Die Schwimmer Steffen Deibler, Stefan Pfeiffer und Markus Deibler über das Schinden für große Schwimm-Erfolge, Doping und Teamgeist.

Hamburg. Stefan Pfeiffer, 46, kam aus Köln, Markus, 22, und Steffen Deibler, 25, wohnen gleich in der Nähe. Das Schwimmbad am Olympiastützpunkt Dulsberg ist allen drei von zahllosen Trainingseinheiten bestens vertraut. Pfeiffer, Olympiadritter 1984 und Olympiazweiter 1988 über 1500 Meter Freistil, sieht es nach dem Umbau aber zum ersten Mal. "Hier hat sich seit meiner aktiven Zeit doch einiges verändert", meint Pfeiffer, der heute als Pilot für einen russischen Oligarchen fliegt. Für die Deiblers beginnen in zehn Tagen ihre zweiten Olympischen Spiele.

Hamburger Abendblatt: Herr Pfeiffer, Markus und Steffen Deibler, kannten Sie sich?

Steffen Deibler: Persönlich nicht. Den Namen kenne ich natürlich.

Markus Deibler: Das waren ja schon respektable Ergebnisse damals.

Stefan Pfeiffer: Ich kannte bisher auch nur die Namen der Deiblers. Auf der Straße angesprochen hätte ich sie wahrscheinlich nicht. Das ist wohl so ein Schwimmerschicksal: Man verschwindet ein bisschen unter der Badekappe und der Brille. Und Schwimmen findet nun einmal nur zweimal im Jahr in der Öffentlichkeit statt.

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War das damals schon so?

Pfeiffer: Im Prinzip ja. Wir hatten keine Kurzbahn-EM und -WM. Dafür waren die deutschen Mannschaftsmeisterschaften noch ein ganz wichtiges Ereignis. Michael Groß hat einmal die Ehrung zum Sportler des Jahres dafür sausen lassen. Wirklich gezählt hat aber nur die lange Bahn.

Herr Pfeiffer, Sie bezeichneten es 1988 als "ätzend", dass die Fußballer bei Olympia dabei waren.

Pfeiffer: Ich hatte früher in der Tat kein gutes Bild von Fußballern. Es war auch durch Klaus-Michael Braumann geprägt, der damals Mannschaftsarzt von Hannover 96 war und mir erzählt hat, wie wenig die trainieren. Verglichen mit meinem Pensum waren das Freizeitsportler. Ich fand im Übrigen, dass die Olympischen Spiele Amateuren vorbehalten sein sollten.

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Sehen sich Schwimmer heute auch noch als Amateure?

Markus Deibler: Mit Fußballprofis können wir uns sicher nicht vergleichen. Wir haben nicht ausgesorgt, wenn wir unsere sportliche Laufbahn beenden.

Steffen Deibler: Andererseits verlangt Schwimmen ein hoch professionelles Verhalten, was zum Beispiel Trainingsaufwand und Ernährung betrifft.

Pfeiffer: Bei uns begann sich das Umfeld erst nach und nach zu professionalisieren. Als ich zum ersten Mal einen Masseur gesehen habe, war ich bereits 17. Ich wollte den erst gar nicht an mich ranlassen, so fremd war mir das. Aber Alkohol war auch damals schon tabu.

Steffen Deibler: Ein entscheidender Unterschied zum Fußball ist doch: Bei uns ist jeder für sich selbst verantwortlich, man kann nichts auf die anderen abwälzen. Und die Leistung ist exakt messbar.

Wie viel Teamgeist brauchen Schwimmer, um erfolgreich zu sein? Britta Steffen ist hart kritisiert worden, als sie 2011 bei der WM eigenmächtig abreiste.

Steffen Deibler: Für die Mannschaft ist es schon besser, wenn alle sich dafür einsetzen. Aber ich will nicht ihre Haltung verurteilen, weil ich ihre Beweggründe nicht kenne.

Markus Deibler: Manchmal ist es schon besser, wenn man sein Ding macht und sich nicht runterziehen lässt. 2008 in Peking waren ja außer Britta und Paul Biedermann alle schlecht.

Pfeiffer: Ich kann mich erinnern, dass wir früher von der Massagebank aufgestanden sind, um am Fernseher zu verfolgen, wie die anderen schwimmen. Ein Michael Groß wäre auf keinen Fall abgereist, ohne die Staffel zu schwimmen. Als er bei der WM 1991 endlich Gold über 4x 200 Meter Freistil gewonnen hatte, sagte er: Eigentlich habe ich nur wegen der Staffel weitergemacht.

Herr Pfeiffer, Sie haben 1988 die Goldmedaille über 1500 Meter nur knapp an Wladimir Salnikow verloren. Hadern Sie heute damit nach allem, was man über systematisches Doping in den ehemaligen Ostblockstaaten heute weiß?

Pfeiffer: So viel weiß man letztlich doch gar nicht. Nach der Wende waren wir mal im Schnalstal im Trainingslager mit zwei DDR-Mädels. Die sprangen sofort ins Wasser und haben mich erst mal überholt. Und als ich nach sieben Kilometern fertig war und frühstücken gegangen bin, schwammen sie immer noch. Sie hatten Pillenröhrchen in allen möglichen Farben dabei. Die hatte ihnen ihr Trainer ausgehändigt. Was das Rennen 1988 betrifft: Ich hätte es auch gewinnen können. Dummerweise hatte ich mich nur an dem Amerikaner orientiert und nicht bemerkt, dass sich Salnikow nach vorn gearbeitet hatte. Als ich ihn sah, war er schon zu weit weg.

