Dopingexperten sind sich einig: Der Sieg des ehemaligen Dopingsünders Alexander Winokurow schadet dem Radsport

London. Nach einem Steak und einem Glas Bier hatte André Greipel zu später Stunde auf der MS "Deutschland" sein Lachen wiedergefunden. "Ich bin kein Typ, der in die Vergangenheit schaut und sich lange mit 'Hätte, wenn und aber' aufhält", sagte der deutsche Topsprinter und schmiedete schon Pläne für die nächsten freien Tage im olympischen Dorf. Bis zu seiner Abreise am Dienstag will sich der 30-Jährige noch Spiele beim Hockey und Beachvolleyball anschauen. Nach seinen drei Etappensiegen bei der diesjährigen Tour de France war Greipel mit großen Ambitionen nach London gekommen, entsprechend groß war die Enttäuschung ob der verpassten Medaille. "So eine Chance bekommt man vielleicht nur einmal im Leben", sagte er, der zwar den Sprint des Hauptfeldes gewann, mit seinem 27. Platz aber dennoch unzufrieden war. Es hatte der große Showdown gegen seinen ärgsten Konkurrenten, den Briten Mark Cavendish, werden sollen, am Ende hatte das Duell der weltbesten Sprinter auf olympischer Bühne nur noch statistischen Wert. Den großen Triumph feierte ein anderer - Alexander Winokurow, dessen Sieg für Diskussionen sorgte.

In der Stunde seines größten Triumphes ließ Winokurow wieder einmal die Chance verstreichen, mit seiner schwer belasteten Vergangenheit aufzuräumen. Der Überraschungs-Olympiasieger im Straßenrennen lehnte zum x-ten Mal ab, über all seine Fehltritte zu sprechen. "Das ist nicht der richtige Moment, um danach zu fragen, 2007 ist ein geschlossenes Kapitel", sagte der 38-Jährige ungerührt. Damals hatte Winokurow bei der Tour de France mit Fremdblut gedopt und war danach vorübergehend abgetaucht. Seine Schuld hat der Kasache trotz der positiven Proben nie eingestanden, 2009 war Winokurow wieder da. Dabei ist das Jahr 2007, als er das Blut mit seinem Landsmann Andrei Kascheschkin getauscht haben soll, nicht der einzige schwarze Fleck. Skandale ziehen sich wie ein roter Faden durch Winokurows Karriere.

Er war Bestandteil des Teams Telekom von 1999 bis 2005, in dieser Zeit holte "Wino" hinter Jan Ullrich Olympiasilber in Sydney. 2006 war sein Team Liberty Seguros in die Dopingaffäre Fuentes verwickelt. Winokurow wird verdächtigt, andere Fahrer bestochen zu haben, um zu gewinnen. Sein Klassikersieg bei Lüttich-Bastogne-Lüttich 2010 steht im Mittelpunkt dieses Vorwurfs. Des Problemthemas Doping sei er sich "vollkommen bewusst", sagte er am Sonnabend. Und er mache in diesem Bereich, was er könne. "Der Radsport hat sich geändert." Hat sich auch Winokurow geändert?

Seine Goldfahrt in London wurde erst möglich, weil der Kasache noch einmal den Rücktritt vom Rücktritt erklärt hatte. Bei der Tour de France 2011 hatte er sich bei einem schlimmen Sturz den Oberschenkel gebrochen, wollte Schluss machen - und kam doch wieder. Unter den Applaus bei der Siegerehrung mischten sich Buhrufe. Die weit verbreitete Meinung über Winokurows Erfolg: Er schadet gewaltig.

"Das ist ein schwarzer Tag für den Radsport", sagte der Nürnberger Pharmakologe Fritz Sörgel: "Ich denke, man hätte sich eher einen Sieger wie Cancellara oder einen Engländer gewünscht. Stattdessen gewinnt jemand mit dieser Vorgeschichte und in diesem Alter - was an sich ja schon verwunderlich ist." Gewohnt drastisch äußerte sich der Heidelberger Molekularbiologe und Dopingfahnder Werner Franke. "Das passt! Ausgerechnet der Serientäter Winokurow: Das ist nur ein weiterer Tiefschlag für den Radsport." Auch Greipel äußerte sich: "Ich hätte lieber einen anderen Sieger gesehen."

Pat McQuaid, Präsident des Weltverbandes UCI, verfolgte den Triumph des Kasachen dagegen vorbehaltlos. Winokurow habe ein gutes Rennen bestritten und sei "ein verdienter Olympiasieger", sagte der Ire. Auf die Frage, ob dieser Olympiasieg dem Radsport geschadet habe, sagte McQuaid: "Nein, nein. Hätte David Millar das Rennen gewonnen, hätten Sie mir dieselbe Frage gestellt." Millar war 2004 die Einnahme von Epo nachgewiesen worden.

Winokurow ließ sich derweil für seinen Erfolg feiern - und sprach mit viel Pathos in der Stimme und Tränen in den Augen über seinen Sieg, der definitiv der letzte seiner Laufbahn ist. Nach dem Zeitfahren am Mittwoch wird Winokurow endgültig einen Schlussstrich ziehen. "Ein Traum ist wahr geworden. Jetzt kann ich dem Ende entgegensehen." Sein Schatten jedoch wird bleiben - und Winokurow eine Symbolfigur für die dunkelsten Kapitel dieses Sports.