Sebastian Vettel beim Formel-1-Finale in Brasilien wegen Getriebeproblemen Zweiter. Mark Webber siegt

São Paulo. Zählen zweite Plätze überhaupt für einen, der aus der For-mel 1 eine Formel Vettel gemacht hat? Aber klar doch - und wie. Der Große Preis von Brasilien ist immer für Dramen gut, es ist das Buckelpistenfahren der Königsklasse. Mark Webber darf zum ersten Mal seit dem Sommer 2010 wieder ein Rennen für Red Bull gewinnen, aber nur weil Sebastian Vettel von einem zickenden Getriebe fast lahmgelegt wird. Doch der Heppenheimer steht die 71 Runden bravourös durch. Dass er seinen australischen Kollegen in der 30. Runde vorbeilassen muss, lässt sich verschmerzen. Es ist sensationell, dass er seinen "Kinky Kylie" genannten Rennwagen ohne zweiten und dritten Gang überhaupt ins Ziel gerettet hat, geschweige denn auf Platz zwei. Es ist der dritte Red-Bull-Doppelsieg in diesem Jahr. Dritter wird McLaren-Pilot Jenson Button, der sich damit auch Vizeweltmeister nennen darf.

Der große Regen bleibt aus in Interlagos, und man darf sich auf ein eher schlichtes Finale einrichten. Sebastian Vettel hat schon in der Qualifikation am Sonnabend Geschichte geschrieben, als er mit seiner 15. Poleposition den seit 1992 gültigen Saisonrekord übertrifft. Im Übermut klebt er sich einen Schnurrbart an, der an den alten Rekordhalter Nigel Mansell erinnern soll. Die überschäumende Freude bei Vettel zeigt bei aller an den Tag gelegten Lockerheit, wie groß der Ehrgeiz ist.

Die Dinge scheinen also ihren gewohnten Lauf zu nehmen, doch schon nach fünf Runden bekommt Vettel einen beunruhigenden Hinweis von der Box: "Getriebeprobleme!" Schon im letzten Rennen hatte er erstmals technische Probleme, als nach dem Start aus immer noch ungeklärter Ursache ein Reifen platzte. Die Techniker verordnen ihm, in jeder Runde am Lenkrad den Schaltmodus zu verstellen. Die Zugkraftunterbrechung zickt, er muss früher hochschalten und später runterschalten, und das auf dieser Berg- und Talbahn. So schmilzt die komfortable Führung dahin, aber in Reichweite liegt ohnehin nur der Kollege Webber. Der hatte zwar erklärt, er möchte keinen Sieg geschenkt bekommen, aber in der 30. Runde geht er dennoch dankbar vorbei. Vettel gönnerhaft: "Ich habe ihn dann vorbeigelassen, um ihm die besten Chancen zu geben, für das Team den Sieg herauszufahren."

Für Altmeister Michael Schumacher kommt es schon nach zehn Runden ganz bitter, als er am Ende der Startgeraden an Bruno Senna vorbeizieht und dann zweimal von dem Brasilianer mit dem großen Namen touchiert wird. Der Frontflügel des Renault schlitzt das linke Hinterrad des Mercedes-Silberpfeils auf. Schumacher fällt auf den letzten Platz zurück, Senna erhält eine Durchfahrtsstrafe. Am Ende landet der Rekordweltmeister auf Platz 15, ebenso überrundet wie sein Teamkollege Nico Rosberg, der Rang sieben an Adrian Sutil im Force India verliert. Für Mercedes ist die Adventsstimmung gründlich verdorben. Auch die von Timo Glock. Der Wersauer verliert nach dem Reifenwechsel schon in der Boxenausfahrt das nicht verschraubte linke Hinterrad. "Das war nicht der erste versaute Boxenstopp", schimpft er. "Da muss sich das Team jetzt mal auf den Hintern setzen."

Sebastian Vettel bekommt zur Rennhälfte einen Sympathisanten in Sachen technischer Probleme, auch bei Lewis Hamilton klemmt es im Getriebe. Die verbale Pannenhilfe von McLaren: "Fahr einfach weiter, wir können nichts machen." Der Brite muss nach 48 Runden sein Auto abstellen.

Und auch Vettel spricht inzwischen von "ernsten Problemen", was an seiner Herangehensweise aber nichts ändert. Die Ingenieure flehen den Champion an: "Sei vorsichtig, bring das Auto nach Hause." Aber langsam fahren, das kann ein Vettel nicht mit seiner Gesinnung in Einklang bringen. Zudem unterhält er die besorgte Boxenmannschaft per Funk: "Ich fühle mich wie Ayrton Senna 1991." Der Brasilianer hatte damals bei seinem Heim-Grand-Prix auch gegen das Getriebe gekämpft und vom vielen Schalten Krämpfe bekommen. Nach der Zieldurchfahrt war er im Auto ohnmächtig geworden. "Der Unterschied zwischen ihm und mir ist nur der, dass er damals gewonnen hat", sagt Vettel, der zwar geschafft war, aber schon wieder grinsen konnte. Als er elf Runden vor Schluss an die Box kommt, herrscht Alarm bei den Fans - aber es ist nur der letzte Routine-Reifenwechsel. "Es war mit Sicherheit kein einfaches Rennen", sagt Vettel, der aber "nicht von Pech sprechen" möchte. Die Botschaft an die Konkurrenz ist klar: Der Champion wird noch einen Gang zulegen.