Der 24-jährige Deutsche kann schon im Nachtrennen in Singapur erneut Formel-1-Weltmeister werden. Die Konkurrenz gratuliert bereits

Singapur. Die Nacht zum Tage zu machen, in diesem Fall vielleicht sogar zum Festtag, das ist die wichtigste Aufgabe der Formel-1-Teams vor dem Großen Preis von Singapur am Sonntagabend Ortszeit, 14 Uhr in Deutschland (RTL, Sky, Liveticker abendblatt.de). Im Pavillon von Red Bull Racing, wo der potenzielle Doppelweltmeister, der jüngste der Renngeschichte, zu Hause ist, wird in der Dämmerung an einem Couchtisch gepuzzelt. Etwa 250 Teilchen ergeben am Ende das Porträt eines strahlenden Sebastian Vettel. Das Puzzle dient als perfektes Sinnbild. Der 24-Jährige könnte schon fünf Rennen vor Saisonende die Weltmeisterschaft einfahren. Es passt alles in diesem Rennjahr, und wenn nicht Unfallchaos oder Monsun ausbrechen, könnten sich die Titelhochrechnungen auf dem Marina Bay Circuit bewahrheiten.

Nicht das Risiko allein, wie Lewis Hamilton glaubt, macht den großen Unterschied in der Formel 1 aus. Im Fall Vettel hat die Dominanz von acht Siegen und zehn Polepositions in 13 Rennen viel mehr mit Harmonie zu tun. Die Werbekolonne des Getränkeherstellers hat aus der vergangenen Saison die richtigen Schlüsse gezogen, als der Heppenheimer erst im Finale und unter deutlicher Mithilfe der Konkurrenz den Titel als jüngster Champion einfahren konnte. In einer Mischung aus neuem Pflichtbewusstsein und mentalem Rückenwind führt das Meisterteam seither die Gegner vor.

Ohne Schweiß kein Großer Preis: Bei 31 Grad und etwa 100 Prozent Luftfeuchtigkeit übte die Mechanikertruppe in Singapur 60-mal den Routine-Boxenstopp. Der Hausrekord liegt bei 2,9 Sekunden, aber die Botschaft heißt: Bloß nichts mehr dem Zufall überlassen. Bei 150 noch zu erfahrenden Punkten hat er schon 112 Zähler Vorsprung. Am Freitagabend fuhr er im Training locker Bestzeit.

Auch das Red-Bull-Team gewinnt zunehmend an Reputation. In den internen Besprechungen wird Vettels Charme manchmal handfest, das technische Verständnis und seine riesige Neugier treiben die Ingenieure nach vorn. Seinem Kollegen Mark Webber hat er in dieser Saison keine Chance gelassen, der Australier - der noch ein Jahr als Adjutant dienen darf - hat Probleme mit den Reifen und neuerdings auch mit den Nerven. Vettel sagt: "Ich spüre keinen Extradruck dadurch, dass ich die WM schon hier gewinnen kann." Eher sind ihm die vorschnellen Gratulanten peinlich, weshalb er mehr verbale Zickzacklinien fährt, als auf der Strecke erlaubt wären. Er gesteht: "Ich denke, die Kunst ist es, nicht darüber nachzudenken, dass es passieren kann."

Es ist eine zuverlässige Gnadenlosigkeit, die Vettel mit seinem Dienstwagen RB 7 teilt. Als einziger Fahrer hat er bislang alle 778 möglichen Rennrunden drehen können. Und selbst zerbröselnde Reifen oder zickende Kers-Batterien sorgen nicht mehr wie noch 2011 für Ausfallerscheinungen. Vettel und Red Bull haben, wie man in der Formel 1 durchaus angemessen sagt, den richtigen Drive. "Ich denke, Sebastian hat einen phänomenalen Lauf hingelegt", sagt Horner, "seine Beständigkeit ist bemerkenswert. Und er wird immer noch stärker und stärker." Vor allem hat er es in gut zweieinhalb Jahren geschafft, das Team völlig auf seine Seite zu bringen.

Auch die Konkurrenz spricht in hymnischer Form vom enteilten Rivalen, immer aber mit Respekt. Vorjahressieger Fernando Alonso, der letzte Formel-1-Pilot, der zweimal hintereinander die WM einfahren konnte, betrachtet den Rest der Saison für sich und Ferrari als eine Art Radrennen: "Wir können einzelne Etappen gewinnen, aber nicht mehr die ganze Tour." Michael Schumacher, Vettels bester Freund im Fahrerlager, sagt im Spaß: "Ich habe Sebastian alle guten Sachen beigebracht." Ernsthafter fügt der Rekordweltmeister an: "Man lernt von dem, was andere Fahrer tun, und Sebastian ist klug genug, sich die für ihn wichtigsten Dinge abzugucken. Manchmal war ich bestimmt auch ein Beispiel für ihn. Um solche Ergebnisse zu erzielen, muss man schon eine Menge richtig machen."

Man müsse sehr dafür kämpfen, in der Formel 1 ein Champion zu sein, sagt Schumacher weiter. "Und er hat diesen Kampf aufgenommen." Der zweite Titelgewinn, befindet Schumacher aus seiner Erfahrung von 1995, sei der schwerere: "Weil jeder vorgewarnt ist."