Bundestrainer Ralf Holtmeyer spricht im Interview mit dem Abendblatt über sein Flaggschiff und den Ruderweltcup in Hamburg.

Hamburg/Ratzeburg. Seit Ralf Holtmeyer vor 17 Jahren letztmals in Allermöhe war, hat sich einiges verändert. Zum Weltcup, der heute mit den Vorläufen beginnt, ist das Regattazentrum aufwendig modernisiert und umgebaut worden. Für Hamburg in seiner 175-jährigen Rudergeschichte ist es das höchstklassige Ereignis. Und für den Bundestrainer des Deutschlandachters ein wichtiger Test für Olympia 2012.

Abendblatt: Wie viel ist der Weltcup noch wert, nachdem Großbritannien, Frankreich, die Niederlande und ein Teil der tschechischen Mannschaft wegen der EHEC-Epidemie abgesagt haben?

Ralf Holtmeyer: Natürlich wäre es schön gewesen, sich noch einmal mit den Engländern zu messen. Aber Polen war beim Weltcup in München als Dritter auch nur eine Dreiviertellänge hinter uns. Sie werden unser Maßstab sein.

Sie besetzen das Boot trotz des Erfolgs von München noch einmal um. Warum?

Holtmeyer: Unsere Strategie ist, verschiedene Kombinationen zu fahren. Das wird im Olympiajahr 2012 nicht mehr möglich sein. Es geht darum, die Rudertechnik aufeinander abzustimmen und sich einander anzupassen. Sonst bilden sich schnell Grüppchen: Die einen fahren Vierer, die anderen Achter, und am Ende könnten sie nicht zusammen fahren. Um die beste Kombination zu finden, braucht man Wettkämpfe, das lässt sich im Training nicht herausfinden.

Warum nicht?

Holtmeyer: Im Wettkampf kommt die Stressbelastung hinzu. Ein Beispiel: Wenn Sie Ruhe haben, können Sie auch mit links schreiben. Aber versuchen Sie das mal unter Zeitdruck. Eine Ruderbewegung muss auf hohem Niveau automatisiert sein. Das hat uns 2010 bei der WM in Neuseeland auf den letzten 150 Metern den Sieg gebracht, weil wir noch mal die Schlagfrequenz variieren konnten. Auf internationalem Spitzenniveau kann man es sich nicht erlauben, sich auf die Technik zu konzentrieren.

Das heißt, im Achter sitzen nicht unbedingt die acht stärksten Ruderer.

Holtmeyer: Wer in der Fußballbundesliga die meisten Tore schießt, ist auch nicht automatisch Stürmer der Nationalmannschaft. Vielleicht ist das Spielsystem im Verein nur auf ihn zugeschnitten. Nicht anders ist es bei uns: Zwei Zweier, die gleich schnell sind, können vollkommen anders rudern und passen deshalb nicht automatisch zusammen. Schnell und physisch stark zu sein ist eine notwendige Bedingung, aber keine hinreichende. Wir versuchen, uns auf drei Ebenen kontinuierlich zu verbessern: Physis, Kleinbootleistung, Anpassung der Technik.

Im Fußball heißt es aber auch: Never change a winning team.

Holtmeyer: Natürlich hätte ich die WM-Mannschaft von 2009 so lange weiterrudern lassen können, bis sie verliert. Aber dann gibt es zwei Effekte: Die anderen geben sich weniger Mühe, ins Boot zu kommen. Und die Technik ist nicht aufeinander abgestimmt. Man muss auch im Fußball die anderen bei Laune halten. Bei Borussia Dortmund ist die ganze Mannschaft der Star. Damit, dass ich den Schlagmann in diesem Jahr getauscht habe, wollte ich auch signalisieren: Wir haben Alternativen. Jetzt haben wir ein Luxusproblem.

Sie werden bei der WM und auch bei Olympia auf ein britisches Team treffen, das aus Vollprofis besteht. Wie schwer wiegt der Wettbewerbsnachteil?

Holtmeyer: Natürlich haben die Briten Freiräume für den Sport, die wir nicht haben. Sie fahren abwechselnd zwei Wochen ins Trainingslager und sind zwei Wochen zu Hause, insgesamt acht oder neun Wochen im Jahr verbringen sie in der Höhe. Das können wir nicht leisten - weder zeitlich noch finanziell. Ich bin mir aber nicht sicher, ob man den Sportlern einen Gefallen tut, wenn man sie für einen Olympiazyklus von Studium und Ausbildung freistellt. Unsere Athleten haben zwar eine Doppelbelastung, aber sie fallen nach dem Sport nicht ins Leere. Ich würde die Engländer schon als Favoriten sehen, aber wir sind sicher nicht chancenlos.

Trotzdem haben Sie die Erwartungen seit dem letzten Platz bei den Olympischen Spielen 2008 in Peking mit der Serie von 21 Siegen und zwei Weltmeistertiteln sehr hoch gelegt.

Holtmeyer: Entscheidend ist doch, was wir selbst von uns erwarten. Das war auch eine Lehre aus Peking: nicht so sehr danach zu schauen, was andere erwarten, sondern sein eigenes Ding zu machen.

Sie haben zwischenzeitlich den Frauenachter trainiert. Gab es Unterschiede?

Holtmeyer: Ohne in Klischees verfallen zu wollen, meine Erfahrung ist, dass das Thema Freundschaft, das gemeinsame Erleben bei den Frauen eine viel größere Rolle spielt. Das geht bisweilen zulasten des Leistungsdenkens. Männer sind da viel pragmatischer. Da werden persönliche Dinge um des Erfolgs willen eher mal zurückgestellt.