Der Ruderer über den Erfolg mit dem Deutschland-Achter, seine Folgen für den Rudersport und den verhinderten Umzug ins olympische Dorf.

Dorney. Die Goldmedaille hat Eric Johannesen inzwischen abgelegt. Auf die Dauer könnten 412 Gramm um den Hals ganz schön schwer werden, erzählt der 24-Jährige vom Ruder-Club Bergedorf. Das breite Grinsen aber ist auch zwei Tage nach dem Olympiasieg mit dem Deutschland-Achter noch da.

Hamburger Abendblatt: Herr Johannesen, wie fühlen Sie sich?

Eric Johannesen: Es stürzt so viel auf einen ein, dass man kaum Zeit hat, es zu verarbeiten. Als ich mir am Donnerstag die Siegerehrung der anderen Rennen angeschaut habe, wurde mir noch bewusster, was wir geschafft haben. Olympiasieger - das waren für mich immer die größten Helden. Dass man jetzt selbst dort steht, ist die Erfüllung des größten Traums.

+++ Hamburgs Sportler des Jahres +++

Gibt es auch so etwas wie Wehmut, weil es keinen größeren gibt, der sich noch erfüllen könnte?

Johannesen: Ein bisschen ist das im Hinterkopf. Ich bin im vergangenen Jahr Weltmeister geworden, jetzt Olympiasieger. Aber es ist im Sport einfacher, es einmal nach ganz oben zu schaffen, als sich ganz oben zu halten. Die Ziele werden mir schon nicht ausgehen. Ich will auch in Rio 2016 erfolgreich sein.

Im Achter?

Johannesen: Das wird sich zeigen. Ich denke und hoffe, dass wir auch künftig eine starke Truppe haben und viele von uns weitermachen. Aber darüber haben wir noch nicht geredet.

Was zeichnet das Team aus?

Johannesen: Dass jeder für den anderen einsteht. Es hat großen Spaß gemacht, ein Teil dieser tollen Truppe zu sein. Unser Trainer Ralf Holtmeyer betont zwar, dass Freundschaften im Achter nicht wichtig sind. Ich bin aber überzeugt, dass uns die Freundschaft noch ein bisschen stärker gemacht hat, als wir es ohnehin wären. Wir harmonieren auch menschlich miteinander.

Der Gold-Achter von 1968 trifft sich immer noch gelegentlich zum Rudern.

Johannesen: Ich bin mir sicher, dass wir auch sehr lange in Kontakt bleiben werden. Da sind Freundschaften fürs Leben gewachsen.

Wie haben Sie die Zeit nach dem Finale verbracht?

Johannesen: Nach dem Rennen hat unser Hauptsponsor Wilo eine Feier in der Nähe des Ruder-Athletendorfs organisiert. Das war wirklich nett. Leider mussten wir gleich weiter ins Sendezentrum nach London. Die Fahrt hat fast zwei Stunden gedauert. Wir hatten Interviewtermine beim ZDF, bei Eurosport und einigen Nachrichtendiensten. Anschließend ging es ins Deutsche Haus, dort wurden wir vom Innenminister empfangen, viele Medien waren da. Das ganze Haus hat getobt, als wir eintrafen, das war schon beeindruckend. Gegen 23 Uhr wurde der Rummel dann etwas weniger.

Wie viele Glückwünsche haben Sie bekommen?

Johannesen: Es werden so 150 gewesen sein. Leider konnte ich noch nicht alles beantworten. Schon Wahnsinn, wer sich alles gemeldet hat. Im Frühjahr habe ich mir ein Fahrrad gekauft und kam mit den Leuten im Laden ins Gespräch. Auch sie haben mir gratuliert, obwohl man sich nur flüchtig kennt. Was mir wirklich nahegeht: Meine alte Schule, das Gymnasium Allermöhe, hat extra die Lehrerkonferenz unterbrochen, um das Rennen zu sehen. So viel Unterstützung zu spüren ist überwältigend. Heute Morgen hat mich mein Opa angerufen und mir gesagt, dass er alle Zeitungsartikel über uns gesammelt hat. Er ist sehr glücklich und freut sich auf unsere Ankunft mit dem Schiff in Hamburg am 15. August. Dieser Empfang wird bestimmt etwas Besonderes.

War das Finale anstrengender für den Körper oder für den Kopf?

Johannesen: Die mentale Belastung hat sich auch körperlich ausgewirkt. Man spürt die Anspannung auch in der Muskulatur. Entsprechend groß ist die Last, die hinterher abfällt. Am Abend waren wir ziemlich erschöpft. Natürlich war das Rennen auch extrem hart. Bedingt durch den Gegenwind hat es fast 30 Sekunden länger gedauert als der Vorlauf. Gerade die letzten Meter haben sich scheinbar endlos in die Länge gezogen.

Wie sind Sie damit umgegangen, dass alle von Ihnen Gold erwarteten?

Johannesen: Offensichtlich ganz gut. Wir haben uns vorher vorgenommen, die Berichterstattung über uns möglichst auszublenden. Dass wir die Favoriten waren, wussten wir.

In Peking 2008 landete der Deutschland-Achter auf dem letzten Platz. Ist der Sieg vier Jahre später auch eine Reaktion auf dieses Debakel?

