Luxuriöse Sportstätten, gutes Geld, tolles Wetter: Als Trainer des saudischen Klubs Al-Hilal hat Ex-HSV-Coach Thomas Doll ein gutes Leben.

Riad. Der Sicherheitsposten in der olivgrünen Uniform macht Thomas Doll schon von Weitem unmissverständlich klar, dass er seinen weißen Audi Q7 anhalten soll. Unverzüglich. "Ach, den kenne ich", sagt Doll gut gelaunt, "der fragt mich immer, ob er nicht mal bei uns mittrainieren darf."

Während er die Musik leise dreht - Udo Lindenberg live unplugged - und das Autofenster herunterlässt, wird der Wagen bereits von zwei Sicherheitsmännern gründlich kontrolliert. Mit einem verlängerten Spiegel forschen sie unter dem Auto nach Sprengstoff und inspizieren abschließend noch ganz genau den Motor. "Danke Jungs, bis später!", ruft Doll vergnügt und kurvt den Geländewagen im Schritttempo durch einen 50 Meter langen Slalomparcours, der verhindern soll, dass Selbstmordattentäter in die schwer bewachte Wohnsiedlung rasen können. Noch eine Passkontrolle, bei der Besucher ihren Reisepass gegen einen Besucherausweis eintauschen müssen. Dann ist es geschafft. "Willkommen in Little Mallorca", sagt Doll, "hier kann man sich wohlfühlen."

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Seit knapp einem halben Jahr arbeitet der frühere HSV-Trainer bei Riads Rekordmeister Al-Hilal, dem sogenannten Real Madrid Asiens. Dass Doll für seinen lukrativen Job in Saudi-Arabien, einem der konservativsten Länder der Welt, leben muss, ist sozusagen im Preis inbegriffen. In Saudi-Arabien ist der besonders strenge wahabitische Islam Staatsreligion; das islamische Recht der Scharia ist im Gesetz festgeschrieben, Alkohol ist verboten, es gibt keine Kinos, Bars oder Diskotheken, und auch Demonstrationen sind unter keinen Umständen gestattet. Das öffentliche Leben findet in strenger Geschlechtertrennung statt. Frauen dürfen kein Auto fahren, nicht unverschleiert auf die Straße oder ohne männlichen Begleiter zum Arzt gehen. Selbst in der Kingdom Mall, einem hochmodernen Shopping-Center, gibt es eine eigene Etage nur für Frauen. "Für meine Biljana ist es hier natürlich nicht leicht", sagt Doll, "aber mitgegangen, mitgefangen."

Gemeinsam mit seiner Ehefrau bewohnt der 45 Jahre alte Fußballtrainer einen von 300 Bungalows im maurischen Stil, die zu der Wohnanlage gehören. Direkt am Tag ihrer Ankunft bekam Biljana zwei Abayas vom Klub gestellt, zwei mantelartige Überwürfe, die alle Körperteile vom Hals bis zu den Füßen verhüllen. Da trafen Doll und seine Frau die Abmachung, dass Biljana jeweils nach zwei bis drei Wochen für 14 Tage zurück nach Europa reist. "Sie braucht einfach diese Auszeiten." Dabei erinnert die Anlage zumindest innerhalb der Mauern tatsächlich ein wenig an einen Robinsonklub auf den Balearen. Zwei Tennisplätze, ein großer Pool und ein Ceasar's Salad mit Chicken zum Mittag für 30 saudische Rial, umgerechnet rund sechs Euro. Es gibt einen Kindergarten, einen Friseur und einen Supermarkt.

Am wichtigsten ist aber, dass die strenggläubigen Sittenwächter, die das öffentliche Leben in Riad kontrollieren, innerhalb dieser Mauern keinen Zutritt haben. Frauen dürfen hier im Bikini am Pool liegen, und wenn sie wollen, sogar in der Anlage Auto fahren. "Wir wollen's ja nicht übertreiben", sagt Doll und grinst. Neben Al-Hilals Führungspersonal leben hier auch die ausländischen Trainer von anderen Klubs, Manager von Siemens und Botschaftspersonal. Ein kleines Abendland mitten im Morgenland.

