Weltmeister Sebastian Vettel muss sich beim Formel-1-Grand-Prix in Silverstone mit Platz zwei begnügen. Alonso beendet seine Durststrecke.

Silverstone. Wochenlang streitet die Formel 1 über heiße Luft. Und dann genügt ein mittelmäßiger britischer Sommerregen, um zu zeigen, wie wirklich Spannung auf die Rennstrecke kommt. Wird es trocken, übernehmen Reifen und Reifenwechsler die Launen des Schicksals. So kommt es zu einem überraschenden Farbwechsel an der Spitze: Fernando Alonso gewinnt für Ferrari-Rot beim Großen Preis von Großbritannien zum ersten Mal seit neun Monaten wieder einen Grand Prix, gefolgt von den üblichen blauen Red-Bull-Verdächtigen Sebastian Vettel und Mark Webber. "Ein schwieriges Rennen", bilanziert der deutsche WM-Spitzenreiter, der mit seinem neunten Podestplatz im neunten Saisonrennen die Serie weiterhin dominiert.

Wer hat gleich noch von der "Formel Langeweile" fabuliert? Allein die Dramatik der letzten beiden Runden, als es um Rang zwei geht, straft die Kritiker Lügen. Der deutsche Titelverteidiger Vettel und sein australischer In-Team-Feind Webber stehlen dem sicheren Sieger Alonso (16,5 Sekunden Vorsprung!) die Show - 60 Jahre nach dem ersten Ferrari-Sieg in der Formel 1. Vettel muss sich verzweifelt und mit allen Tricks gegen den heranrasenden und deutlich schnelleren Australier wehren, mit Kraftakten am Lenkrad und rauchenden Reifen. Aber am Ende entscheidet ein Funkspruch "aus Sicherheitsgründen" das Duell: "Mark, du musst den Abstand halten." Teamorder ist seit diesem Jahr offiziell erlaubt, aber Bulle Nummer zwei behauptet später aus Gründen der Selbstachtung, dass die Reifen schuld gewesen wären. "Es ist ein Mannschaftsergebnis", bestätigt Teamchef Christian Horner, "wir können uns das Risiko nicht leisten, Punkte zu verlieren." Dahinter punkten drei weitere Deutsche: Nico Rosberg als Sechster, Nick Heidfeld auf acht, Michael Schumacher mit Platz neun.

Weil sich die Vettel-Jäger in jedem Rennen abwechseln, baut der Weltmeister seinen Vorsprung in der Gesamtwertung weiter aus. Jetzt trennen ihn mit 204 Punkten bereits 80 Zähler von Webber (124), Silverstone-Sieger Alonso (112) hat Lewis Hamilton und Jenson Button (je 109) überholt. "Ein wichtiger Schritt", kommentiert Vettel.

Alonso wirkt überrascht nach seinem ersten Saisonsieg: "Ich war nicht sicher, ob wir unter diesen schwierigen Bedingungen schnell genug sein würden. Wir werden von jetzt an jeden Start, jede Strategie, jedes Rennen wie ein Finale angehen." Vettel dagegen macht nach den 52 schwierigen Runden einen erschöpften Eindruck. Er fasst zusammen: "Ein paar Fehler, es geht nicht immer perfekt, Ferrari hat sich in letzter Zeit stark verbessert, Fernando ist ein verdienter Sieger."

Zum Start des Rennens ist Vettel noch der gewohnte Dominator. Er lässt seinen Teamkollegen Mark Webber links liegen, der ihm zum zweiten Mal in diesem Jahr die Poleposition gestohlen hatte. Der Australier hat in dieser Saison noch keine Führungsrunde geschafft. Vettel spult sie einfach nur ab, auch auf dem tückischen nassen Asphalt. Er wechselt als Letzter auf Trockenreifen.

Für die Show sind einstweilen Lewis Hamilton, wütend über Startplatz zehn, und Michael Schumacher, frustriert auf Position 13, zuständig. Der Brite dreht sich zweimal, Schumacher drängt unter unberechenbaren Bedingungen kompromisslos nach vorn, bis er in der neunten Runde in den Sauber von Kamui Kobayashi rutscht. Frontflügel hin, Zehn-Sekunden-Strafe. Kann der Altmeister im Silberpfeil jemals richtig glücklich werden?

Das Wechselspiel zwischen den Ferrari- und McLaren-Piloten allein ist für die Rekordkulisse von 120 000 Zuschauern das Eintrittsgeld wert. Entschieden wird es über die Reife und die Reifen. Und nicht von der unsäglichen Regelgeschichte um Drosselklappen und "Motorenmapping", zu der Mark Webber richtig bemerkt: "Das verstehen nicht mal ein Prozent der Fans - mir geht es genauso."

Ähnlich geht es vielen Zuschauern bei der großen Wende im Rennen, kurz nach der Halbzeit: Sebastian Vettel verliert die komfortable Führung von 5,2 Sekunden gegen Alonso in der Box. Und auch Hamilton geht vorbei, plötzlich sind die Red-Bull-Favoriten nur auf den Plätzen drei und vier. Der Zweckpessimismus des Heppenheimers scheint Realität zu werden, links hinten hatte die Radmutter geklemmt, das Auto muss ein zweites Mal aufgebockt werden. Renningenieur "Rocky" Rocquelin mahnt über Funk: "Bleib ruhig." Er spekuliert darauf, dass der Reifenverschleiß bei Ferrari höher ist. Vettel schiebt sich schon wieder an Hamilton heran. Ein Gewissenskonflikt: Zurückhalten oder zurückschlagen?

Unmöglich, zu diesem Zeitpunkt den Rennausgang vorherzusagen. Sebastian Vettel schiebt sich in Runde 37 ganz nah an Hamilton heran, zieht aber den Kürzeren. Umgehend holt er sich frische Reifen, der britische Gegenspieler folgt eine Runde später - Vettel ist vorbei, und fährt locker zwei Sekunden schneller als alle anderen. Das Boxenstopp-Poker ist entscheidend. Endlich kommt auch Webber, während Alonso noch mal draußen bleibt. Vettel zeigt Temperament und Gelassenheit zugleich, schnupft Massa in Runde 39 auf. Dann geht auch der führende Ferrari an die Garage, doch der Spanier behält komfortable zehn Sekunden Vorsprung auf Vettel und baut ihn locker aus. Allein diese Wende zeigt die ganze Komplexität der Formel 1. Sie ist kurz vor der Saisonhalbzeit am Nürburgring viel mehr als nur heiße Luft.