Dank einer Reform der Rugby-Bundesliga sind der FC St. Pauli und Hamburger RC erstklassig. Beide wollen ihren Sport jetzt bekannter machen.

Hamburg. Gordon Roeder hat den Stuhl mit dem Rücken zum Spielfeld gewählt. Jetzt kann er zwar immer noch hören, was dort passiert: die Kommandos, "one, two, three", das Stöhnen, wenn ein Spieler von einem anderen zu Boden gerissen wird. Aber er muss nicht mit ansehen, wie die anderen trainieren, während er nur herumsitzen kann. Es ist schon ein Jammer: Da bestreitet der Hamburger Rugby-Club, kurz HRC, am Sonnabend das erste Bundesligaspiel seiner Geschichte, und Roeder, 33, kann wohl gar nicht dabei sein. Er, der Kapitän, der den Angriff und die Abwehr lenken muss. Der als Einziger mit dem Schiedsrichter reden darf und dessen Position so vielseitig ist, dass es für sie keine genauere Bezeichnung gibt als die Nummer: acht.

Schuld ist ein Muskelfaserriss, erlitten am vergangenen Donnerstag. Natürlich ist Roeder trotzdem auch an diesem Dienstagabend zum Training gekommen. Und natürlich hat sich der Polizeibeamte schon viel mit dem Gegner Germania List aus Hannover beschäftigt. "Ich träume sogar von Rugby", sagt Roeder, "wahrscheinlich ist das ein bisschen verrückt."

Wahrscheinlich muss man ein bisschen verrückt sein, um in Hamburg Rugby zu spielen. Der Aufwand ist groß - Roeder kommt auf sieben bis acht Trainingseinheiten pro Woche. Die Aufmerksamkeit ist gering - bei den Heimspielen ist die große Rugby-Familie weitgehend unter sich. Roeder sagt: "Es ist hier schwer zu vermitteln, was Rugby eigentlich ist."

Das soll sich ändern, nun, da der HRC unverhofft aufgestiegen ist. Beim Deutschen Rugby-Tag Mitte Juli in Hannover stimmte eine knappe Zweidrittelmehrheit der Vereine dafür, die Bundesliga von zehn auf 24 Vereine aufzustocken (s. Info-Kasten). Dadurch rückte der HRC als Vierter der Zweiten Bundesliga Nord nach. Da der FC St. Pauli als Tabellenerster ohnehin sportlich qualifiziert war, sind nun gleich zwei Hamburger Vereine erstklassig. Und das, nachdem die Hansestadt jahrzehntelang gar nicht in der Bundesliga vertreten war. "Für die Wahrnehmung unseres Sports ist das ein gewaltiger Schritt nach vorn", sagt der HRC-Vorsitzende Heinz-Peter Jungblut.

Sportlich ist es ein Abenteuer. Es beginnt scheinbar harmlos. Drei ihrer vier Hannoveraner Vorrundengegner kennen die Hamburger Teams noch aus der Zweiten Bundesliga. Einzig Hannover 78 ragt heraus. "Gegen sie kann es nur darum gehen, die Niederlage in Grenzen zu halten", sagt HRC-Sprecher Matthias Hase, "alle anderen sind schlagbar." Platz vier würde den Klassenerhalt vorzeitig sichern. Spätestens dann werden sich Klassenunterschiede auftun. Mit den Vollprofimannschaften aus Heidelberg oder Pforzheim kann und will sich in Hamburg niemand messen. Hase sagt: "Im Süden gibt es Geld. Bei uns gibt es nur die Liebe zum Sport."

Zumindest aufgehorcht hätten aber auch hier einige Sponsoren, als der Aufstieg feststand. Ihr Engagement wird noch gebraucht, wenn es darum geht, die längeren Auswärtsfahrten in der Meisterrunde zu finanzieren. Die Kosten waren schließlich ein, wenn nicht der entscheidende Grund dafür, die Liga aufzustocken und vierzuteilen. "Wir mussten etwas tun, schon um die Belastung für die Vereine zu reduzieren", sagt Ralph Götz, Präsident des Deutschen Rugby-Verbandes. Erwünschte Nebenwirkung: Mit Hamburg, Köln, Mainz, Leipzig und Potsdam wurden gleich fünf großstädtische Standorte für die Bundesliga erschlossen.

Von den arrivierten Klubs waren nicht alle begeistert. Langfristig werde durch das neue System das Niveau aber angehoben, glaubt Götz. Auch HRC-Coach Mike Smith ist davon überzeugt. Er sagt: "Wir wollen uns mit stärkeren Gegnern messen, um uns weiterzuentwickeln."

In zwei bis drei Jahren, so der Plan der Ligareformer um den früheren Heidelberger Nationalspieler Manuel Wilhelm, sollen Regionalauswahlen anstelle von Vereinen den Meister ausspielen. Vorbilder finden sich in Irland, Wales und Australien. Der Modus würde auch eine deutsche Tradition wiederbeleben: Bis in die 60er-Jahre waren Duelle zwischen Nord- und Südauswahl recht populär. "Ob das mit unserer gewachsenen Klubkultur noch funktioniert, muss man schauen", sagt Götz.

Erst einmal gelte es, dem neuen System eine Chance zu geben. Für den HRC erfolgt um 15 Uhr an der Saarlandstraße der Ankick in eine neue Ära. Eintrittsgeld wird erst ab der Meisterrunde verlangt. Der FC St. Pauli bestreitet am 1. September gegen den DRC Hannover an gleicher Stelle sein erstes Heimspiel. Am 15. September empfängt der HRC dann den Lokalrivalen.

In der vergangenen Zweitligasaison lockte das Derby mehr als 500 Zuschauer an. "Das Spiel hat gezeigt, welches Potenzial Rugby hier hat", sagt Roeder. So laut sei es gewesen, dass er seine eigenen Gassenkommandos nicht mehr gehört habe. Spätestens für dieses Spiel will er wieder fit sein.