George Hildebrand muss in diesem Jahr auf einen Cyclassics-Start verzichten - zu groß ist die Angst. Der 71-Jährige stürzte letztes Jahr schwer.

Hamburg. Die schlimme Geschichte liegt genau ein Jahr zurück. Und dennoch kann sich George Hildebrand, 71, noch an jedes Detail erinnern. An die Kreuzung in Blankenese und die 45 Stundenkilometer, mit denen er auf seinem Rennrad von der Dockenhudener Straße auf die Elbchaussee hinabsauste. An die kleine Verkehrsinsel in der langen S-Kurve und an den Schlag an seinem rechten Hinterrad, der ihn brutal zu Fall brachte.

Nur eines weiß der groß gewachsene Hamburger mit den grauen Haaren nicht mehr: Wie der Unfallverursacher aussah und welche Startnummer der Cyclassics-Teilnehmer hatte, der ihn nach dem fatalen Sturz einfach schwer verletzt auf der Straße liegen ließ.

George Hildebrand bringt buchstäblich eine Menge Er-Fahrung auf dem Sattel mit. Seit 40 Jahren sitzt er auf dem Rennrad, im letzten Jahr absolvierte er seine 11. Cyclassics. Damit gehört er zum "Cyclub", in den jeder kommt, der das Radrennen in Hamburg mehr als zehnmal gefahren ist.

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Hildebrand weiß also um die Tücken und Gefahren des Jedermann-Rennens, als er sich auf die 55 Kilometer lange Strecke begibt. Doch als der umsichtige Rad-Amateur bei Kilometer 43,5 zu Fall kommt, hat er keine Chance. "Wahrscheinlich hat der Unfallverursacher die Verkehrsinsel, die im Jahr zuvor noch nicht da war, zu spät bemerkt", sagt er. "Und anstatt dort selbst frontal draufzufahren, hat er lieber mich von der Strecke geschossen."

Die Folge: Hildebrand fliegt vom Rad, knallt mit der linken Schulter auf den Asphalt, rutscht über die Bordsteinkante und landet an der Mauer vom Hotel Behrmann. Sein Helm zersplittert in drei Teile. Er kommt in die Notaufnahme. Die Diagnose lautet: das Schlüsselbein und mehrere Rippen gebrochen, Prellungen und Hautabschürfungen von der Schulter bis zu den Füßen. Sein 2500 Euro teures Rad ist Schrott. Nach Krankenhaus, Reha und Physiotherapie dauert es sieben Monate, bis er sich wieder aufs Rad setzt.

An einen Start in diesem Jahr ist nicht zu denken. "Ich traue mich noch nicht wieder ins Gewühl mit dem Gedanken, dass mir so etwas vielleicht noch einmal passieren könnte", sagt er, "denn es hätte ja auch viel ernster ausgehen können."

Noch viel schlimmer findet es der Musikmanager (Stefan Gwildis), dass der Unfallverursacher damals einfach weitergefahren ist. Da bei den Cyclassics die Straßenverkehrsordnung gilt, liegt in diesem Fall eine strafbare Fahrerflucht vor. "Wie kann einer, der sich Sportler nennt, zwei Schwerverletzte liegen lassen und ungerührt weiterfahren?", fragt Hildebrand, über dessen Rad ein weiterer Fahrer in hohem Tempo gestürzt ist und sich dabei das ganze Gesicht aufschlug.

Enttäuscht ist er auch über die Fürsorgepflicht des Veranstalters. Frank Bertling, 44, Geschäftsführer der Agentur "upsolut" verweist auf die Internet-Seite (vattenfall-cyclassics.de), auf der die insgesamt 19 Gefahrenstellen der Strecke einzeln aufgelistet und detailliert beschrieben werden. "Es gibt natürlich neuralgische Punkte, aber oft liegt es an dem Verhalten Einzelner, wenn Unfälle passieren", sagt er. Wenn Fahrer zum Beispiel bei hohem Tempo zur Trinkflasche greifen und einhändig weiterfahren. "40 bis 50 Unfälle passieren jedes Jahr", sagt Bertling, "davon fünf bis zehn schwere."

Unfallopfer Hildebrand hat noch einen großen Wunsch. Der unbekannte Unfallverursacher möge diesen Artikel lesen und dabei "vielleicht für einen Moment noch einmal ein schlechtes Gewissen bekommen".