Mit Teamgeist und Leidenschaft versuchen die deutschen Hockeydamen ihren Wettbewerbsnachteil aufzufangen

London. Yvonne Frank darf sich neuerdings Oberkommissarin nennen. "Wahnsinn, oder?", sagt die Nationaltorhüterin des Uhlenhorster HC und wischt sich die letzten Schweißperlen von der Stirn. Dabei habe sie doch in den letzten Jahren im Grunde hauptberuflich Hockey gespielt und sich ziemlich rar gemacht in der Hamburger Verkehrsdirektion. Zum Glück stünden "die Jungs", wie sie ihre Kollegen nennt, voll hinter ihr. Und da nach zehn Dienstjahren nichts gegen eine sogenannte Regelbeförderung sprach, rückte sie in der Hierarchie eben etwas auf.

An diesem späten Dienstagabend aber würde sie sich am liebsten selbst degradieren. Ein, vielleicht sogar zwei Tore hätte sie verhindern können bei der 1:3-Niederlage gegen Australien. "Den Schuh werde ich der Yvi schon wieder ausziehen", versprach Bundestrainer Michael Behrmann später.

Das ist ihm offenbar gelungen. Gestern ließ seine Mannschaft einen 2:0-Sieg gegen Südafrika folgen, der nur deshalb als souverän zu bezeichnen ist, weil Frank wieder mehr als nur einmal großartig mitspielte. Den Rest erledigten ihre Vereinskollegin Marie Mävers (25. Minute) und Fanny Rinne, die nach einer Strafecke erfolgreich war (44.).

Frank, 32, ist ein Glücksfall für Behrmann, nicht nur wegen ihrer Reaktionsschnelligkeit. Sie hat nicht gemurrt 2008 in Peking, als sie nur Ersatzspielerin war. Und sie hat einen Arbeitgeber, der es ihr ermöglicht, sich weitgehend auf den Sport zu konzentrieren. Die meisten Nationalspielerinnen studieren oder sind in der Berufsausbildung. Arbeitgeber zu finden, die den Spitzensport unterstützen, sei schwierig, sagt Behrmann.

Er fürchtet, dass seiner Mannschaft mittelfristig die Erfahrung verloren gehen könnte, zumal die Schul- und Studiumsabsolventinnen immer jünger würden. Die Münchnerin Nina Hasselmann, 26, etwa habe erst vor drei Wochen ihre letzten Prüfungen in Bauingenieurswesen geschrieben. "Sie brauchen wir auch in den nächsten Jahren noch", so der Bundestrainer.

Die routinierten Rinne, 32, und Natascha Keller, 35, hat Behrmann nur nominieren können, weil ihre Marketing-Stellen in Mannheim und Berlin in der Zeit anderweitig besetzt würden. Wie wertvoll beide für die Mannschaft immer noch sind, hat auch das gestrige Spiel gezeigt. Keller legte das 1:0 mit einer sogenannten argentinischen Rückhand auf. Rinne habe die Mannschaft "toll angeführt", lobte Behrmann.

Vom Hockey leben kann keine der deutschen Nationalspielerinnen. Bei ihren Bundesligaklubs werden sie durchschnittlich immer noch schlechter vergütet als die Herren, obschon der Trainingsaufwand gleich ist. Behrmann findet es "bewundernswert", wie seine Mannschaft die Doppelbelastung bewältigt und zwischen zwei Trainingseinheiten noch Kraft für Job oder Doktorarbeit aufbringt. Einerseits.

Andererseits sei der Wettbewerbsnachteil gegenüber anderen Hockeynationen nicht zu verkennen. Behrmann ist schon froh, dass er sechs zusätzliche Kurzlehrgänge in Hamburg durchführen konnte, jeweils montags bis mittwochs. Sie seien nur finanzierbar gewesen, weil die einheimischen Spielerinnen ihre Teamkolleginnen bei sich einquartiert hätten.

"Das hat uns unglaublich zusammengeschweißt", sagt Behrmann. Vor allem körperlich hätten sich die zusätzlichen Maßnahmen ausgezahlt. Die athletischen Werte seiner Spielerinnen seien deutlich besser als noch vor vier Jahren in Peking. Das eröffnet dem Bundestrainer mehr taktische Möglichkeiten bei der Abwehrarbeit und beim Pressing.

Die Australierinnen allerdings konnten sich monatelang an ihrem Trainingszentrum in Perth auf Olympia vorbereiten. Auch die Niederländerinnen wurden immer wieder zu längeren Trainingslagern zusammengezogen. In beiden Ländern spielt der Ligabetrieb eine nachgeordnete Rolle. Den internationalen Standard setzt Argentinien, morgen Gegner in einem entscheidenden Duell um den Einzug ins Halbfinale (22.15 Uhr). Dank Weltmarken wie Visa und Coca-Cola als Hauptsponsoren ist Hockey dort Profisport geworden.

Frank könnte sich das auch vorstellen. "Hockey ist meine Leidenschaft", sagt die Hamburger Torfrau, "ich hätte nichts dagegen, den ganzen Tag auf dem Platz zu stehen." Befördert werden kann man ja immer noch.