Der sehbehinderte Ruderer will mit dem Handicap-Mixed-Vierer siegen. Am Sonntag startet die Weltmeisterschaft im slowenischen Bled.

Hamburg. Hätte Kai-Kristian Kruse das mit dem 20. Geburtstag gleich gesagt, man hätte sich vermutlich um einen anderen Gesprächstermin bemüht. Aber dann versichert er, man solle sich deshalb bloß keine Umstände machen, dieser Freitag sei für ihn ein Trainings- und Arbeitstag wie jeder andere auch. Die Feier werde irgendwann im September nachgeholt, wenn er zurück sei von der Ruder-WM in Bled, die am Sonntag beginnt. Den Glückwunsch nimmt er natürlich trotzdem gern entgegen, und wie schon bei der Begrüßung eine halbe Stunde zuvor findet Kruses Hand wieder zielsicher ihr Gegenüber.

Man hat zu diesem Zeitpunkt längst aufgehört, sich darüber zu wundern. Wäre da nicht dieses leichte Schielen, man könnte glatt vergessen, dass vor einem ein Athlet sitzt, dem seit einem Unfall in früher Kindheit ein kleiner Rest Sehkraft geblieben ist: weniger als zehn Prozent auf dem stärkeren Auge, zwei bis drei Prozent auf dem schwächeren. Der Deutsche Ruderverband hat den Hamburger als Ersatzmann für den Handicap-Mixed-Vierer mit Steuermann nominiert. Die Besatzung besteht aus zwei Männern und zwei Frauen, mindestens zwei müssen körperbehindert sein, höchstens zwei sehbehindert.

Kruse hat diese Regularien auch erst lernen müssen. Bis zum vergangenen Jahr ist er noch bei den Nichtbehinderten gestartet. Erst als ihn sein duales Studium der Physiotherapie gezwungen habe kürzer zu treten, habe er sich überhaupt seiner Behinderung entsonnen: "Das Training ist beim Handicap-Rudern nicht so umfangreich, weil es im Rennen nur über 1000 statt 2000 Meter geht. Für mehr würde mir die Zeit fehlen." Als Handicap-Ruderer aber sehe er sich bis heute nicht.

Der Weltverband Fisa ist sich mit Kruses Einstufung auch nicht so sicher. Erstmals muss sich vor WM-Beginn jeder sehbehinderte Ruderer einem Test unterziehen, bei dem nicht nur die Seh-, sondern auch die Wahrnehmungsfähigkeit gemessen und in Kategorien eingeteilt wird: von B1 für blind bis B3, Sehfähigkeit unter zehn oder Gesichtsfeld unter 20 Prozent. "Wir wissen nicht, was da auf uns zukommt", sagt Bundestrainer Thomas Böhme. Von den Ergebnissen hängt ab, welche Besatzung er ins Rennen schicken kann. Während bei den Körperbehinderten der Grad der Einschränkung im Grunde keine Rolle spielt, darf pro Vierer nur ein Besatzungsmitglied B3-klassifiziert sein. Kruses Startchancen scheinen daher gering - sofern die Fisa-Augenärzte in Slowenien nicht zu einem schlechteren Ergebnis kommen als bei seiner letzten Untersuchung. "Kai wäre in jedem Fall eine große Verstärkung", sagt Böhme, "wenn ich ihn rudern sehe, merke ich nicht, dass er behindert ist."

In der Bundesliga, bei der Vereinsachter in 350-Meter-Duellen gegeneinander antreten, saß Kruse zuletzt wieder wie selbstverständlich im Boot seines RC Favorite Hammonia. Darauf angesprochen habe ihn niemand: "Viele Kollegen vergessen meine Sehschwäche einfach. Oder es ist ihnen unangenehm nachzufragen." Kruse ist das ganz recht. Nicht dass er seine Sehschwäche verdrängen würde, er kann sogar Witze darüber machen. Kruse hat sich nur nie davon behindern lassen, ob es nun ums alltägliche Fahrradfahren ging oder um den Leistungssport. Die Leidenschaft fürs Rudern sei es schließlich, die alle verbinde: "Das ist wie eine Sucht. Man muss ein bisschen bekloppt sein, um im Winter frühmorgens mit blau gefrorenen Händen über die Kanäle zu ziehen." Bei Kruse liegt es wohl in der Familie. Schon sein Großvater war aktiver Ruderer, seine Mutter Kaderathletin, sein Vater schaffte es sogar zur WM.

Bei der WM in Bled (28.8.-4.9.) starten neben Kai-Kristian Kruse fünf weitere Hamburger: Eric Johannesen (RC Bergedorf) im Achter, Bastian Seibt (Hamburger und Germania) und Lars Wichert (RC Allemannia) im Leichtgewichts-Zweier, Daniel Makowski (Favorite Hammonia) und Fokke Beckmann (Hansa) sind Ersatzruderer für den leichten Achter.