Der deutsche Leichtathletik-Verband zieht ein positives WM-Fazit und setzt für die Olympischen Spiele 2012 in London auf seine Talente

Daegu. Erst als der letzte Hammer geflogen, die letzte Chance auf Platz eins verronnen war, legte Betty Heidler ihre Maske ab. Scheinbar stoisch hatte sie das Hammerwurf-Finale bestritten, sich mehr als anderthalb Stunden lang nicht anmerken lassen, ob der suboptimale Verlauf des Abends im Daegu Stadium sie nun kalt ließ oder gehörig nervte. Keine Regung in ihrem Gesicht, dafür pure Konzentration. Und plötzlich also lächelte Heidler.

Erst ein wenig später wurde klar, dass es bloß eine weitere Maske der 27-Jährigen gewesen sein muss. Platz zwei mit 76,06 Metern hinter der Russin Tatyana Lysenko (77,13) - das war nicht das, was sich die Favoritin aus Deutschland vorgestellt hatte. "Ich habe um Gold gekämpft, nicht um Silber. Es ist halt nicht gut gewesen. Ein Wurf über 76 Meter spiegelt nicht das wider, was ich kann", sagte sie.

Nach WM-Silber 2009, dem Titelgewinn 2007 und dem Weltrekord (79,42) aus dem vergangenen Mai ist Heidlers Anspruchsdenken längst auf maximalen Erfolg ausgelegt. Gestern steuerte die Frankfurterin - ihre Vereinskollegin Kathrin Klaas wurde Siebte (71,89) - die siebte Medaille für den Deutschen Leichtathletik-Verband (DLV) bei. Für die drei goldenen sorgten Robert Harting im Diskuswerfen, Speerwerfer Matthias de Zordo (siehe Text rechts) im Speerwerfen und David Storl. Derart rasant wie der U-23-Europameister im Kugelstoßen ist seit vielen Jahren kein deutscher Leichtathlet vom Jugend- und Juniorenbereich in die Weltspitze der Erwachsenen vorgestoßen. Storl, 21, den trotz WM-Gold die Aura des Unfertigen umgibt, ist das wohl größte Versprechen für die Zukunft in einem Verband, der bei diesen Titelkämpfen bewusst diversen Athleten das Vertrauen schenkte, die vor, auf oder kurz hinter der Schwelle zum Erwachsenenbereich stehen.

"Wir haben eine ganze Reihe von U-23-Nachwuchsathleten, die wir weiterentwickelt haben, und die sich im kommenden Olympiazyklus weiterentwickeln können", sagt DLV-Sportdirektor Thomas Kurschilgen. Nicht nur er findet: "Im Bezug auf die Ausgangsposition haben sich unsere Athleten bei dieser WM sehr gut präsentiert." Zumal die Leistungsträger im DLV wie Titelverteidiger Harting dabei überdurchschnittliche Leistungen abgeliefert hätten. Nur für wenige Ausnahmen gelte das nicht. "Daegu hat aus meiner Sicht klar und deutlich gezeigt, dass wir der Herausforderung gewachsen sind, Olympia 2012 erfolgreich zu meistern", meint der Sportdirektor. "Mit unseren Siegertypen gehören wir zu Recht zu den besten Leichtathletik-Nationen der Welt."

Auffällig ist, dass die Leistungsdichte in der Weltspitze in vielen Disziplinen größer geworden ist. Noch eine Weile wird Deutschlands Know-how-Vorsprung in den technischen Disziplinen wohl Erfolg bringen - doch der Aufwand dafür ist vergleichsweise hoch. "Wir sind ein hoch entwickeltes Industrieland, wir müssen auf das setzen, was uns stark macht: Technologie, Know-how, Organisation, Struktur", sagt Herbert Czingon, der für Sprung und Wurf zuständige Chefbundestrainer.

Dazu leistet etwa das Institut für Angewandte Trainingswissenschaft (IAT) in Leipzig einen wichtigen Beitrag. Andererseits sind es aber erst die Trainer auf allen Ebenen, die aus einem Sportler einen Weltklasseathleten formen. Ihre Anerkennung, findet Czingon, ist viel zu gering: "Nicht nur in der Leichtathletik ist es ein Problem, dass das Berufsbild Trainer nicht existiert und nicht die entsprechende Wertschätzung in der Gesellschaft erfährt, wie es im Ostblock früher der Fall war."

Unterm Strich steht: Es gibt zu wenige Trainer, gerade in der Vieldisziplinensportart Leichtathletik - und die werden für gewöhnlich auch noch schlecht bezahlt. Der seit November 2009 amtierende Kurschilgen müht sich um Verbesserung des Status quo, er sagt: "Wir haben derzeit kein Prämiensystem für Trainer in unserem Verband. Ich halte ein solches aber für zwingend notwendig. Wir sind in Überlegungen mit dem DOSB, dies für den Zyklus 2013 bis 2016 einzuführen."