Berlinerin Sabine Lisicki wandelt auf den Spuren von Steffi Graf: Erstmals seit 1999 steht eine Deutsche im Halbfinale eines Grand-Slam-Turniers.

London. Es blitzte und donnerte – und auf dem Heiligen Rasen in Wimbledon zündete Sabine Lisicki ein Feuerwerk. Die 21-jährige Berlinerin stürmte am Dienstag in Wimbledon als erste deutsche Tennisspielerin seit Steffi Graf 1999 ins Halbfinale eines Grand-Slam-Turniers und kann nach ihrer erneut großartigen Vorstellung nun sogar mit Fug und Recht vom ganz großen Wurf bei den 125. All England Championships träumen. Locker, nervenstark und nie um eine Antwort verlegen setzte sich Lisicki mit 6:4, 6:7 (4:7), 6:1 gegen die Französin Marion Bartoli durch, die im Achtelfinale immerhin Titelverteidigerin Serena Williams aus den USA ausgeschaltet hatte.

In der Vorschlussrunde, die sie als erst zweite Wildcard-Spielerin überhaupt erreichte, wartet nun eine echte Hammer-Aufgabe. Obwohl sich die beiden Williams-Schwestern schon verabschiedet haben und auch die Nummer eins der Tennis-Welt, Caroline Wozniacki, nicht mehr dabei ist, bleiben noch immer harte Brocken übrig. Maria Scharapowa aus Russland, die vor nun schon sieben Jahren bei den All England Championships triumphierte, ist die Halbfinal-Gegnerin von Lisicki. Scharapowa siegte im Eiltempo mit 6:1, 6:1 gegen Dominika Cibulkova aus der Slowakei.

„Ich kann’s nicht glauben“, sagte die Siegerin, die ihren größten Erfolg ohne große Pose oder Tänzchen feierte. Ein Handkuss in Richtung ihrer Eltern, ein lautes „Yes“ der Erleichterung – mehr war nicht. Noch vor Wochen kämpfte sie nach schwerer Verletzung um ein Comeback – und jetzt dies. „Bislang habe ich es ganz gut gemacht. Aber erklären kann ich nicht, was hier passiert auf dem Platz, den ich so liebe.“

Der Regen prasselte unaufhörlich auf das Dach über dem Centre Court, aber Sabine Lisicki ließ sich davon nicht die gute Laune verderben. Dem guten Rat ihrer Entourage folgend, mühte sie sich, das zweite Viertelfinale nach 2009 in vollen Zügen zu genießen. Und diese (neue) Lockerheit zahlte sich zunächst aus. Auch kritische Situation lächelte sie einfach weg und setzte ihre Kontrahentin damit doppelt unter Druck. Denn die läuferisch unterlegene Französin hatte ihre liebe Not mit den immer wieder eingestreuten Stopps der Deutschen, die schon mit ihren harten Aufschlägen ein klares Plus hatte.

Doch Kämpferin Bartoli glich die Nachteile mit Einsatz und Routine aus. In Paris stand sie vor knapp vier Wochen im Halbfinale und in Wimbledon 2007 sogar im Finale. Wie Sabine Lisicki, die in Birmingham ihren zweiten Titel geholt hatte, kam Bartoli mit der Referenz des Eastbourne-Erfolgs an die Church Road. Und die 26-Jährige Französin ließ sich von der scheinbaren Übermacht ihrer Gegnerin nicht entmutigen. Selbst als die Partie schon verloren schien, gab sie nicht auf und wehrte beim Stand von 4:5 im zweite Satz gleich drei Matchbälle ab und rettete sich in den Tiebreak.

Dass die vom französischen Verband in der Jugend als „untalentiert“ abgekanzelte Bartoli nie aufgibt und wie weiland Boris Becker auch aus unmöglichen Situationen oftmals einen Ausweg findet, bewies sie in der Folgezeit. Den Tiebreak gewann sie mit 7:4 - die Karten waren neu gemischt. Lisicki schien nervös zu werden - denn auch sie wusste natürlich, dass Bartoli in diesen Momenten die „zweite Luft“ bekommt.

„Ich war total enttäuscht, weil ich nicht gut gespielt habe“, sagte Lisicki. Aber sie ließ nicht locker, scheuchte die Französin weiter über den Platz und ging mit 3:0 in Führung. Immer wieder fasste sich Bartoli an den Oberschenkel, spielte aber weiter, obwohl der Muskel ganz offensichtlich schmerzte. Nur eine neuerliche Wende schaffte sie nicht – und verpasste ihr zweites Halbfinale in Wimbledon, während sich Lisicki über ihren größten Erfolg und den bislang größten Scheck freuen konnte. 310.000 Euro hat sie bereits sicher.

Den Vergleich mit Steffi Graf mag Sabine Lisicki nicht – aber nun muss sie ihn zwangsläufig ertragen. Denn die „Gräfin“, die in Wimbledon sieben Titel und insgesamt 22 bei Grand-Slam-Turnieren holte – war die letzte Deutsche in einem Major-Halbfinale. 1999 besiegte sie in der Vorschlussrunde die Kroatin Mirjana Lucic, verlor dann ihr letztes Finale gegen die Amerikanerin Lindsay Davenport und hörte ein paar Tage später auf. (dapd)