Auf der Terrasse am Pool trifft Doll seinen Assistenztrainer Thomas Fink, der ebenfalls hier wohnt. Im Gegensatz zu Doll, der nur auf seine beiden erwachsenen Töchter verzichtet, hat Fink seine gesamte Familie zu Hause in Mecklenburg-Vorpommern gelassen. "Ich wollte meiner Frau das Leben hier nicht antun", erklärt der 42-Jährige, der zuvor 34 Jahre bei Hansa Rostock als Spieler, Scout, Jugend- und Cheftrainer tätig war. Bevor ihn sein ehemaliger Mitspieler aus alten Hansa-Tagen im Sommer gefragt hat, ob er mit nach Saudi-Arabien wolle, hatte Fink noch nie woanders gearbeitet. "Von Rostock nach Riad, das ist schon ein krasser Schritt", sagt Fink. Genau wie Doll muss er auch über Weihnachten in der Wüste bleiben. "Am 26. Dezember haben wir noch ein Spiel. Aber dann machen wir es uns eben in unserem Mallorca gemütlich", sagt Doll.

Vor einigen Jahren hat er den HSV in die Champions League und später Borussia Dortmund ins DFB-Pokalfinale geführt. Zu seinen besten Zeiten kamen die Hamburger in roten T-Shirts mit der Aufschrift "Einfach Doll!" ins Stadion, in Dortmund wurde er von 80 000 Zuschauern mit Sprechchören gefeiert. Er ist einer, der auch privat sein Leben genießt, gerne mal ein gutes Glas Rotwein trinkt oder mit Freunden bis spätabends beim Bierchen Geschichten von früher zum Besten gibt. Was also hat ihn ausgerechnet auf dieses ganz spezielle Fleckchen Erde geführt? "Das Nachtleben und die guten Drinks", sagt Doll. Und lacht. "Ich hatte auch Angebote aus der Zweiten Liga und von anderen europäischen Klubs, aber da hat es einfach nicht klick gemacht", erklärt er. Nach einem 16-monatigen Gastspiel in der türkischen Süper Lig bei Genclerbirligi Ankara wollte der Coach unbedingt wieder arbeiten, notfalls auch im ultrakonservativen Saudi-Arabien.

Dabei ist es noch gar nicht so lange her, dass der zweifache Familienvater seinen Junggesellenabschied vor der zweiten Hochzeit mit Biljana in Susis Showbar an der Großen Freiheit auf St. Pauli gefeiert hat. "Bild" veröffentlichte am nächsten Tag ein Foto, auf dem Doll mit einer drallen Brünetten tanzt - beide oben ohne. In Saudi-Arabien könnte ihn so etwas das Leben kosten.

"Natürlich habe ich mir die Sache ganz genau überlegt, mich über die politische Lage informiert und Vor- und Nachteile gegeneinander abgewogen", sagt Doll. Sein Vertrag dauert bis 2013. Dass vor allem das Geld überzeugte, will er nicht abstreiten, "aber auch die Tradition des Klubs war wichtig. Kein Verein hat so oft die asiatische Champions League gewonnen wie Al-Hilal."

Was Doll genau meint, wird am Abend beim Abschlusstraining vor dem großen Lokalderby gegen Al-Nasr deutlich. Etwas außerhalb der unübersichtlichen Innenstadt von Riad, in der man sich eigentlich nur auf zwei Dinge - das Wetter und den Stau - verlassen kann, liegt in der Imam Abi Hanifa Street die hochmoderne Sportanlage, mit der wohl kein einziger Bundesligaklub mithalten könnte. "Wir haben das alles erst vor zwei Jahren gebaut", erzählt Sportchef Sami al-Dschabir, 38, der stolz über das klubeigene Areal führt. Der Rekordnationalspieler Saudi-Arabiens, der auch bei der historischen 0:8-Niederlage im WM-Gruppenspiel 2002 gegen Deutschland dabei war, präsentiert den Kabinentrakt der Profis, der gleich neben den drei gepflegten Trainingsplätzen liegt. "Jeder Profi hat seine eigene Kabine und seinen eigenen Parkplatz direkt davor, streng nach Rückennummern geordnet", sagt al-Dschabir.

