Ein Spiel stellt die Fußball-Welt auf den Kopf: Mit dem höchsten Derbysieg seit 86 Jahren avancieren die Citizens zum Titelfavoriten.

München/Manchester. Alex Ferguson sah müde aus. Die Tränensäcke hingen noch schlaffer als gewöhnlich unter den Augen des Teammanagers vom englischen Fußball-Rekordmeister Manchester United, durch zusammengepresste Lippen quetschte er seine Sicht auf das Unfassbare. „Das ist unser schwärzester Tag, die heftigste Niederlage, die ich jemals kassiert habe. Selbst als Spieler habe ich nie so hoch verloren. Ich kann das Ergebnis einfach nicht glauben, ich bin am Boden zerstört“, sagte der Sir, der nach der 1:6 (0:1)-Pleite im Stadtderby gegen City viel älter aussah als 69. Die deftigste Niederlage Uniteds in der 19 Jahre langen Premier-League-Historie hat den englischen Fußball erschüttert.

„City ist nun der Titel-Favorit. Wenn es jemals Zweifel daran gegeben hat, dann sind diese jetzt zerstreut“, urteilte der Guardian stellvertretend für die zahlreichen Experten im Mutterland des Fußballs, in dem nach diesem denkwürdigen 23. Oktober 2011 nichts mehr ist, wie es vorher war. Für ManUnited war es die höchste Heimpleite im Duell mit dem verhassten Rivalen seit fast 86 Jahren. Am 23. Januar 1926 hatten die Red Devils ebenfalls 1:6 verloren. Zudem ging für den Klub eine Serie von 19 Liga-Heimsiegen zu Ende, erstmals seit 37 Begegnungen entführte wieder eine Mannschaft drei Punkte aus dem „Theatre of Dreams“, das für United zum „Theater der Albträume“ wurde.

Doch die nackten Zahlen geben die Wirkung des unglaublichen Ergebnisses nur unzureichend wieder. City, von Ferguson über Jahrzehnte als „noisy neighbours“ (etwa: vorlaute Nachbarn) verspottet, hat ManUnited an diesem historischen Tag nicht nur die Stadtschlüssel entrissen, es hat den Thron des Rekordmeisters umgestoßen. Teammanager Roberto Mancini „hat seine Panzer auf dem United-Rasen abgestellt“, schrieb die Daily Mail, und vergaß hinzuzufügen: „Und er hat aus allen Rohren gefeuert - und sechs Volltreffer gelandet.“

Nach neun Spielen hat der Tabellenführer fünf Punkte Vorsprung auf United, der FC Chelsea folgt einen weiteren Zähler zurück auf Rang drei. „Die Zeit, in der die City-Fans sich in Fatalismus und Humor flüchteten, ist vorbei“, meinte der Guardian. Die meistdiskutierte Frage auf der Insel war am Montag, ob es für die Citizens nun auch zur ersten Meisterschaft seit 1968 reichen wird. „Mancini hat die Mannschaft und das Know-how, um diesen Klub an einen Ort zu bringen, von dem er bis vor Kurzem nur zu träumen wagte“, schrieb die Sun. Der frühere Nationaltrainer Terry Venables betonte: „City hat wie ein Champion gespielt, aber sie sind es noch nicht. Nur ein Dummkopf würde United abschreiben.“

Dumm - das ist Mancini sicher nicht. „Für dieses Spiel gibt es auch keine sechs Punkte. Ich denke, dass uns United immer noch einen Yard voraus ist. Wenn wir den Titel gewinnen, mag das vielleicht anders sein. Aber im Moment ist United besser als wir“, sagte er. Vier, fünf Mannschaften kämen für den Titel infrage. Auch Ferguson wollte sich nicht vorzeitig geschlagen geben. „Wir werden uns erholen, und wir werden zurückkommen“, versprach er.

Allerdings: Die Art und Weise der Niederlage lässt Zweifel aufkommen. Nach dem Führungstreffer für City durch Mario Balotelli (22.), den Mancini über den grünen Klee lobte („Er gehört zu den besten fünf Spielern der Welt. Ich liebe ihn!“), fand United nicht mehr ins Spiel. Der Platzverweis gegen Jonny Evans (47.) habe als „Killer“ gewirkt, gab Ferguson zu. Seine Abwehr habe danach aber auch „selbstmörderisch und verrückt“ gespielt. Weitere Gegentore durch Balotelli (60.), Sergio Agüero (68.), Edin Dzeko (90., 90.+3) und David Silva (90.+1) waren die Folge.

„Die Stadt gehört uns“, skandierten die City-Fans. Kann gut sein, dass sie „die Stadt“ am Ende der Saison durch „das Land“ ersetzen müssen.