Johannesen: Ich glaube schon. Florian Mennigen und Kristof Wilke saßen damals bereits im Boot. Sie waren immer besonders darauf bedacht, dass wir uns nie mit dem zufrieden geben, was wir erreicht haben, sondern immer konzentriert weiterarbeiten. Auch nach dem Vorlaufsieg haben sie uns gewarnt, dass wir schön auf dem Boden bleiben müssen und noch nichts gewonnen ist. Die beiden wollten es sich und den anderen natürlich besonders beweisen.

Was bedeutet der Sieg fürs Rudern?

Johannesen: Ich kann mir schon vorstellen, dass das Rennen die Menschen fasziniert hat und ihnen in Erinnerung bleiben wird, so wie das von 1988. Soweit ich weiß, ging es auch noch nie in einem olympischen Finale so eng zu. Zwischen dem ersten und dem letzten Platz lagen nur dreieinhalb Sekunden, und das nach 2000 Metern. Es wäre wünschenswert, dass der Erfolg unserem Sport guttut. Aber wir sollten die Dimension nicht überschätzen. Es wird deshalb nicht alle Welt jetzt mit Rudern anfangen wollen.

Wie zahlt sich der Erfolg für Sie aus?

Johannesen: In erster Linie ist es eine Genugtuung für uns. Finanziell ist es auch nicht schlecht. Von der Sporthilfe gibt es für einen Olympiasieg 15 000 Euro, die über ein Jahr gestreckt monatlich ausgezahlt werden. Unser Sponsor gibt noch einmal ungefähr so viel dazu. Und die Sponsoren der deutschen Olympiamannschaft haben noch einmal diverse Prämien ausgelobt: Flugtickets, Fahrsicherheitstraining, Einkaufsgutscheine - da sind schon ein paar nette Sachen dabei. Aber deshalb hat man es sicher nicht gemacht. Dieser Sieg bleibt für die Ewigkeit. Ich habe das auch in Hamburg vor den Spielen beobachten können, als die Olympiasieger von früher immer noch gefragt waren. Die Befriedigung, es gepackt zu haben, ist riesengroß. Sie lohnt all die Arbeit, die man hineingesteckt hat.

Lässt die sich beziffern?

Johannesen: 13 000, vielleicht 13 500 Stunden in einem Jahr. Wobei es ja nicht bei einem Jahr bleibt. Dank meiner Anstellung bei der Bundeswehr, die mich super unterstützt hat, konnte ich diese Zeit aufbringen. Aber ich musste natürlich bei der beruflichen Ausbildung zurückstecken. Und privat ohnehin. Ich war im Jahr vielleicht an 40 Tagen zu Hause und habe meine Partnerin kaum gesehen. Aber der Erfolg macht das alles vergessen.

Ist er umso höher einzuschätzen, als die Konkurrenz bessere Bedingungen hatte?

Johannesen: Hätten wir uns nicht professionell vorbereitet, wäre der Erfolg sicher nicht möglich gewesen. Die Rahmenbedingungen in Deutschland sind schon gut. In anderen Ländern kommt wahrscheinlich finanziell noch mehr heraus.

Wird es wieder 24 Jahre dauern, bis es einen Olympiasieg im Achter gibt?

Johannesen: Ich hoffe nicht. Nach 1988 ist außer dem Steuermann nur ein Besatzungsmitglied an Bord geblieben. Bei uns wird ein Leistungskern erhalten bleiben. Und wir haben junge Talente, die nachrücken. Auch unser Zweier ist richtig stark.

Nicht so stark wie Sie und Andreas Kuffner. Wäre ein Doppelstart für Sie denkbar gewesen?

Johannesen: Ich kann mir bei der Leistungsdichte nicht vorstellen, dass man zwei Medaillen holen könnte. Der Zeitplan mit vier statt zwei Finaltagen hat die Chancen etwas erhöht. Aber die Erfahrung der Frauen von 2004 lehrt, dass das Risiko hoch ist, am Ende ganz ohne Medaille nach Hause zu gehen. Man muss Prioritäten setzen. Und das Achterrudern hat mir mehr Spaß gemacht.

Wie anspruchsvoll ist es technisch?

Johannesen: Man macht in einem Rennen 220 Schläge und zieht dabei das Blatt jedes Mal 1,40 Meter durchs Wasser, so harmonisch wie möglich. Schon der kleinste Fehler kann sich extrem auswirken angesichts der Kräfte, die wirken. Man bewegt ja insgesamt eine Tonne Gewicht. Ein perfektes Rennen gibt es sicherlich nicht.

Wann steigen Sie wieder ins Boot?

Johannesen: Genau weiß ich es noch nicht. Auf den E.on-Hanse-Alstercup in Hamburg am 22./23. September werden wir uns vorbereiten. Den E.on-Hanse-Cup am 28. September in Rendsburg lassen wir wohl aus, da wir zeitgleich von der Sporthilfe zum "Champion des Jahres" für eine Woche in den Robinson-Club eingeladen sind. Das wollen wir gern mitnehmen.

Stimmt es, dass für die Ruderer im olympischen Dorf in London kein Platz ist?

Johannesen: Unser Sportdirektor hat uns mitgeteilt, dass die Veranstalter offenbar einen Häuserblock weniger gebaut haben als versprochen. Das ist ärgerlich, weil wir gern mit den anderen Sportlern in Kontakt kommen und das Erlebnis Olympia teilen würden. Das macht die Spiele ja aus. Umso unverständlicher, wenn man weiß, dass die Schwimmhalle mit etwa 300 Millionen Euro dreimal so viel gekostet hat wie ursprünglich veranschlagt. Sie ist die Elbphilharmonie von London.