Nebenan ist das Rehazentrum, in dem die früheren HSV-Mitarbeiter Uwe Eplinius und Dr. Nikolai Linewitsch ihr Reich haben. Gemeinsam mit ihnen hat Doll auch noch Athletiktrainer Manfred Düring aus Hamburg in die Wüste mitgenommen. Dessen Hauptarbeitsstätte, ein großes Fitnesscenter mit Blick auf den Trainingsplatz, liegt nur wenige Meter weiter. "Dort soll in Kürze die modernste medizinische Abteilung in ganz Asien entstehen", sagt al-Dschabir und zeigt auf eine freie Fläche neben dem Fitnesscenter. Außerdem ist noch eine große Trainingshalle geplant, in der die Spieler im Sommer trotz Außentemperaturen von mehr als 50 Grad bei angenehmen 22 Grad trainieren können. Prunkstück der Anlage aber ist das teameigene Hotel, in dem das gesamte Trainerteam und jeder Spieler, wieder nach Rückennummern sortiert, ein eigenes Zimmer haben. Im Aufenthaltsraum stehen Tischtennisplatte, Kicker, ein Poker- und ein Billardtisch auf dem Marmorboden, an jeder freien Wand hängt ein überdimensionaler Flachbildfernseher. Es gibt einen Besprechungsraum, einen hauseigenen Friseur und ein Restaurant.

In diesem Fünf-Sterne-Deluxe-Tempel soll das Team vor Heimspielen nächtigen. "Die Fernseher und das Licht gehen auf den Zimmern automatisch um 1 Uhr aus, damit die Spieler genügend Schlaf bekommen", sagt al-Dschabir. Auf Nachfrage sagt er, dass er mit seinem German Coach zufrieden sei: "Wir haben siebenmal in Folge gewonnen, also sind wir zufrieden. Wenn wir verlieren, sind wir nicht zufrieden."

An den extremen Leistungsdruck könne man sich gewöhnen, sagt Doll. Auch an die kleinen Besonderheiten in einem streng islamischen Land. Weil seine Spieler frühmorgens gegen 5.30 Uhr beten, wenn der Muezzin "Allahu Akbar" (Gott ist groß) ruft, hat Doll das Vormittagstraining gestrichen. Als er im Sommer anfing, wurde gerade der Fastenmonat Ramadan gefeiert, weswegen Doll das Training auf 22.30 Uhr verschob, damit seine Profis sich nach Sonnenuntergang vor der Einheit noch stärken konnten. Gebetsteppiche werden vom Verein zu jedem Auswärtsspiel so selbstverständlich mitgenommen, wie sich in Deutschland der Zeugwart um die Hütchen fürs Training kümmert. Und dass neben der Umkleide ein mannschaftsinterner Gebetsraum liegt, stört ihn auch nicht: "Andere Länder, andere Sitten."

Doll weiß genau, dass ihn wohl jeder Bundesligatrainer um die Rahmenbedingungen bei Al-Hilal beneiden würde, dass sich aber trotzdem kaum einer ein Leben in dem saudischen Gottesstaat vorstellen könnte. "Natürlich gibt es in Riad keine Reeperbahn. Aber auch hier spürt man täglich den Fortschritt", sagt Doll. Ein Beispiel sei die weltweit größte Universität nur für Frauen, die gerade unweit des Flughafens fertiggestellt wird. Auch Facebook und Twitter sind in Saudi-Arabien längst keine Fremdwörter mehr. Genau wie in Tunesien, Ägypten und Libyen hat niemand die Globalisierung nach Saudi-Arabien eingeladen, sie kam einfach von selbst. Die Reformen werden zwar ähnlich langsam umgesetzt, wie der Verkehr auf der zentralen King Abdullah Road fließt, aber es gibt sie.

Die Sorge, dass Al-Hilal für ihn zur Fußball-Diaspora werden könnte, hat Doll nicht. "Natürlich bleibt die Bundesliga interessant für mich. Aber jetzt konzentriere ich mich nur auf die Aufgabe hier in Riad", sagt er. Außerdem müsse man die ganze Sache zunächst mal positiv angehen. Das Essen ist gut. Das Wetter ist gut. Und bei acht Euro pro Tankfüllung wird jeder Tankstopp zu einem kleinen Fest - insbesondere in einem Land, in dem rauschende Feste nun wirklich nicht an der Tagesordnung sind. (abendblatt.de)