Der Weltrekordler erreicht nach seiner Pleite über 400 Meter Freistil als Halbfinalvierter den Endlauf über 200 Meter

London. Paul Biedermann atmete erleichtert durch und fühlte sich endlich wieder in seinem Element. 30 Stunden nach seinem Debakel zum Olympiastart kraulte der Weltrekordler auf seiner Paradestrecke über 200 Meter Freistil souverän ins Finale. "Der Schock ist verdaut", sagte der 25-Jährige, der am schwarzen Auftaktwochenende der deutschen Schwimmer wenigstens für einen Lichtblick sorgte.

In 1:46,10 Minuten ließ der WM-Dritte von 2011 als Erster seines Zwischenlaufs sogar Weltmeister und Topfavorit Ryan Lochte aus den USA hinter sich. Am Ende leuchtete die "4" vor seinem Namen auf der Anzeigetafel auf, vom Schnellsten, dem 400-Meter-Olympiasieger Sun Yang aus China, trennte ihn eine halbe Sekunde. Das Finale heute Abend, das das Rennen seines Lebens werden soll, ist erreicht, der Traum von der ersten olympischen Medaille nicht ausgeträumt. "Es hat sich wieder gut angefühlt. Der Stein ist schon heute Morgen ins Rollen gekommen, aber ich hoffe, dass er noch mehr ins Rollen kommt", sagte Biedermann, der am Sonnabend über 400 Meter als Vorlauf-13. baden gegangen war.

Vor der letzten Wende hatte der Doppelweltmeister von 2009 die Führung übernommen und sie nicht mehr abgegeben. Am Ende stand seine beste Zeit in diesem Jahr. Zu seiner Bestmarke ohne Hightech-Anzug, mit der er vor einem Jahr WM-Bronze gewonnen hatte, fehlte aber noch gut eine Sekunde.

Als zweiter deutscher Schwimmer erreichte Helge Meeuw, 27, über 100 Meter Rücken den heutigen Endlauf. Der Magdeburger, 2009 in Rom WM-Zweiter, war in 53,52 Sekunden Gesamtsiebter der Halbfinalläufe. Es ist das erste olympische Einzelfinale für den Ehemann der ehemaligen Weltmeisterin Antje Buschschulte, 33. "Das war mein großes Ziel. Ich freue mich riesig", sagte Meeuw. Newcomer Jan-Philip Glania, 23, aus Fulda scheiterte in 53,90 Sekunden als Gesamtelfter.

Für den doppelten Fehlstart am Sonnabend, als neben Biedermann auch Doppelolympiasiegerin Britta Steffen mit der Staffel unterging, waren die Schuldigen schnell gefunden: Die Trainer der beiden deutschen Schwimmstars hatten sich verzockt. Weltrekordler Biedermann experimentierte mit einer neuen Taktik, Steffen sollte in der Staffel Kräfte sparen. "Man kann bei Olympischen Spielen keinen einzigen Lauf taktisch schwimmen, dazu reicht der Leistungsstand nicht aus", sagte Leistungssportdirektor Lutz Buschkow nach den fahrlässig verspielten Medaillenchancen. "An der Stelle haben wir Fehler gemacht, die nicht unbedingt nötig waren. Solche Fehler sollte man nur einmal machen." Steffen wiederum wunderte sich: "Wir haben vielleicht im Gesamten die Konkurrenz unterschätzt. Teilweise kennt man die Namen nicht, aber die schwimmen dann plötzlich auch das Niveau von uns." Sofort nach den Vorläufen wurde am Sonnabend eine Krisensitzung einberufen, danach hätten alle "den Ernst der Lage erkannt", sagte Buschkow.

Der ehemalige Bundestrainer Dirk Lange kritisierte Biedermanns Heimcoach Frank Embacher hart, der das 400-Meter-Debakel wegen falscher Taktik auf seine Kappe genommen hatte. "Paul ist einer der besten Schwimmer der Welt, aber er muss in die beste Verfassung gebracht werden. Dafür ist der Trainer verantwortlich", sagte der im November geschasste Hamburger. "Wer dann überrascht ist, dass bei Olympia schnell geschwommen wird, war noch nicht oft da."

Auch die Verbandsspitze nahm sich Lange vor: "Es hat eine völlig falsche Einschätzung der Leistungsstärke gegeben. Das hat sich schon bei der EM abgezeichnet, aber da war Friede, Freude, Eierkuchen. Man hat nicht die richtigen Rückschlüsse gezogen." Bei den Europameisterschaften vor zwei Monaten im ungarischen Debrecen hatten die deutschen Schwimmer noch acht Goldmedaillen geholt - allerdings ohne ernsthafte Konkurrenz. ARD-Expertin Franziska van Almsick wollte im Gegensatz zu Lange noch nicht auf Trainer und Team einprügeln, äußerte sich aber über manche Einstellung erstaunt: "Wenn jetzt erst die Erkenntnis da ist, dass man im olympischen Vorlauf alles geben muss, dann weiß ich auch nicht."