Simone Quittmann mit nach London. Für die mentale Unterstützung ihren Vater und die Stiefmutter, für die sportliche Trainer Doesseler.

So kurz vor den Paralympics steigt die Anspannung von Tag zu Tag. Ihr erstes Spiel wird Stephanie Grebe am 30. August austragen, um 12.10 Uhr. Ihre Gegnerin kennt sie noch nicht. Eins steht fest: "Ich will auf jeden Fall mit einer Medaille nach Hause kommen. Welche Farbe das Edelmetall dann hat, ist mir eigentlich egal."