Der jamaikanische Sprintstar Usain Bolt ruft sich nach seinem zweiten Gold zur Legende aus. “Kein Respekt“ vor seinem Kritiker Carl Lewis.

London. Als er seine zweite Goldmedaille dieser Olympischen Spiele um den Hals trug, ließ Usain Bolt jegliche Bescheidenheit fallen. "An alle Zweifler: Ihr könnt jetzt aufhören zu quatschen", rief der schnellste Mann der Welt. "Ich bin der Größte, ich bin jetzt eine lebende Legende!" Der Sprinter aus Jamaika hatte, nachdem er das 200-Meter-Finale deutlich in 19,32 Sekunden gewonnen hatte, zweimal in Folge bei Olympischen Spielen Gold über 100 und 200 Meter geholt - das hatte vor ihm noch kein Athlet geschafft. Aber muss er sich deswegen mit 25 Jahren gleich zur "Legende" ausrufen?

Schon werden Vergleiche gezogen zu Idolen wie Michael Jordan, Muhammad Ali, Pelé. Das geht selbst Bolt ein bisschen zu weit. Ihm genügt vorerst die Aussicht, sich mit dem doppelten Double in seiner Sportart unsterblich gemacht zu haben. "In der Leichtathletik, schätze ich, bin ich jetzt in der Kategorie Legende. Über anderes sollen andere entscheiden."

Unstrittig ist, dass Usain St. Leo Bolt aus Sherwood Content in Nordjamaika mehr denn je das Gesicht seiner Sportart ist. Und neben dem Rekordolympiasieger Michael Phelps, 27, ist der 25-Jährige zugleich einer der prägenden Charaktere dieser Spiele.

Kein anderer ist unterhaltsamer als Bolt. Keiner vermag es, mit seinen Mätzchen Menschenmengen derart für sich zu vereinnahmen. Und bei keinem stehen Entertainment und Spitzenleistung so sehr im Einklang wie bei ihm. Er ist ein Idol für Millionen - sogar für seine Konkurrenten. Yohan Blake, 22, der wie schon über die 100 Meter auch über die doppelte Distanz Silber gewann (19,44 Sekunden), plapperte wie überwältigt drauflos: "Usain hat mich viel gecoacht, ist ein guter Typ, ein großartiger Kerl, toll, ein guter Typ, klasse."

Neben Bolt ist Blake der Kronprinz mit geringem Redeanteil. Und solange der drei Jahre Ältere sich weiter als Sprinter verdingt, wird sich an der Rollenverteilung so schnell nichts ändern. Wiewohl Bolt schwant: "Yohan Blake wir die nächsten vier Jahre brennen. Da steige ich lieber vorher aus, bevor er mir davonläuft." Vor zwei Jahren habe er Blake gesagt: "Du bist zur falschen Zeit da. Die nächsten zwei Jahre sind meine Zeit! Danach kommt erst deine."

Wie es jetzt, wo sein Plan aufgegangen ist, in seinem Leben weitergeht, vermag Bolt noch nicht zu sagen. Die Saison wird er wohl austrudeln lassen, zurücktreten mag er noch nicht. Nur eines bereitet ihm Kopfzerbrechen: "Ich habe mir Ziele gesetzt und erreicht, was ich wollte. Ich werde mich jetzt in Ruhe hinsetzen müssen und überlegen, was mich in Zukunft motivieren könnte." Vorher will er aber noch mit der jamaikanischen 4x100-Meter-Staffel Gold holen. Es wäre sein sechstes bei Olympischen Spielen. Die Chancen auf einen Weltrekord am Sonnabend seien da.

In die allgemeine Hochstimmung mischen sich unterdessen auch Misstöne. Carl Lewis' Kritik kann nicht unerwähnt bleiben. Sie ist zwar beileibe nicht neu, doch scheint sie den Jamaikanern noch immer ein Stachel zu sein. "Wer es nicht infrage stellt, wenn jemand im einen Jahr noch 10,03 Sekunden läuft und im nächsten 9,69, und das in einem Sport mit der Reputation wie zurzeit, der ist ein Depp. Punkt."

Bolt moserte zurück: "Vor Carl Lewis habe ich jeglichen Respekt verloren. Der heischt doch nur nach Aufmerksamkeit. Dafür, dass der aus unserem Sport kommt, ist das echt schlimm. Kein Mensch erinnert sich mehr, wer das überhaupt ist."

Die Fehde mit dem neunmaligen Olympiasieger aus den USA reicht bis kurz nach den Spielen in Peking zurück. Seit damals drängt sich die Frage auf, die auch in London gestellt wird: Wie machen die das bloß?

Erkundigt man sich bei Glen Mills, dem Trainerguru von der Karibikinsel, spricht er viel vom harten Training, vom Konkurrenzkampf unter Schülern, vom Talent und von Hingabe. Nur nie von Doping. "Die Leute reden immer viel Zeugs. Die Leichtathletik mag ihren Teil zu dieser Art von Skepsis beigetragen haben, da unglücklicherweise eine Zahl herausragender Sportler positiv getestet worden ist. Das verursacht Zweifel an jedem, der schnell läuft. Aber Doping ist nicht das Einzige, was die Leute schnell laufen lässt. Talent und harte Arbeit führen ans Ziel", sagte der Trainer von Bolt, Blake und dem 200-Meter-Dritten Warren Weir.

In der Leichtathletik bleibt Jamaika (2,8 Millionen Einwohner) das kleine gallische Dorf, das dem Rest der Welt - darunter die mächtigen USA (311 Millionen Einwohner) − eine lange Nase zeigt. Nur dass es dort eben keinen Zaubertrank geben soll. "Drug free? Sicher!", rief Usain Bolt, "ohne Zweifel. Wir alle arbeiten hart. Wir sehen uns alle jeden Tag im Training, spucken jeden Tag, nehmen Eisbäder, liegen platt auf der Bahn. Wir versuchen der Welt zu zeigen, dass wir clean laufen."

Die Show geht weiter.