Der einstige Weltranglistenvierte wurde am Rande des Daviscups offiziell verabschiedet. Dem deutschen Herrentennis fehlt es an Typen, sagt er.

Stuttgart. Als Nicolas Kiefer am Sonnabend um 15.40 Uhr auf dem Centre-Court am Stuttgarter Weissenhof den „Lifetime Award“ für seine Leistungen auf dem Tennisplatz entgegennahm, da wirkte er wie ein Relikt aus längst vergangenen Tagen. Das deutsche Daviscup-Doppel war kurz zuvor in drei Sätzen gegen Frankreichs Duo unterlegen und damit im Viertelfinale gescheitert, und so war es einzig Kiefers Verdienst, dass die deutschen Fans unter den 2000 Besuchern doch noch etwas zu feiern bekamen. Georg von Waldenfels, Präsident des Deutschen Tennis-Bundes, ehrte den ehemaligen Weltranglistenvierten ebenso mit ein paar warmen Worten wie Daviscup-Teamchef Patrik Kühnen, dann war eine erfolgreiche Karriere endgültig vorbei.

Nicolas Kiefer ist am vergangenen Dienstag 34 Jahre alt geworden. Ende 2010 hatte er, ausgezehrt von dauerhaften Verletzungsproblemen und vor allem beeinflusst durch die Geburt seiner Tochter Mabelle Emilienne im August, sein Karriereende bekannt gegeben. Seitdem arbeitet er als Trainer, Mentor und Berater am Bundesstützpunkt in Hannover und beobachtet den Tennisbetrieb, dem er als Profi seit 1996 angehörte, von außen. Das Zeugnis, das der Holzmindener seinen Nachfolgern ausstellt, ist mangelhaft.

„Dem deutschen Herrentennis fehlt es an Typen, es ist zu blass“, sagt er. Persönlich angreifen wolle er niemanden, dennoch sei an den deutschen Damen zu beobachten, was die Mischung aus sportlichem Erfolg und charismatischem Auftreten außerhalb des Platzes bewirken kann. „Die Damen ziehen an einem Strang und können sicherlich einiges erreichen in der Zukunft“, sagt Kiefer. Bei den Herren dagegen klaffe hinter den Topspielern Florian Mayer und Philipp Kohlschreiber, beide 27, mittelfristig „ein relativ großes Loch, denn wir haben derzeit keinen Spieler im Alter von 14 bis 17 Jahren, dem ich zutrauen würde, Großes zu erreichen“, so Kiefer.

Dies zu ändern ist in Hannover eine seiner Aufgaben. Der Silbermedaillengewinner von Olympia 2004 in Athen, der in seiner Karriere sechs ATP-Turniere gewinnen konnte, will seine Erfahrung an die Jugendlichen weitergeben, um ihnen zu helfen, sich in der Karriereplanung besser aufzustellen. Allerdings habe er ein grundsätzliches Defizit festgestellt: „Die Jugend ist zu faul, sich zu quälen. Sie ist zu verwöhnt, hat zu viel Ablenkung und konzentriert sich nicht auf das Wesentliche. Außerdem sind die Erwartungen an das Umfeld viel zu hoch“, sagt er. Im Haifischbecken Profisport müsse man bereit sein zuzubeißen, um nicht gefressen zu werden. „Wer nicht bereit ist zu verzichten, wer keine Disziplin mitbringt und keinen Willen, der wird es auch mit Talent nicht in die Weltspitze schaffen“, sagt er.

Ihm selbst sei leider zu spät in seiner Laufbahn klar geworden, wie wichtig eine Professionalisierung in allen Bereichen ist, um den Sprung an die Spitze zu machen. Vor dieser Erfahrung wolle er die Jugendlichen bewahren. „Ich bin deshalb als Trainer nicht nur auf dem Platz gefragt, sondern führe vor allem viele Gespräche mit den Sportlern und ihren Eltern“, sagt er. Eine umfassende Ausbildung, die neben dem Sport auch die Schule nicht vernachlässige, sei in seinen Augen der beste Weg. „Ich erhoffe mir deshalb, dass meine Tipps Gehör finden.“

Mit gelegentlichen Schaukämpfen hält Kiefer sich nicht nur fit, sondern auch den Kontakt in die Profiszene, die er ohne große Wehmut habe verlassen können. „Natürlich würde ich gern noch Turniere spielen, aber die Schinderei, die dazu gehört, die fehlt mir nicht“, sagt er. Nicolas Kiefer musså jetzt dafür sorgen, dass andere sich schinden. Leichter ist seine Aufgabe nicht geworden.