Herr Pfeiffer, wie oft denken Sie 20 Jahre danach noch an Olympia?

Pfeiffer: Eigentlich nur, wenn sich eine bestimmte Gelegenheit dazu ergibt, ich zum Beispiel darauf angesprochen werde. Ich muss in solchen Momenten erst einmal eine Pause einlegen und zurückspulen. Es kommt mir vor wie ein anderes Leben. Mein Lebensmittelpunkt ist völlig verrutscht.

Wie hat sich das Training in den letzten 20 Jahren verändert?

Steffen Deibler: Ihr seid hundertprozentig viel mehr geschwommen. Wie viel 1000 Kilometer waren es bei euch?

Pfeiffer: Das müsste ich mal ausrechnen. Im Trainingslager betrug das Pensum 100 Kilometer die Woche.

Steffen Deibler: Sauviel! Ich komme selten über 60.

Pfeiffer: Abends beim Zähneputzen musste ich eine Pause machen, weil ich den Arm nicht mehr oben halten konnte. Das Widerwärtigste war, sich abends zu waschen. Ich fand das Wasser nur noch eklig.

Haben Sie parallel für Ihre berufliche Zukunft gesorgt?

Pfeiffer: Ich habe lange gar nicht gewusst, was ich machen will. Auf Reisen habe ich immer gefragt, ob ich mal mit im Cockpit sitzen darf. So hat sich das Interesse für die Fliegerei entwickelt.

Markus Deibler: Das wollte ich auchimmer gern, aber leider gibt es seit dem 11. September 2001 keine Chance mehr. Dafür habe ich zu Hause einen Flugsimulator X von Microsoft.

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Konnte und kann man vom Schwimmen leben?

Pfeiffer: Da ich relativ lange relativ gut war, kam ich gut über die Runden. Ich hatte 1200 Mark Sporthilfe, ein Auto umsonst und habe zu Hause gewohnt. Einen Sponsoringvertrag hatten nur die wenigsten. Selbst ein Michael Groß hat im Vergleich zu Franziska van Almsick nur ein Taschengeld verdient, obwohl er der Beste seiner Zeit war. Man konnte so dahinleben, aber nicht viel zurücklegen. Mein Glück war, dass ich einen Fluglehrer kennengelernt habe, der Triathlet war. Ich habe ihn im Schwimmen trainiert, dafür hat er mir einen Sonderpreis für den Flugschein gemacht. Ich durfte dann Werbebanner über Hamburg schleppen und habe mir damit etwas verdient.

Markus Deibler: Pilotenausbildung würde mich auch sehr interessieren. Leider komme ich im Moment nicht dazu. Eine private Ausbildung ließe sich vielleicht unterbringen. Aber bei der Lufthansa wird man hierhin und dorthin geschickt.

Pfeiffer: Wichtig ist, dass du etwas findest, was dir Spaß bringt. Wenn du in 20 Jahren ein Windrad entwickelst, das unheimlich viel Strom produziert, und du kurz vor dem Durchbruch bist, dann helfen dir die Ausdauer und die Hartnäckigkeit, die zum Leistungssport gehören. Ich staune manchmal, über welche Wehwehchen sich die Leute beklagen oder wie schnell sie erschöpft sind.

Steffen Deibler: Der Ehrgeiz und die Disziplin, die Leistungssportler über Jahre aufbringen müssen, kennen normale Leute doch gar nicht. Klar ist aber auch: Schwimmen ist ein Fulltime-Job, da ist für einen anderen Fulltime-Job einfach kein Platz. Ich kann mir schwer vorstellen, zwischen zwei harten Trainingseinheiten noch etwas Produktives auf die Beine zu stellen.

Pfeiffer: Vor den harten Einheiten, den Schmerzen hat man schon Respekt. Das beschäftigt einen schon vorher.

Steffen Deibler: Das Training ist zum Teil so anstrengend und tut so weh - ich kann mir nicht vorstellen, dass das bei vielen anderen Sportarten so ist. Wenn ich mir das Pensum der Mannschaftssportler anschaue - da wird einfach nicht so bissig trainiert. Vielleicht weil sich jeder auf seinen Mitspieler verlässt.

Pfeiffer: Ich konnte auch nie verstehen, wie Bayern München gegen eine Drittligamannschaft verlieren kann. Einen Topschwimmer kann man nachts aus dem Bett schmeißen, und er wird gegen den Kreismeister von Wanne-Eickel trotzdem immer gewinnen. Einige sagen: Das macht den Fußball so interessant. Ich sage: Das ist Trainingssache.

Steffen Deibler: Ich weiß, dass ich am2. August über 100 Meter Schmetterling 51 Sekunden Zeit habe, in denen alles passen muss. Ich habe keine 90 Minuten, in denen ich auch mal einen Zweikampf verlieren kann, weil es hinter mir jemand ausbügelt.

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